Geschichte der cechischen Litteratur: Von Dr. Jan Jakubee, und außerordentI. Professor an der k. k. Böhm. Karl-Ferdinand-Universität in Prag. Dr. Arne Novak, Privatdozent an der k. k. Böhm. Karl-Ferdinand-Universität in Prag. Zwei te Auflage. Leipzig, C. F. Amelangs Verlag. 1913. Alle Rechte vorbehalten. Altenburg (S .• A.) Piererlche Hofbuchdruckerei Stephan Gelbel & Co. Vorwort zur ersten Auflage. Kaum wird es wohl eine andere Litteratur geben, die für den deutschen Leser ein so dunkles Gebiet wäre wie die cechische. Abgesehen von einigen Gesamtbildern der cechischen Litteratur in Werken allgemeineren Inhalts - »Geschichte der slawischen Sprache und Literatur« von P. J. Safaffk, 1826; >Geschichte der slavischen Literaturenc von A. Pypin (aus dem Russischen übertragen von Fr. Pech, Leipzig 1884), »Slavische Literaturgeschichtec von Dr. Jos. Karasek, 1906 (Sammlung Göschen) -, abgesehen von einzelnen Aufsätzen über die neuere cechische Litteratur und die neuesten litterarischen Erscheinungen in deutschen Zeitschriften und Zeitungen, müßte man zu der vor mehr als hundert Jahren erschienenen >Geschichte der böhmischen Sprache und Litteratur« von Dobrovsky zurückgreifen, wollte man den Versuch einer wissenschaftlichen Belehrung über die Geschichte der gesamten cechischen Litteratur in einem selbständigen deutschen Buche anführen. Und doch kann die cechisehe Litteratur seit dieser Zeit eine so ungeahnte Entwicklung aufweisen, daß man dem Zeitraume, d~n Dobrovsky in seinem Werke schildert, heutzutage in einer Geschichte der cechischen Litteratur kaum ein Drittel des ganzen Umfanges einräumen kann. So war das Erscheinen dieses Buches wohl an der Zeit. Zwischen dem deutschen und cechischen Geistesleben herrschte wohl immer ein enger Verkehr. Öfters stand die cechische Kultur, wie selbstverständlich, unter dem Einflusse der deutschen, aber es fehlt auch an der entgegengesetzten Richtung - wie z. B. in der Reformbewegung - nicht. Die cechische Litteratur ist unter allen slawischen Litteraturen die einzige, welche ähnliche Entwicklungsphasen aufweisen * - IV - kann wie die Litteraturen der westlichen Völker. In ihrer ältesten Periode spiegelt sich der Geist des Mittelalters treu ab. Dann findet in ihr der Kampf des cechischen Volkes für die Freiheit des Denkens und der Überzeugung zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts den Ausdruck und verleiht ihr einen eignen Ideengehalt. In der neueren Zeit blüht nach einer Wiedergeburt, die man geneigt war für ein Wunder der Geschichte zu betrachten, das geistige Leben des cechischen Volkes in vollem Inhalt und weitem Umfang auf: in Kunst und Wissenschaft, im kulturellen, politischen und sozialen Streben meldet es sich um seinen Anteil an den Errungenschaften der Kultur in der großen Gemeinde der gebildeten Völker und wird nicht müde, sich noch weitere, ihm gebührende Kulturbedürfnisse zu erringen. Im Kampfe für seine nationale Existenz reicht ihm seine Geschichte den verläßlichsten Wegweiser zu seinem Ziele: so oft seine Vorfahren für die Freiheit und den Fortschritt, für die höchsten Güter der Menschheit rangen, gewann es, wenn auch manchmal von fremden Völkern hart bekämpft, doch ihre Achtung; da wuchs auch die Bedeutung seiner Litteratur. Die cechische Kunst, namentlich die Musik und die bildende Kunst, hat sich schon den Eintritt in die weiteste Welt erworben. Hier und da wird auch schon das Interesse für die cechische Poesie und Litteratur rege. Unser Buch, welches dem Programm dieser Sammlung gemäß die Poesie in engerem Zusammenhange mit der Wissenschaft, namentlich der Geschichte und Philosophie, mit dem politischen und kulturhistorischen Hintergrunde darzustellen versucht - für einen fremden Leser war es notwendig denselben etwas umständlicher zu zeichnen -, soll zugleich der cechischen Litteratur den Weg in die weitere Welt ebnen. Die Aufmerksamkeit, die der cechischen Poesie in der letzten Zeit von größeren Völkern gewidmet wird, entspricht bei weitem nicht der Bedeutung derselben in der allgemeinen Entwicklung der Dichtkunst. Sind ja die vornehmsten cechischen Geister fähig, durch ihre Leistungen den Bestrebungen ihres Volkes eine ähnliche Achtung des Auslandes zu erwerben, deren sich in der neueren Zeit bei ihm die Litteraturen mancher kleinen Völker schon erfreuen. * * * - v - Die >Geschichte der cechischen Litteratun sucht dasjenige, was litterarhistorische Forschungen an den Tag gebracht haben, dem deutschen Leser klarzulegen. Die Ergebnisse dieser Studien sind größtenteils in einigen umfassenden litterarhistorischen Werken zusammengefaßt. Es sei namentlich auf die >Geschichte der cechischen Litteratur«: (»Dejiny ceske literatury«, noch nicht beendet) von Jar. Vlcek, auf das umfangreiche Sammelwerk »Die cechische Litteratur des 19. Jahrhunderts« (>Literatura ceska 19. stoleti«, bis jetzt 4 Bände) hingewiesen. Die politische und kulturhistorische Vergangenheit des cechischen Volkes schildert eingehend, geistreich und verständnisvoll E. Denis vor allem in seinen zwei größten Werken ,Fin de l'independance boheme« (1890) und >La Boheme apres Montagne-Blanche« (1901). In diesen Werken sowie in der kritischen Bibliographie der Cechischen Akademie für Wissenschaften und Kunst »Pamatnik na oslavu padesatileteho jubilea panovnickeho cisafe Frantiska Josefa 1.« (Gedenkbuch zum fünfzigjährigen Herrscherjubiläum Franz Josef 1., 1898) findet der Leser, den es interessiert, eingehende Quellen. Auf die Textproben, die wohl manchem Leser sehr wünschenswert erschienen, mußten die Autoren wegen beschränkten Raumes verzichten. Sie waren jedoch bemüht, deutsche Übersetzungen der besprochenen Werke, soweit sie existieren, anzuführen, damit der deutsche Leser aus eigener Anschauung die Werke kennen lernen kann. Eine Auswahl der cechischen Poesie - leider eine allzu beschränkte Auswahl - enthält die ,Poesie aus Böhmen« von Dr. Ed. Albert; 11. »Neuere Poesie aus Böhmenf; IU. »Neueste Poesie aus Böhmen (2 Bde.); »Lyrisches und Verwandtes aus der böhmischen L.iteratur«: (Wien, Alfr. Hölder, 1893 f.). Eine Auswahl der cechischen Belletristik erscheint in der >Slavischen Romanbibliothek« (J. atto, Prag, Wien und Leipzig). * * * Eine Anmerkung über die Schreibweise der cechischen Namen, die ähnlich, wie es bei den französischen, englischen, italienischen, magyarischen usw. in der deutschen Sprache üblich ist, in ursprünglichem Wortlaut beibehalten worden sind. Der Strich über den Vokalen a, e, i, 6, U, Y (bei 11 auch ein Ring- VI lein) bezeichnet die Länge; e ist etwa wle Je auszusprechen. Der Unterschied zwischen i und y, i und y ist nur historisch oder in einigen Dialekten, in der jetzigen Aussprache beachtet man ihn nicht mehr; ou ist ein Zwielaut. Auch einige Konsonanten weichen vom Deutschen ab; s ist immer scharf = ß, ss; z wie das deutsche weiche s (in Rose), c wie z, tz - besonders könnte der deutsche Leser in der Konsonantengruppe ck (auszusprechen wie zk) zur falschen Aussprache irregeführt werden; also z. B. Palacky = Palazkie, Pisecky = Piessezkie, Bajza = Bajsa; Hus, Husens = Huß, Hussens (inkonsequent schreiben wir Hussitismus , hussitisch, weil es in der deutschen Rechtschreibung so eingeführt ist); v ist das deutsche w, nur am Ende der Silbe lautet es wie f, also Tovacov, tovacovsky = Towatschof, Towatschofskie. Die mit einem Häkchen bezeichneten weichen Konsonanten haben im Cechischen ihre eigene Aussprache: s = schi c wie tsch, ~ - frz. j, f fast wie rsch oder frz. rj, aber als ein Laut; d', 1', n sind mouilliert (etwa wie dj, tj, n = frz. gn); die Silben di, ti, ni, de, te, ne sind wie d'i, 1'i, ni, d'e, 1'e, ne zu lesen; also Hodetin wie Hodjetjien, Nemcova fast wie Njemcova usw. Die Konsonanten r und I können auch eine Silbe bilden, also Vrch-lic-ky dreisilbig, Vl-cek zweisilbig. In den Endsilben -eI, -en hört man das volle e; also V ocel wie W ozäll, Erben wie Erbänn. Der Akzent ruht im Cechischen auf der ersten Silbe. Von den cechischen Vornamen, welche mit dem Zunamen einen Begriff bilden, sind manche rein slawischen Ursprungs und unübersetzbar, manche stimmen mit dem deutschen Wortlaut überein oder sind ihm sehr ähnlich. Die üblichsten, von dem Deutschen abweichenden Vornamen mögen erklärt werden: Jan = Johann, Vaclav = Wenzel, Vojtech = Adalbert, Pavel = Paul, Bedfich = Friedrich, Frantisek (verkürzt Fr.) = Franz, Jindfich = Heinrich; K. bedeutet Karel = Karl. Bei den schwankenden Ausdrücken) böhmisch« und) cechisch« haben wir uns trotz des offiziellen Gebrauches in Österreich für den letzteren entschieden. Das um sich greifende Studium der Völkerkunde, das moderne nationale Bewußtsein drängt nicht nur in Böhmen, sondern auch in anderen Ländern (z. B. in Ungarn) die ältere Bezeichnung einer Nation nach der Landeszugehörigkeit immer mehr zurück; die logische Klarheit erheischt - VII -- eine praZlsere ethnographische Bezeichnung. Auch kann man den Widerwillen mancher unserer Landsleute gegen den deutschen Ausdruck ~cechisch~ nicht gut begreifen, wenn man z. B. in der französischen Sprache den Ausdruck >tcheque< statt des älteren »bohemien< anstrebt. Das Erscheinen dieses Buches ist durch ungeahnte Hinder~ nisse verspätet worden. Um das Erscheinen des Buches nicht auf eine zu ferne Zeit zu verschieben, erbat ich mir die Mitarbeiterschaft des Herrn Kollegen Dr. Arne Novak, welcher die Ausarbeitung der verwickelten neuesten Periode der cechischen Litteratur bereitwillig übernommen hat. Sie bildet einen ganz selbständigen Teil dieses Buches. Ich erfülle ferner eine liebe Dankespflicht , wenn ich die opferwillige Hilfe meines Freundes V. Viravskj, k. k. Gymnasialprofessors in Prag, mit besonderer Dankbarkeit hervorhebe; er hat meine Arbeit sowohl in der Handschrift als auch die Korrekturbogen fleißig gelesen und namentlich um die Vervollkommnung des Ausdrucks sich verdient gemacht. Dr. Jaß Jakubec. Vorwort zur zweiten Auflage. Dem ehrenvollen Antrage unseres Verlegers zufolge haben wir uns entschlossen, unser gemeinsames Werk für die zweite Auflage neu zu bearbeiten, die Tatsachen bis in die jüngste Vergangenheit fortzuführen, aber auch die neuen vielseitigen Forschungen auf dem Gebiete der älteren, sowie der neueren cechischen Litteraturgeschichte in unserem Buche zu verwerten. Seit dem Erscheinen der ersten Ausgabe der >Geschichte der cechisehen Litteratun (1907) haben wir den ganzen Stoff derselben vom neuen an vorgenommen und in zwei cechisch geschriebenen Handbüchern ausführlich dargestellt (Jan Jakubec, »Dejiny ceske literatury« d. h. »Geschichte der cechischen Litteratur«, Prag 1910 und 1911. Arne Novak, »Prehledne dejiny ceske literatury~ d. h. >Geschichte der cechischen Litteratur im Grundrisse~, Olmütz, II. Ausg. 1913).· Wir haben uns bemüht, von den Ergebnissen unserer cechischen Werke in dieser zweiten Auflage Nutzen zu ziehen; ebenfalls verdanken wir freundlichen Lesern und um- - VIII -- sichtigen Kritikern der ersten Ausgabe dieses Buches manche wertvolle Verbesserungen; für solche Unterstützung werden wir immer dankbar sein. Dagegen konnten wir nicht den Wunsch einiger Kritiker erfüllen, unser Buch auch mit bibliographischen Angaben auszustatten. Dieses Buch ist keineswegs als Grundriß, sondern vielmehr als darstellende Einführung in die Kenntnis des cechischen Schrifttums gedacht. Bücher- und Quellenkunde der cechischen Litteraturgeschichte wäre nur für denjenigen Leser brauchbar, welcher unserer Muttersprache kundig ist, diesen aber dürfen wir vielleicht auf unsere cechischen Handbücher verweisen, wo auch der bibliographische Teil eingehend und zweckmäßig bearbeitet ist. Prag, den 1. September 1913. Jaß Jakubec. Arße Novak. In hai t. Geschichte der cechischen Litteratur. Seite Erstes Kapitel. Anpassung der ~echischen Entwicklung an die Kultur und die Litteraturen des Westens. . . . . . . . .. 1 Zweites Kapitel. Die Reformbewegung. Jan Hus. Der Hussi- tismus. Petr Che1~icky . ... . . . . . . . . . . . .. 41 Drittes Kapitel. Die Unität der Böhmischen Brüder und der liumanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 68 Viertes Kapitel. Die Exulantenlitteratur. Komensky (Comenius). Der Verfall " 103 Fünftes Kapitel. Der Josefinismus. Josef Dobrovsky, Der Aufschwung der ~echischen Sprache. Die ~echische josefinische Litteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 122 Sechstes Kapitel. Josef Jungmann und seine Schule. Die Anfänge der ~echischen Romantik. Die Königinhofer und Grün- berger Handschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . " 155 Siebentes Kapitel. Die slawische Idee in der ~echischen Dichtkunst und Wissenschaft. Jan Kollär. P.]. SafaHk. Die Rückkehr zur böhmischen Geschichte. Fr. Pa1ackY. . . .. 177 Achtes Kapitel. Die ~echische Poesie unter dem Einfluß der Volksdichtung. Fr. L. Ce1akovskY. K. J. Erben. . . . .. 201 Neuntes Kapitel. Das Drama und die Belletristik. V. Kl. K1icpera. J. K. Ty1. J. J. Marek. Fr. Chocho1ousek . . . . . . . .. 221 Zehntes Kapitel. Der Neuromantismus. K. H. Mächa . . . .. 237 Elftes Kapitel. Die junge Slowakei. L. StUr und seine Schule. Das politische Erwachen. K. HavlilSek. Die Rückkehr zu der slawischen Idee. Die Reaktion. . . . . • • . . . . " 245 Zwölftes Kapitel. Das ~echische Volksleben in der Belletristik. Bo!ena Nl!mcovä . . . . . . . • . . . . • . . . . . . . " 267 x - Die cechische Litteratur der Gegenwart. Dreizehntes Kapitel. Die Verjüngung der llechischen Dichtungdurch Neruda, Hälek und ihre Zeitgenossen . . . . . . .. 281 Vierzehntes Kapitel. Die pans1awistischen und historischen Tendenzen in der neuen llechischen Litteratur . . . . . . . .. 318 Fünfzehntes Kapitel. Der poetische Kosmopolitismus in der llechisehen Litteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 344 Sechzehntes Kapitel. Der Realismus in der llechischen Novellistik und im Drama. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 375 Siebzehntes Kapitel. Der Kampf der Kritik und der Poesie um neue Lebenswerte . .. '" 399 Namenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 446 Seite Die cechische Litteratur der Gegenwart. Von Dr. Arne Novak, Privatdozent in Prag. Dreizehntes Kapitel. Die Verjüngung der cechischen Dichtung durch Neruda, Halek und ihre Zeitgenossen. Die fünfziger Jahre litten schwer unter dem Bachschen Absolutismus, welcher die sich so hoffnungsvoll regenden Nationen wiederum in das alte Geleise des vormärzlichen Österreich zu lenken wußte. Eine schwere, dumpfe Ohnmacht bemächtigte sich nach der unglücklichen Revolution aller Geister. Der cechischen Nation fehlte es nicht nur an Denkfreiheit , sondern sie vermißte auch einen neuen Lebensinhalt ; sie dürstete nach frischen, führenden Ideen, die das kulturelle und litterarische Leben, welches in seiner freien Entwicklung gänzlich gelähmt war, befruchten könnten. Schon das stürmische Jahr 1848 hatte gezeigt, daß man den philologischen und poetischen Sprachenthusiasmus nun auch auf das Gebiet der Politik übertragen müsse, daß der utopische Panslawismus eines Kollar auch in der politischen Praxis Platz haben könnte; daß die so begeistert studierte und bejubelte vaterländische Geschichte eigentlich der Ausgangspunkt eines öffentlichen Kampfes ums Recht gegen die Regierung sein sollte. Doch die Polizei hemmte jede Regung des politischen Bewußtseins im cechischen Volke. So mußte man sich wieder in die engen Schranken des Schrifttums zurückziehen, wo man aber Schritt für Schritt gewahr wurde, daß es mit den romantischen Ideen der Wiedergeburt zu Ende sei; man mußte sich nach neuen Gedanken, nach neuen Vorbildern, nach neuen litterarischen Werten umsehen. Einige Versuche dieser Art wurden allerdings schon vor dem Jahre 1848 getan. Der geniale Macha, dessen trauriges - 282 - Leben und düsteres Dichten ein einheitliches Kunstwerk bilden, ist schon in den dreißiger Jahren als poetischer Revolutionär aufgetreten; doch nur wenige Neuerer, die die damalige Öffentlichkeit für litterarische Gecken hielt, wagten es, auf den Pfaden des gelästerten Sängers zu wandeln. Havlicek, der heftig den inhaltleeren Patriotismus und die sentimentale Romantik angriff, um dem bei den Russen gelernten Realismus Bahn zu brechen, fand außer seiner tapferen Mitkämpferin Bo~ena Nemcova, die ihr tief poetisches Gemüt oft in den Dienst der reali$tischen Kleinmalerei stellte, fast keinen Anklang. Einige gelehrte Forscher und Kritiker, denen die modeme Welt1itteratur nicht verschlossen blieb, beschäftigten sich liebevoll mit der zeitgenössischen Poesie der Deutschen, Franzosen und Engländer, ahmten sie in ihren steifen Versen ohne Glück nach, interpretierten sie kundig in ihren Abhandlungen; aber weil sie vereinsamt dastanden, blieben ihre Bemühungen erfolglos. Erst als die junge Generation, deren Knabenjahre von dem grellen Lichte der politischen Revolution beleuchtet waren, mündig geworden war, versuchte man die Litteratur und durch die Mittel derselben das gesamte Leben im Geiste der modemen Anschauungen zu erneuern. Einige von den Anhängern der radikaldemokratischen Partei vom Jahre 1848 stellten sich in die ersten Reihen dieser litterarischen Jugend, die so oft und so gern die Poesie mit dem Journalismus verwechselte; blutjunge Dichter, die kaum ihre unreifen Erstlingswerke veröffentlicht hatten, wurden in der Polemik am lautesten; man befehdete leidenschaftlich und beredt die ältere konservative Litteratur, und während man entschieden den beschränkten Patriotismus verwarf, bürgerte man eifrig die jungdeutschen Vorbilder und Ideen ein. Das Programm der neuen Schule zeigt eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Kredo des Jungen Deutschlands. Man verlangt eine lebenswahre und lebensfrohe Kunst, die mit der modemen Zeit im völligen Einklang stehe; dagegen verwirft man das anmutige Spiel der romantischen Phantasie, die auf das Leben keinen direkten Einfluß ausübt, ebenso wie die historische Dichtung, welche alle Aufmerksamkeit von der Gegenwart auf die Vergangenheit lenkt. Man begeistert' sich für tendenziöse Litteratur, die sich mit sozialen Problemen beschäftigt; man zeigt eine aufrichtige Vorliebe für das großstädtische Leben, für die arbeitenden 283 Klassen, für die politischen Wirren; man deckt mit einer gewissen Naivität geschlechtliche Konflikte auf. Es ist eine antiromantische und liberale Generation, und antiromantisch und liberal sind auch ihre Vorbilder: Byron neben V. Hugo, Heine und Lenau neben den politischen Lyrikern aus den vierziger Jahren, Beranger neben Petöfi, werden gelesen, gepriesen und nachgeahmt. Die jungen Dichter wollten aber keineswegs, wie es ihnen ihre konservativen Widersacher konsequent vorgeworfen haben, bei diesen fremden Mustern sklavisch verharren; sie verlangten von ihnen vielmehr nur fruchtbare Anregungen, wie sie sich zu einer neuen Auffassung der nationalen Kunst emporarbeiten könnten. Die besten von ihnen waren eifrig bestrebt, aus dem cechischen Volksgeiste mit echt künstlerischen Mitteln moderne Litteraturwerke zu schaffen, wie es auf anderen Gebieten ihren beiden großen Zeitgenossen, dem genialen Musiker Bedfich Smetana und dem ungemein originellen Zeichner und feinen Maler Josef Manes, meisterhaft gelungen war. In ihren vollendetsten Schöpfungen sind ]an Neruda und Karolina Svetla diesem Ziele sehr nahe gekommen. Was allerdings in den meisten poetischen Produkten der neuen Schule befremden mußte, das war ihr unbeholfener, steifer, nüchterner Stil; während man sich von der überschwänglichen, verschwommenen Pathetik und dem zierlichen, süßen Idyllismus der älteren cechischen Poesie abgewendet hatte, mußte man in der trockenprosaischen Alltagssprache dafür Ersatz suchen, und so betonten diese Schriftsteller, die stets unter dem nachhaltigen Einfluß der Journalistik und des Feuilletonstils zu leiden hatten, immer das Charakteristische in der Sprache auf Kosten des Schönen. Neben Macha, dessen einzig dastehende Sprachkunst von keinem seiner Nachahmer und Schüler erreicht wurde, wirkte von den Vorgängern vielleicht nur K. ]. Erben mit seinem bezeichnenden, knappen, zusammengedrängten, scharf geschliffenen Stile; die Führer der ganzen Bewegung, Neruda und Halek, blieben auch in späteren Jahren der Erbenschen Balladistik getreu. Zuerst traten die ,einzelnen Anhänger der neuen Richtung in einer ziemlich farblosen und neutralen Zeitschrift l>Lumfr« (1851-1864) auf, welcher, lange die einzige belletristische Zeitschrift, sich unter der gewissenhaften Leitung des feinen Kunst- - 284 - kenners und geschickten Dramatikers Fe r d i n a n d B r e t i s I a v Mikovec (1826-1862) einen guten Ruf erworben hatte. Dann versammelte sich die ganze Gruppe in zwei interessanten Musenalmanachen, ~Lada Niola« (1855) und ~Maj« (1858-1862), die als kühne Manifeste der neuen Richtung in der düsteren und müden Zeit befreiend und erleichternd wirkten; eine ganze Reihe von litterarischen Gründungen aller Art, die jedoch allzu früh scheiterten, folgte diesen merkwürdigen Publikationen. Von den älteren Anhängern der neuen Schule ist besonders J 0 s ef Va cl a v Fr i c (1829-1890) mehr durch seine Menschenschicksale als durch seine künstlerischen Schöpfungen interessant. Er bewegte sich sein Leben lang, wie sein älterer Kommilitone K. Sabina, eine rätselhafte, dämonische Existenz, die unter der Jugend gern die verlockende Rolle eines Mannes von Übermorgen spielte, abwechselnd zwischen Rednerbühne und Kerker, zwischen Journalredaktion und Untersuchungshaft; beide haben lange Jahre im Ausland als unfreiwillige Emigranten verbracht. Fric, der seinen Ruhm um fünfundzwanzig Jahre überleben mußte, war ein echter Don Quichotte des politischen und litterarischen Radikalismus: stets predigte dieser ewige Jüngling in kühnen Worten und salbungsvollen Versen die schöne Tat, zu der er selbst nie gekommen ist; sooft er von Freiheit sprach, sprühte er von Begeisterung, Leidenschaft und Stolz - aber als man nach seinem Tode seinen litterarischen Nachlaß musterte, fand man, daß ein dünnes Versbüchlein und ein dickleibiges Memoirenwerk von einem fast lächerlichen Selbstbewußtsein das Endergebnis seines langen Lebens sind. Fast zwanzig Jahre hindurch hielt man den fruchtbaren und vielseitigen Vitezlav Halek (1835-1874) für den Führer der ganzen Generation. Sein selbstbewußtes Auftreten, sein feuriges Temperament, sein gebieterischer Geist, seine organisatorische Begabung sowie seine glänzenden Erfolge auf allen Gebieten der Dichtung sicherten ihm lange den ersten Platz in dem gesamten cechischen Schrifttum. Halek, ein gesunder Sohn des fruchtbaren Mittelböhmens, widmete sich ausschließlich der Journalistik und der Litteratur, und da er, reich verheiratet, auch gesellschaftlich gesichert war, übte er als Kritiker, als Mitarbeiter der populärsten Tageszeitung, der )Narodni Listy« () Nationalzeitung «), als Redakteur von mehreren Zeitschriften ()Obrazy zivota« [»Lebens- - 285 - bilden] und )Rodinna kronikall: [»Familienchronih», einer vorzüglichen Romanbibliothek, und endlich als mächtiger Faktor in der » Umelecka Besedall: (Künstlerressourcell:), dem einzigen bedeutenden litterarischen Verein in Prag, einen ungeheueren Einfluß aus. Junge Dichter warben um die Gunst des litterarischen Diktators, cechische Studenten, an die sich Halek in einer warmen und klugen Tendenzschrift wendete, beteten ihn an, den braven Bürgern, die patriotisch gesinnt, aber litterarisch ungebildet waren, imponierte sein stolzes Selbstbewußtsein, die Damen waren von seinen verführerischen und süßlich sentimentalen Liebesliedern bezaubert. Die Kritik, die sowohl sein Erstlingslied wie auch sein reifstes Liederbuch zum Prüfsteine ihrer analytischen Fähigkeit wählte, bemühte sich zu zeigen, daß seine Kunst ihre oft recht engen Grenzen habe, und daß man in jedem seiner allzu rasch improvisierten Bücher aufmerksam Spreu von Weizen sondern müsse. Aber diese ehrlichen Versuche fanden in der Öffentlichkeit keinen Anklang; Haleks künstlerische Größe wurde zu einer Legende, die erst in der allerletzten Zeit zerstört wurde. Bei Halek, der seine ersten, recht holperigen Verse in Erbens balladischer Manier als neunzehnjähriger Student veröffentlicht hatte, war stets die glücklichste Inspiration mit dem völligsten Mangel an poetischer Kultur gepaart. Diesem kraftstrotzenden Temperament, das mit einer leidenschaftlichen Hast arbeitete, ge· brach es stets an der stilvollen Disziplin. So sucht man in diesem fleißigen Schriftsteller, dessen \Verke elf große Bände ausfüllen, vergeblich den zielbewußten, reifen Künstler. Wie fast alle Mitglieder der neuen Schule, wurde auch Halek von allerlei fremden Vorbildern beeinflußt und recht lange beherrscht; als Lyriker lernte er bei Heine und Lenau, als Epiker ahmte er Byron, als Dramatiker Shakespeare nach; auch seine frischen Erzählungen aus dem böhmischen Landleben sind ohne Bret-Harte und Turgeniew nicht denkbar. Doch es gelang ihm nicht, diese Einflüsse organisch zu verarbeiten; überall begegnet man bei ihm den krassesten Nachahmungen, ja wörtlichen und inhaltlichen Reminisz~nzen, in seiner Jugenddichtung sogar vergröbernden Zügen, die an unwillkürliche Karikatur und Parodie grenzen. Dabei ist seine Form oft unbeholfen und hart, sein Ausdruck dunkel und schwülstig; überhaupt ist er nie ein Versund Reimkünstler gewesen. - 286 - Doch der Leser wird dafür durch manche poetischen Vorzüge entschädigt. Halek besaß eine wundervolle Kraft der unmittelbaren, originellen Beobachtung, einen feinen Sinn für das Individuelle in der Natur und dem Menschenleben; er skizziert die ganze Landschaft mit ein paar leicht hingeworfenen Zügen sicher und treu; er malt eine prächtige Figur aus dem Volke mit wenigen bezeichnenden Strichen seines spitzen, dabei doch satten Pinsels. Seine Helden liebt und haßt er aufrichtig; die Natur betet er in einem begeisterten Enthusiasmus an; für die Freiheit des Individuums sowie des einzelnen Volkes, für die ewigen Rechte des leidenden Menschengeschlechtes, der Tradition und der Konvention gegenüber eifert er mit einem schwärmerischen Pathos. Ein echter Sohn des liberalen Zeitalters, streitet er gegen den staatlichen Absolutismus sowie gegen den starren Dogmatismus der römischen Kirche; hingegen findet in seinen schönen Naturliedern die moderne, wissenschaftliche Lebensauffassung einen schönen, wenn auch sehr naiven Widerhall. Das Einzelne wird bei ihm immer auf Kosten der gesamten Lebenseinheit betont; so sind seine poetischen Erzählungen eine freie Reihe von anmutigen Situationen und üppigen Landschaftsschilderungen ; so bieten seine hochtrabenden Dramen kaum mehr als einzelne wirkungsvolle Szenen; so bildet immer eine interessante, bis ins Detail ausgearbeitete Figur den Mittelpunkt der ganzen Handlung in seinen Novellen. Auch in seiner Lyrik hebt sich immer ein eigenartiges Naturdetail, das manchmal geistreich oder witzig pointiert wird, scharf von dem stimmungsvollen Hintergrund ab. In dasselbe Verhältnis zu der gesellschaftlichen Gesamtheit stellt der Dichter seine eigenen Schicksale; ein Epigone des Byronschen Titanismus, verlangt der selbstbewußte Poet eine Ausnahmestellung in der ganzen Menschheit, wie sie dem gotterfüllten Seher und Propheten gebührt. Als Gymnasiast versuchte sich Halek in der volkstümlichen Ballade, die bei ihm viel düsterer und derber als bei Erben wurde; bald aber gewannen Heine und Byron sein ganzes Herz. In seinen »Vecernf pfsne« ( »Abendlieden 1858, deutsch von G. Dörfl) finden wir einen süßlichen, sentimentalen, verwässerten, witzlosen Heine. Dann folgen zahlreiche Verserzählungen in Byrons Manier, die gewöhnlich eine dunkle und abgeschmackte Handlung in verschiedene, meistens exotische Zeiten und Gegenden - 287 verlegen oder auch einheimische Geschichte allegorisch und pathetisch darstellen. Der dünne epische Faden verliert sich ganz in einer endlosen, überschwänglichen Reflexion und in einer buntscheckigen, üppigen Landschaftsmalerei ; es wird sehr wenig gehandelt, aber desto eifriger, oft nur monologisch gesprochen, wobei die Freiheit und die treue Liebe das Hauptthema dieser schwülstigen Tiraden abgeben. Doch es wäre ungerecht, wollte man alle diese Verserzählungen, die volle fünfzehn Jahre umfassen, in einen Korb werfen. Wenn man die erste Verserzählung, »Alfred« (1858), die übrigens allzu sklavisch Machas »Mai" nachahmt, mit der letzten, "Devce z Tater" (»Ein Mädchen vom Tatragebirge«, 1871), vergleicht, muß man das ehrliche Streben nach natürlicher Handlung, scharfer Charakteristik, lebenswahrer Poesie anerkennend bemerken. Das letztgenannte Werk bildet eine lehrreiche Parallele zu Haleks dem Volksleben entnommenen Novellen, die den Gipfel seiner Epik bedeuten. Zuerst interessierte ihn auch in der Prosa das romantische Lebensgewirre auffallender Ausnahmenaturen, deren Schicksale er oft wunderlich ausgestaltete; aber bald warf die erste kräftige Welle des modernen Realismus, den man damals gern als eine interessante Genremalerei auffaßte, ihn auf neue Bahnen. Er vertieft sich in das alltägliche Leben seiner Landsleute aus der mittelböhmischen Ebene, und hier entdeckt er, auf den Spuren von B. Nemcova und Fr. Pravda wandelnd, einen unerschöpflichen Reichtum von originellen Typen, von rührenden Schicksalen, von spannenden sozialen Verhältnissen und Beziehungen; da fühlt er sich zu dieser Fülle der heimischen Wirklichkeit hingezogen, da verliebt er sich in diese urwüchsigen Vollblutnaturen, da wird er zum beigeisterten Anwalt dieses Landvolkes. So entsteht neben seinem eigenartigen, kernigen Balladenbuch, »Pohadky z nasi vesnice« (»Märchen aus unserem Dorfe", 1874) eine Reihe von frischen, lebensvollen Novellen und Erzählungen, unter denen besonders die längeren Arbeiten "Na statku a v chaloupce« (»Auf dem Meierhofe und in der Hütte«, 1873) und "Pod dutym kopcem" (» Unterhalb des kahlen Berges«, 1874) zu nennen sind. Doch blieb die Gunst des Publikums immer eher dem Lyriker Halek zugewandt. Dieser, nachdem seine Dramen, die in der Entwicklungsgeschichte des böhmischen Theaters ein Kapitel für - 288 - sich bilden, den erwarteten Erfolg nicht hatten, widmete seine besten Kräfte einer neuen Liedersammlung »V pfirode" (In der Natun 1872-1874). Es sind wiederum kleine landschaftliche Bildchen und Naturskizzen, wie Halek sie auch in seinen frischen Feuilletons und Reiseschilderungen zu zeichnen wußte, anmutige, oft kecke Liebeslieder, wie in seiner älteren Sammlung; hier und da spukt noch immer Heine und Lenau; oft wird der erhabene Naturpantheismus zu einer Naturschwärmerei verwässert. Doch der erotische Gefühlsdusel ist schon gänzlich überwunden; es meldet sich vielmehr ein köstlicher Humor, eine vorzügliche Detailmalerei. Aber wenn der Dichter philosophisch meditieren will, werden seine Gedanken über die ewig gültigen Naturgesetze oft zu bösen Gemeinplätzen, deren süßlicher Optimismus auf die Länge ganz unverdaulich ist. Der Dichter versöhnt jedoch bald seinen verstimmten Leser, indem er mit ein paar plastischen Bildern, in wenigen kräftigen Versen das geheimnisvolle Waldweben und Waldrauschen hervorzuzaubern weiß. Dieses Versbuch wirkte auf die cechische Lyrik am stärksten; selbst Jaroslav Vrchlicky, dessen poetische Kunst ihre Anregungen größtenteils von der ausländischen Dichtung empfangen hat, ließ es in seiner ]ugendzeit auf sich wirken; wogegen sich Svatopluk Cech an Haleks byronistische Verserzählungen angeschlossen hat. Von Haleks hübschen Novellen aus dem Volksleben konnte die realistische Prosadichtung erst später manches lernen. Haleks berückende Persönlickkeit und leicht zugängliche Poesie stellte seinen treuen Kommilitonen und Freund, den weit bedeutenderen und tieferen Künstler J an N eruda (1834-1891), sehr lange in den Schatten. Man sah in ihm jahrelang nur einen begabten Journalisten, einen flotten Causeur, einen anmutigen Stilisten, der alle Spielarten der leichten Prosaskizze, vom ausgelassenen Feuilleton bis zur genrehaften Kleinmalerei des modemen Lebens, von der farbenreichen Reiseschilderung bis zum geistreichen Theaterberichte meisterhaft beherrschte; man nahm zugleich an, daß seine dünne lyrische Quelle, die er in seiner Jugendzeit durch Röhren und Druckwerk aus sich heraufpressen mußte, vollständig versiegt sei, und daß er, ein strenger Walter der schonungslosesten Autokritik , ehrlich genug sei, dieses sich selbst zu gestehen. Sein ganzes Verhalten der Öffentlichkeit gegenüber schien diese Annahme zu bekräftigen: nach- 289 dem er den lohenden Schmerzen und dem scharf nagenden Zweifel seiner Sturm- und Drangperiode poetischen Ausdruck gegeben hatte, verstummte er als Lyriker und sah als ruhiger Betrachter und wohlwollender Kritiker, wie Halek überall Erfolge erntete, und wie dann später Sv. Cech und J. V rchlickj zu Königen des cechischen Parnasses ausgerufen wurden; seine litterarische Tätigkeit blieb jahrelang auf Journalistik und auf eine allerdings nur ausnahmsweise großzütige Novellistik beschränkt. Da schießt auf einmal nach dieser langen Pause, welche die siebziger Jahre ausfüllt, die lebendige Quelle seiner Poesie in reinen und frischen Strahlen empor; der Dichter veröffentlicht binnen fünf Jahren drei vortreffliche Gedichtbücher, von denen ein jedes eine neue Saite seiner poetischen Begabung erklingen läßt. Alles, was in seinen unfertigen Erstlingswerken kaum angedeutet war, wird jetzt mit einer sicheren und zielbewußten Kunst durchgeführt. Aber, was noch schwerer wiegt, es steht hier vor den staunenden Blicken der litterarischen Öffentlichkeit, welche so lange mit dem willkürlichen Eklektizismus und mit der epigonenhaften Schönmalerei nach berühmten Mustern vorlieb nehmen mußte, ein ungemein origineller Künstler von echt nationaler Eigenart und wundervoller Stilreinheit. Der konsequente Vorkämpfer des litterarisC'hen Weltbürgertums von früher, der spöttische Verächter des landläufigen Patriotismus von gestern, erschien auf einmal als vollendeter Meister des volkstümlichen Stiles, als intimer Kenner der cechischen Volksseele, ja als ein leidenschaftlicher Bekenner eines patriotischreligiösen Mystizismus, der an die polnischen Romantiker der traurigsten Emigrantenzeit erinnerte. Und endlich: dieser Dichter, dessen poetische Anfänge noch stark von der Spätromantik beeinflußt waren, stellt sich an die Spitze einer neuen realistischen Poetik; tapfer emanzipiert sich Neruda von dem üppigen Verbalismus, der schreiend pleinairistischen Koloristik, von der hohlen Rhetorik seiner Zeitgenossen und schreibt gedrängt, knapp, ja wortkarg, wie er es bei Erben und Celakovskj lernen konnte; trifft immer mit einem bezeichnenden Epitheton, mit einem überraschenden Bilde den Nagel auf den Kopf; erhebt sich in seinen äußerlich so einfachen und kunstlosen Liedern zu einer intimen psychologischen Introspektion, der auch die Jakubee-Novak. Cechische Litteratur. 19 290 - modernsten Seelenergründer ihre Bewunderung nicht versagen können. Bis an sein Ende wächst N eruda poetisch; noch in seinem Nachlasse findet man eine Reihe von patriotischen Gesangen, die, in einem kleinen Band vereinigt, sein Lebenswerk würdig und erhaben abschließen. Nerudas an erschütternden Erlebnissen allzu arme Biographie ist als begleitender Text' seiner litterarischen Entwicklung lehrreich und wichtig. Aus einer armen Proletarierfamilie stammend, verbrachte Neruda seine Jugend auf der Kleinseite unterhalb des Hradschins in Prag inmitten ihrer pittoresken Architektur und ihres altmodischen Kleinbürgertums und wurde zugleich mit den alten' Prager Traditionen und mit den sozialen Verhältnissen der ärmlichen Volksschichte~ intim bekannt. Stets fühlte er mit dem unterdrückten fünften Stande, stets hob er seine Angehörigkeit zu demselben hervor, stets protestierte er gegen den harten, gewaltsamen Egoismus der herrschenden, damals meistens deutschen Klassen, die er als entschiedener Demokrat und zugleich als begeisterter Ceche ehrlich und leidenschaftlich haßte. So bekamen sein politischer Liberalismus und sein demokratisches Cechentum, wie sie sich in der schwülen Atmosphäre der reaktionären fünfziger Jahre entwickelt hatten, einen herben sozialen Beigeschmack; auch empfand Nerudas tiefer und grübelnder Geist schmerzvoller als andere die schwere Stickluft dieser trostlosen Zeit, für die er die passende Bezeichnung einer Periode, wo man lebendig begraben wird, geprägt hat. Rein persönliche Erlebnisse kommen hinzu, um das Gemüt des jungen Dichters noch düsterer zu stimmen. Neruda, der sich für die Mittelschulprofessur vorbereitet hatte und schon als Supplent an einer deutschen Realschule in Prag angestellt war, entsagte endlich, um die unbeschränkte Freiheit seiner Persönlichkeit zu wahren, diesen Plänen und entschied sich für die damals ebenso unsichere wie sozial bedenkliche journalistische Bahn, die ihn zuerst in die Redaktion eines deutschen Prager Blattes führte, wo er Lokalberichte schreiben mußte. Seine intimsten Träume, ein trautes Heim mit einem tief, aber ganz eigentümlich geliebten Mädchen zu gründen, wurden dann, als ihm sein journalistischer Beruf keine genügende pekuniäre Grundlage bot, überhaupt nicht verwirklicht. Auch war Nerudaein seltsamer Liebhaber. Eine leiden- - 291 schaftliche Sehnsucht nach der völligsten Hingabe kämpfte in seinem Herzen beständig mit kühlem, analytistischem Verstande, der mit,llem ätzenden Scheidewasser der bittersten Selbstironie das eigene Gefühlsleben zerstört; in seiner Seele erklangen neben den zärtlichsten Akkorden einer echt romantisch-sentimentalen Erotik auch spöttische, bittere Töne eines skeptischen Sarkasmus; - und wenn doch der Dichter endlich den bösen, mokanten Mephisto in seinem eigenen Innern überwand und sich sanft und ergeben seiner Geliebten, die ihn allerdings nie begriffen hat, näherte, so mußten die bei den die traurigen Worte Grillparzers ~wir glühten, aber, ach, wir schmolzen nicht« an sich erleben. Bald ergreift Neruda eine neue Macht und wird zum Schutzgeist seiner Entwicklung: Karolina Svetla. Am Anfang der sechziger Jahre stand die leidenschaftliche Don - Juan - Natur Nerudas in intimem Liebesverhältnis zu der um vier Jahre älteren Frau, der später so berühmt gewordenen Meisterin der Prosaerzählung, die im bürgerlichen Leben die Gemahlin eines tugendhaften, beschränkten Oberlehrers war. Neruda, eine Art Alfred Musset , war damals mit der Welt ganz zerfallen; in Schulden und unwürdige Liebesaffären verstrickt, ohne Glauben an Gott und Menschen, führte er ein dumpfes, trübes Leben. Da wollte ihn seine Freundin, die als Frau hoch über ihrer litterarischen Lehrerin, George Sand, stand, durch ihre läuternde Liebe retten; ihr Tiefblick hat ja schon damals die Bedeutung des jungen Stürmers erraten. ~Sie tropfte Mäßigung dem warmen Blute, richtete den wilden, irren Lauf, und in ihren Engelsarmen ruhte die zerstörte Brust sich wieder auf.« Doch als ihr Werk vollbracht war, trennten sich die beiden , besonders war es Svetla, die die Lästerungen der spießbürgerlichen Umwelt nicht ertragen konnte. Die bei den Dichter tilgten ja selbst alle Spuren ihrer gegenseitigen Liebe und haben eianander nie mehr begegnet. In den Werken von Svetla, wo der Messianismus der weiblichen Aufopferung das ethische Grundthema bildet, zittert allerdings der Nachhall dieses tragischen Liebesromans viele Jahre hindurch nach; dagegen schweigt Nerudas Lyrik vollständig über die befreiende Liebe dieser edlen Frau. Manch zartes Frauenherz fesselte Neruda noch später; aber er trug bis ans Ende die Maske eines kalten und zähen Verstandesmenschen, der für das ruhige Eheleben gar nicht geeignet 19* - 292 - war; nur in seiner intimsten Lyrik bebt manchmal die zarte und tiefe Trauer des vereinsamten Herzens, das sich auch danach gesehnt hat, »den feinen Lockenkopf eines Kindes zu streicheln«. So erschien er endlich in seinen letzten Lebensjahren in den Prager Gassen als alter, oft mürrischer Junggeselle in der Begleitung eines Dienstmannes, welcher den siechen und verlassenen Mann stützen mußte, dessen Löwenkof, schön umrahmt vom grauen Haar und Bart, den Eindruck eines alten Geisteshelden hinterließ. Doch dazwischen liegt eine Reihe von bewegten Jahren, wo Neruda den tapferen Kampf eines modernen Schriftstellers und eines ehrlichen Journalisten kämpfte. Nerudas Erstlingsbuch »Hfbitovni kviti« (»FriedhofsblumenCymbal a husle« (»Cymbel und Geigef, 1876) oder »Horec a srdecnik« (>Enzian und Studentenröschen« , 1884), gesammelt sind, sondern auch einen anmutigen und stilvollen Rahmen zu seinen poetischen Erzählungen. Während Halek in seinen poetischen Erzählungen geradezu an Byron angeknüpft hat, und während auch später Svatopluk Cech diesem großem Vorbilde treu geblieben ist, hat Heyduk in seinen versifizierten Geschichten eine ganz andere Richtung eingeschlagen als die cechischen und polnischen Byronisten. Die epische Handlung, die für diesen geborenen Lyriker immer nur eine Nebensache bleibt, ist gewöhnlich dürftig und unbedeutend: er erzählt eine rührende Lebensgeschichte eines Mannes aus dem Volke, er schildert ein keusches und unschuldiges Liebesidyll, er entrollt ein liebenswürdiges, oft konventionell glückliches - 300 -- Familienbild. Seine edelgesinnten Helden und seine zartfühlenden HeIdinnen handeln und denken nie; sie vergehen fast in ihrer überquellenden Sentimentalität, in einem seltsamen Rausch von Sehnsucht, Zärtlichkeit und Empfindsamkeit; ja, man ist stets geneigt, anzunehmen, daß sie vor lauter erhabenen Gefühlen das einfache Denken gänzlich verlernt haben. Alle sind dabei leidenschatliche Naturfreunde und Schönheitsbewunderer, alle begeistern sich bei jeder Gelegenheit für Berg und Tal, Blumen und Bäume, singende Vögel und rauschende Bäche; alle sind aufrichtige Patrioten, meistens auch warme Slawen. So wirken Heyduks poetische Erzählungen, sei es die ins altertümliche Gewand gekleidete Liebesidylle »Oldfich a Bo~enal/. (1883) oder seine Lebensbilder aus dem Böhmerwalde, wie »Dfevorubec l/. ( ) Der Holzfällen, 1882) und )Bela« (1886), nirgends durch ihre Lebenstreue und durch realistische Charakterzüge; vielleicht auch eben deshalb kann man dem süßen, duftigen Zauber seiner allegorischen Märchen, von denen besonders 7>Dedüv odkazl/. (7)Des Großvaters Vermächtnis~, 1879) berühmt geworden ist, kaum widerstehen. Doch dieser schreibfreudige Poet, der - Rückert nicht unähnlich - zwischen dem Bedeutenden und dem Kleinlichen in seinen eigenen Leistungen nicht zu unterscheiden wußte, versuchte sich auch als Balladist und als monumentaler Historienmaler und wollte sogar auf seiner lyrischen Leier die tragischen Geschicke seiner Nation im dreißigjährigen Kriege besingen (7)Za volnost a virul/., d. h. »Freiheit und Glaube,« 1813). Natürlich scheiterten diese Versuche gänzlich. Es bleibt der Nachwelt vorbehalten, in Heyduks Lebenswerk das Bedeutende, das in seiner lyrischen Kleinkunst verborgen liegt, von dem Wertlosen zu sondern und so zu retten. Während es Adolf Heyduk gegönnt war, ein langes, fruchtbares Leben in beschaulicher Einsamkeit zu genießen und erst in späten Jahren seine reifsten Früchte zu pflücken, mußten zwei von seinen gleichaltrigen poetischen Mitbewerbern allzu früh ihr torsoartiges Lebenswerk verlassen. Es waren die beiden reichbegabten Lyriker Rudolf Mayer und Vaclav Sole, deren dünne Bändchen das edelste Streben nach neuem poetischem Gehalte bezeugen. Der ältere von ihnen, Rudolf Mayer (1837-1865), ver- - 301 schied in seinem achtundzwanzigsten Jahre, bald nachdem er seine juristischen Studien abgeschlossen hatte; die Schwindsucht raffte ihn dahin. Es war ein zarter, sensitiver Melancholiker, Lenau verwandt, dessen große, tiefe Augen in das Jenseits gerichtet waren, und der mit der Nacht, mit dem Halbdunkel, mit dem Traume und mit der Sehnsucht vertrauter war als mit der Sonne, dem Licht und mit der alltäglichen Wirklichkeit. Seine Lieder und Sonetten, die ungemein melodisch und weich klingen, stehen noch unter dem Byronschen Einflusse, doch Mayer kennt nur die schwermütige, düster melancholische Note seines heißgeliebten Meisters; Byrons titanenenhafter Trotz, seine ätzende Kritik der menschlichen Gesellschaft, sein stolzer Sarkasmus sind ihm, wie den meisten Byronschülern in Böhmen, dagegen durchaus fremd. Aber Mayer versuchte sich auch auf anderen, selbständigeren Bahnen, wenn noch oft unsicher; er neigt sich mitleidig und liebevoll zu den bedrückten Proletariern; er interessiert sich für die sozialen Konflikte des Arbeiters und des Arbeitgebers und findet für ähnliche, damals noch hypermoderne Stoffe einen schwungvollen poetischen Ausdruck, der in seiner wortreichen Rhetorik und seinem humanen Liberalismus oft an Freiligrath erinnert. Kräftiger und vielseitiger als Mayer war allerdings der jüngere Vaclav Solc (1838--1871); aber die psychologischen Feinheiten, welche bei Mayer bezaubernd wirken, darf man von diesem verbummelten Bauernsohn und verirrten Bohemien nicht erwarten, wiewohl er als Formkünstler die meisten Zeitgenossen übertrifft. Goethes strenges und gerechtes Urteil über Günther, dessen Schicksale Solc durchleben mußte, trifft auch bei Solc wörtlich zu: er konnte sich nicht zähmen, und so zerrann ihm sein Leben wie sein Dichten. Seine Begabung war urwüchsig und dabei doch ungemein reich: er beherrschte sowohl das einfache volkstümliche Lied als auch die beredte Ode; er war zugleich zarter Liebesdichter und wuchtiger Rhetoriker; neben kleinen frischen Genrebildern aus der Großstadt und der Vorstadt findet man bei ihm breitangelegte Skizzen zu großen historischen Gemälden; ein üppig-sinnlicher Orientalismus, welcher sich auch in der schwierigen Ghaselenform offenbart, wechselt bei ihm mit schlichtester Heimatkunst. Was jedoch seinen Gedichten, die unter dem Titel »Prvosenky~ (»Primeln«, 1868) erschienen - 302 - sind, innere Einheit verleiht, das ist die konsequent durchgeführte Idee des liberalen Demokratismus: hier spricht ein selbstbewußter Bauernsohn, dessen Väter noch unter der Leibeigenschaft leiden mußten, und dessen Ahnen gegen die weltliche und geistliche Obrigkeit so mutig sich auflehnten, hier spricht ein stolzer Ceche, dessen Volk politisch geknechtet ist, hier spricht ein leidenschaftlicher Slawe, der alle Feinde und Bedrücker seines Stammes haßt und verachtet. Und so preist Sole sowohl die polnische Revolution als auch den Aufstand der Südslawen gegen das türkische Joch; so besingt er sowohl den Kampf der cechischen Nation um das alte, gute Recht als auch die Emanzipation des fünften Standes. Der ungarische Achtundvierziger Petöfi und der Pariser Volksdichter Beranger haben ihn dabei stark beeinflußt; besonders diesem hatte Sole seine volkstümliche, knappe, coupletartige Form entnommen, der er auch seine Popularität verdankt. Seine Gedichte, die bei all seinem improvisatorischen Verfahren oft reife technische Kunst verraten, waren sehr einflußreich. Besonders war es Svatopluk Cech, der die Balkanische Halbinsel und den slawischen Orient mit Soleschen Augen gesehen und in seiner Manier besungen hat; aber auch Vrchlickys westöstliche Formkunst empfing von Sole" manche Anregung. - Nicht so glänzend und mannigfaltig wie die Lyrik hat sich in dem Zeitalter Nerudas und Haleks die cechische Novellistik und Romankunst entfaltet; aber auch hier darf man von einer Verjüngung der cechischen Litteratur sprechen. Dürftig und unbedeutend war alles, was die neue Generation auf dem Gebiete der prosaischen Erzählung vorfand; seichte historische Romane, die sich sklavisch an Walter Scott anschlossen, naive Detailmalerei aus den Kreisen des Kleinbürgertums, die bisweilen mit schüchterner Satire und einem ängstlichen Humor ausgestaltet war, süßliche, philiströse Liebesgeschichten mit patriotischer Tendenz - das bildete damals den Grundstock der cechischen Prosa. Nur die frischen idyllisch realistischen Erzählungen aus dem Volksleben von B. Nemcova bildeten in dieser tristen Öde eine lobenswerte Aus:nahme: doch auch in dieser fand die neue, feurige Generation nur einen allzu engen Ideenkreis , einen unbedeutenden Lebensausschnitt, eine idyllische, primitive Auffassung, wenn auch die Schriftstellerin den modernen Tendenzen nicht un- - 303 - zugänglich gewesen war. Die Forderungen, welche die neue Schule an die Prosa stellte, lauteten dagegen: Modernes Leben! Fortschrittliche Tendenzen! Streben nach Einheit der Kunst und der Wirklichkeit! Freie Lebensanschauung ! Soziale Kunst! Energisches Eingreifen in die Tageskämpfe ! Schöne Tat! Da jedoch keiner der Vorgänger diesem Programm, das durchweg von dem Jungen Deutschland übernommen war, entsprach, mußte man sich zuerst mit fremden Vorbildern bequemen. Neben den jungdeutschen Prosaikern, die man eifrig, aber kunstlos nachahmte, übte vorzüglich George Sand einen ungeheuren Einfluß aus. Als sie in Böhmen allerlei Dokumente zu ihrem Roman )Consuelo« und ~Der Gräfin von Rudolstadt« sammelte, lernte sie einen geistreichen und feingebildeten Kunstkenner und Kritiker, den berühmten Arzt J. R. Cejka kennen; dieser wurde nicht nur zu ihrem Begleiter, sondern dann auch zu ihrem Apostel in Böhmen. Seine Freundin Bozena Nemcova wußte er zwar nicht zu bewegen, die Bahnen George Sands zu betreten; bald fand er aber in den zwei Schwestern Rott, die später als Karolina Svetla und Sofie Podlipska in der Litteratur bekannt wurden, treue Anhängerinnen und Schülerinnen seiner berühmten französischen Freundin. Die Jugend von Karolina Svetla (1830-1899) wurde von einem doppelten mächtigen Einfluß bestimmt, dem des Prager Milieus und dem der böhmischen nationalen Wiedergeburt. Johanka Rottova, wie sie mit ihrem bürgerlichen Mädchennamen hieß, stammte aus einer angesehenen, altertümlichen Familie, die in einer originellen Ufergasse der malerischen Prager Altstadt ansässig war und treu an den Traditionen der halbdeutschen bigotten Bürgerschaft hing. So lernte K. Svetla ein ganz anderes Prag als z. B. Neruda kennen: das stolze, düstere, historische Prag mit der ganzen Tragik der Gegenreformation sowie mit den romanhaft verwickelten Familienverhältnissen der vermögenden und sittenlosen Bourgeoisie und Kaufmannswelt. In dieser Umgebung, an der die moderne Zeit spurlos vorübergegangen war, schuf sich das interessante junge Mädchen mit den tiefernsten Augen ihr eigenes, ganz romantisch gefärbtes Bild von dem Ideengehalt der nationalen Wiedergeburt: es war für sie vielmehr eine religiös-soziale Bewegung, die mit all diesen ungesunden und fremdartigen Verhältnissen in Prag aufräumen - 304 - und die schlummernden Kräfte des Volkes zu neuem Leben aufwecken werde. Der moderne Liberalismus, der freisinnige Kampf gegen jeden starren religiösen Dogmatismus und kirchlichen Zwang, die Hebung der arbeitenden Klassen, besonders aber die Emanzipation des Weibes gewannen bald das junge Herz der feurigen Idealistin, bei der stets das Gefühl in siegreicher Opposition gegen die kalte, nüchterne Vernunft stand. Doch dies überschäumende Gefühl wußte ihre spießbürgerliche Familie streng und unbarmherzig zu dämmen; jede Beschäftigung mit der Litteratur wurde dem begabten Mädchen verboten, und dann hat man ihr einen braven, aber äußerst nüchternen Mann in dem patriotisch gesinnten Oberlehrer Petr MuMk ausgesucht. Aus der trüben Enge ihrer langweiligen Ehe wollte sich Karolina Svetlä durch die Liebesfreundschaft mit Neruda, die bereits erwähnt wurde, retten. Doch allzu schwer litt sie unter den Anfeindungen der niedriggesinnten Umwelt und so hat sie mit ihrem Freunde, der unter ihrem Einfluß geläutert wurde, gebrochen. Der stolzen entsagenden Natur blieb nur die Schriftstellerei. Zuerst trat sie mit einer Reihe von farblosen, matten Novellen aus der modernen, nur mangelhaft charakterisierten Gesellschaft auf, die mit einer überströmenden Beredsamkeit verschiedene Fragen aus dem Frauenleben lösen wollen, aber durch ihre unsichere Charakterbezeichnung und ihre schleppende Handlung langweilig wirken. Dann führt sie ein Zufall in das böhmische ]eschkengebirge, in die cechische Umgebung des deutschen Reichenberg, und da findet die dreißigjährige Schriftstellerin - auch ihr Pseudonym Karolina Svetlä ist ein Ausdruck der Liebe zu dieser schönen Gebirgslandschaft - ihre persönliche Note, so daß Halek mit vollem Rechte schreiben konnte: » Wie glücklich ist das ]eschkengebirge, daß es seine Svetla, wie glücklich ist die Svetlä, daß sie ihr ]eschkengebirge gefunden hat!« Eine wundervolle, ja großartige Welt öffnete sich da ihren Blicken: hoch oben auf den Bergen, wo Wolken und Stürme hausen, inmitten von tiefen und wilden Wäldern bergen sich kleine, ganz eigenartige, sehr malerische Dörfer mit einer überaus interessanten Bevölkerung. Sie fand da religiöse Schwärmer, die halb skeptisch, halb mystisch über die gewaltigsten Lebensfragen nachdenken, stattliche Bäuerinnen, die zwischen der leidenschaftlichsten Liebe und der grenzenlosesten Aufopferung ihr ganzes - 305 - Leben lang schwanken, anmutige, aber eigensinnige, dabei jedoch edelgesinnte Mädchengestalten, die ihre Liebhaber mit bedenklichen Launen und verwegenen Grillen quälen. Diese durch ihre kühne Gedankenwelt oder durch ihre merkwürdige Willensfestigkeit auffallenden Gestalten führt nun K. Svetla in ihren Romanen und Novellen vor: sie müssen mit ihr über die tiefsten Zeitprobleme grübeln, sich mit ihr in eine schwärmerische Philosophie vertiefen, kaum anders als bei George Sand oder B. Auerbach. Zwei Welten prallen in ihren Werken immer aufeinander; einerseits sind es rücksichtslose, rachsüchtige, lasterhafte Charaktere, die einem zerstörenden Individualismus frönen, andererseits aber demütige, selbstlose, edle Wesen, auf denen nach Svetlas Auffassung die gesamte moralische Weltordnung beruht. Diese müssen sich immer für ihre Familie, ihr Geschlecht, ja für die Menschheit aufopfern, wenn sie dabei auch meist zugrunde gehen; stets war K. Svetla, ihre eigene Lebenserfahrung zum ethischen Grundsatze erhebend, bestrebt, diese erhabene Aufgabe dem Weibe ans Herz zu legen, so daß man »den Messianismus der weiblichen Aufopferung« als die Zentralidee ihres Schaffens bezeichnen möchte. So wirken ihre farbenreichen Romane aus dem J eschkengebirge, die in einer leidenschaftlichen und pathetischen Prosa und einer kernigen Sprache geschrieben sind, auf den Leser tragisch und erhaben, der sich von ihrem kühnen Idealismus hinreißen läßt. Vier von ihnen, »Vesnickj roman« (»Ein Dorfroman«, 1867, deutsch von G. Alexis unter dem Titel »Sylva«, 1900), »Kfiz u potoka« (»Das Kreuz am Bache«, 1868), »Frantina« (1870) und »Nemodlenec« (»Der Gotteslästerer«, 1873), gehören zu den Gipfeln der modernen Dorfromantik überhaupt. Ihre kurzen Dorfgeschichten stehen vielleicht noch höher; urwüchsige Vollblutnaturen aus dem Volke sind da scharf gezeichnet; die Handlung entwickelt sich mit einer epischen Frische und verblüffenden Lebendigkeit; der Dialog ist saftig und dabei knapp; manchmal bezaubert uns ein frischer, warmer Humor. Einige von diesen Novellen, die später in zwei vorzüglichen Sammlungen, »Prosta mysi« (»Schlichte Seelen«), und »Kresby z Jestedi« (»Zeichnungen aus dem Jeschkengebirge«), vereinigt wurden, so z. B. »0 krejcikovic AneZce« (»Die Schneideragnes«, 1860), »Skalak« (»DerFelsenbewohnen, 1861), »Hubicka« J aku bec-N ovak, Cechlsche LItteratur. 20 - 306 - (~Der Kuß«, 1871), )Nebo~ka Barbora« (»Die selige Bärbel«, 1873), sind in der cechischen Prosa bisher nicht wieder erreicht worden. Später versuchte Svetla auch das altertümliche Prag des 18. und 19. Jahrhunderts in einigen phantastisch angelegten Romanen zu schildern; aber da wächst alles ins Ungeheure und Immense, wilde Leidenschaften toben, geheimnisvolle Verbrechen werden begangen, grelle und gellende Farben werden überall dick aufgetragen, pathetische Herzensergießungen und rhetorische Tiraden unterbrechen die bedenklich verwickelte Handlung; die freisinnige und antiklerikale Tendenz tritt stets in den Vordergrund; zu dieser unerquicklichen Gruppe gehören die Romane »Na usvite« ()Morgendämmerung«, 1863) und )Zvoneckova kralovna« (»Die Königin zu fünf Glöcklein«, 1872). Während Karolina Svetla in den sechziger und siebziger Jahren ungemein produktiv war, versiegte später ihre schöpferische Kraft. Verschiedene Zeitfragen reizten sie noch immer, ihren Standpunkt belletristisch klarzulegen; es entstanden jedoch nur geistvolle Bekenntnisbücher, keine Kunstwerke mehr. Ihre große Persönlichkeit aber, die das ganze weibliche Geschlecht ihres Volkes in ihren Kreis zu bannen wußte, ragte hoch in stolzer Einsamkeit wie die einer Hohepriesterin des Idealismus bis zu dem Tod, der die fast siebzigjährige Greisin an der Jahrhundertwende getroffen hat. Die tragische Lebensauffassung, das edle psychologische Pathos, die großzügige Stileinheit, die sich im Wesen von Karolina Svetla vereinigen, sind bei keinem ihrer zahlreichen Mitbewerber auf dem Gebiete des Romans zu finden. Fast allen haben es die jungdeutschen Romandichter mit ihrer sozial-bürgerlichen Tendenz, mit ihrem fortschrittlichen Liberalismus, mit ihrer bequemen Theorie des Nebeneinander angetan; doch es vollzieht sich bei ihnen eine höchst bezeichnende Entwicklung von ausgesprochener Subjektivität und spätromantischer Sentimentalität zu einer objektiv epischen und realistischen Anschauung. Diese Schriftsteller, die mit überzeugter Teilnahme das Wachstum des liberalen cechischen Bürgertums betrachten, die für die Emanzipation des fünften Standes offene Augen haben und den für die cechische Nation durchaus bedeutungslosen Adel eifrig bekämpfen, wollten Bürger unter Bürgern sein und auf freiem - 307 Grund mit freiem Volke stehen. Doch ihre Gesinnung war viel besser als ihre Kunst. Sie wollten umfassende und lebensprühende Welt- und Zeitbilder geben, aber gaben nur beschränkte, matte Familienbilder ; sie wollten in einer bunten Reihe gesellschaftliche Typen der modernen Großstadt und des unberührten Landes vorführen, aber brachten in ihren phantastisch romanhaften Gebilden die sozialen Klassen durch uneheliche Kinder mit geheimnisvollen Schicksalen und wunderlichen Liebschaften in Verbindung ; sie wollten ihrem Volke moderne Ideale zeigen, fielen jedoch immer von neuem in das Fahrwasser des sentimentalen Patriotismus zurück. Der' begabteste in dieser Gruppe war G u s t a v P f leg e r Mora vsky (1833-1875), ein zarter, feinsinniger Mensch, dessen morbide und schmachtende Natur allzu lange unter dem Banne des kraftlosen Epigonentums zu leiden hatte. In seiner trüben, freudelosen Jugend veröffentlichte Pfleger gefühlvolle, blasse Friedhofslyrik, die sich mit HaIek und Neruda berührt; dann hat er lange an einem formlosen Versroman, »Pan VysinskYIl: (1858-1859), welcher eine freie Paraphrase des Puschkinschen )Eugenij Onegin« mit Byronschen Reminiszenzen ist, gedichtet und darin seiner inneren Zerrissenheit und seinem passiven Weltschmerz Ausdruck gegeben; später hat er sich auch auf der Bühne versucht und hohle Geschichtsdramen sowie mittelmäßige Lustspiele dargebracht. Doch seine Bedeutung ist nur in seinen drei Zeitromanen, »Ztraceny zivotll: (»Verlorenes Leben«, 1862), )Z maleho sveta«, ()Aus kleiner WeIh, 1864) und >Pani fabrikantov:lll: (»Die Frau FabrikantinIl:, 1873), zu suchen. Als einer der ersten hat er in dem großen Roman »Verlorenes Leben« in das volle soziale und nationale Leben der Gegenwart gegriffen, in dem er die abenteuerlichen Schicksale eines in die revolutionären Händel der vierziger und fünfziger Jahre verwickelten und dabei gescheiterten Schwärmers vorführt. Durch sein breites und farbenreiehes Gemälde >Aus kleinerWe1t« hat er den sozialen Roman des böhmischen Arbeitervolkes begründet und hat mit einem realistischen Respekt vor der Tatsache eine bedeutende Episode aus der Zeitgeschichte, den Aufstand der Prager Fabrikarbeiter gegen die Maschinen im Jahre 1844, hineingewoben. Sein letztes, schon knapper und gedrängter komponiertes Prosawerk »Die Frau FabrikantinIl: streift dagegen das soziale Gebiet nur ganz leicht; 20* 308 es ist vielmehr eine durchdringende Analyse der Frauenseele, ein aus Krämpfen und Tränen geborenes Buch, ein unbarmherziges Inferno der leidenschaftlichen Erotik. Doch Pfleger war kaum mehr als ein Anreger; seine Romane sind eher kühne Versuche als vollendete Kunstwerke; seine Helden sind keine Typen, sondern nur Schemen. Seine Romantechnik hat er von Spielhagen, dessen »Problematische Naturen~ besonders in seinem »Verlorenen Leben« stark nachklingen, gelernt; in seiner Sentimentalität, in seiner gefühlvollen Humanität, in seinem fast rührenden Frauenkultus blieb er jedoch immer ein blasser Epigone der Spätromantik, dessen gebrechliches Schifflein, das mit den schwarzen Segeln des Pessimismus auf dem wild aufbrausenden Meere der bewegten Zeit einhersegelte , doch nicht zu dem unsicher, aber sehnsuchtsvoll ersehnten Gestade des modernen Realismus gelangen sollte. Die jüngeren von Pflegers Zeitgenossen konnten sich von der abenteuerlichen Romanhaftigkeit mit ihrer wilden Handlung, mit ihrem romantischen Beiwerk, mit ihrem sensationellen Beigeschmacke nicht losmachen; realistische, dem modernen Leben entnommene Züge und naturalistische Schilderungen mußten bei ihnen das romantische Thema verdecken. Zu dieser bedenklichen Zwittergattung , welche die jungdeutsche Schule zur Blüte gebracht und ihr mit dem journalistischen Charakter auch die sprachliche Stillosigkeit eingeprägt hatte, gehören fast alle Werke von Jak u bAr be s (geb. 1840), die gegenwärtig in einer großen Gesamtausgabe erscheinen. Jakub Arbes, ein Prager Vorstadtkind , dem das Landleben immer fremd geblieben ist, hat eine techniSche Fachbildung genossen, die seine unhistorische, naturwissenschaftliche, positivistische Lebensauffassung erklärt und ihn von seiner Umgebung genau unterscheidet; auch hat er den liberalen Journalisten und den jovialen Bohemien seiner Frühzeit nie verleugnet. Immer fühlte er sich zu dem politischen und sozialen Gewirre, zu den sozialistischen und polizeifeindlichen Händeln hingezogen; immer juckte es ihn, zu agitieren, zu protestieren, aufzustacheln; immer lockten ihn exzentrische Naturen, verbummelte Genies, verlotterte Schauspieler, dämonische Intriganten. Nie wußte er sich zu künstlerischer Ruhe emporzuarbeiten, in der er mit reifer Überlegung bilden und schaffen konnte, und so blieben seine Werke, die gewöhnlich spannend 309 -- und vielversprechend beginnen, bald aber im Sande verlaufen, fragmentarische Torsos. Auch hat Arbes nie die Kunst einer einfachen, klaren, epischen Erzählung gelernt; der Leser muß sich durch zahllose, teilweise ganz fesselnde Episoden, durch weitschweifige, oft sehr alberne Dialoge, durch einen äußerst bombastischen Wortschwall durcharbeiten, bevor er zu der eigentlichen Handlung gelangt. Doch auch dann liebt es Arbes in Rätseln zu sprechen. Er erzählt unglaublich schauerliche und grausame Geschichten, holt seine Stoffe aus der Kriminallitteratur und der sozialen Pathologie, entwirft düstere und gespensterhafte Bilder und Szenerien, vermischt groteske Komik mit tragischer Ironie. Nachdem er aber diese »Romantik des alltäglichen Lebens«, wie er es selbst nennt, bis an die Spitze getrieben, löst er seine bizarren Rätsel mit Hilfe einer materialistischen Philosophie, eines deterministischen Positivismus, einer naturwissenschaftlichen Erklärung, um die ganze Illusion bewußt und unbarmherzig zu zerstören. Als ein verspäteter Sabinaschüler hat er den veralteten jungdeutschen Roman des Nebeneinander fortgeführt; als ein Pflegernachahmer hat er breit angelegte, aber nie fertig gewordene soziale Romane aus dem modernen Arbeiterleben mit einem Stich ins Sozialistische, wie »Die Epikuräer« (1880) und der »Messias« (1883), geschrieben. In seinen »Romanetti« (1878-1884, drei Bände), die wohl sein Bestes enthalten, und von denen wenigstens »Der heilige Xaverius«, » Ukrizovana« (» Die Gekreuzigte«) und «Newtonüv mozek« (»Newtons Gehirn«) zu nennen sind, hat er seine homogene Form gefunden, die seiner zwitterhaften Lebensphilosophie und künstlerischen Eigenart genau entspricht. Als halbromantischer Erzähler jungdeutschen Ursprungs, bei dem sich die krasseste Abenteuerlichkeit mit der scharf beobachteten Wirklichkeit vermischt, ist An tal S t ase k (eigentlich Antonin Zeman, geb. 1843) Arbes nahe verwandt: der typische Landpoet dem ausgesprochenen Großstadtkinde , der schwere Grübler dem beweglichen Temperament, der spät Vollendete dem früh Gereiften. In seiner Jugend versuchte er sich in der Epik, die unter dem Einflusse der polnischen Romantiker stand und mit üppigen Reflexionen durchsetzt war. Doch erst nachdem er zu seinem Volke, der cechischen Bevölkerung des Riesen- und Jeschkengebirges, zurückgekehrt war, hat er seine - 310 eigentliche Eigenart gefunden. Dem zweiundfünfzigjährigen Schriftsteller gelang erst ein großer Wurf, als er in seinem ergreifenden Novellenzyklus» Blouznivci nasich hore (> Die Schwärmer unserer Berge«, 1895) die Entwicklungsgeschichte der spiritistischen Bt!wegung in Nordostböhmen schilderte und so die durch Svetla gebrochene Bahn betreten hat; hier vereinigt sich der breite Chronist mit dem kundigsten Volkspsychologen. Dieses 'Verk hat er nie mehr erreicht; seine späteren, breit angelegten Romane kehren eher zu seinen Anfängen zurück: der eine, »V temnych virech« (»In dunkeln Wirbeln«, 1900), beschäftigt sich mit der Arbeiterfrage, der andere, >Na rozhrani« (>Auf der Grenze«, 1908) diskutiert das nationale Problem. Zahlreiche Erzähler dieser Generation haben sich schon in ihren Anfängen mit dem Geschmacke des böhmischen Publikums versöhnt und sich mit der bescheidenen Rolle der Unterhaltungsschriftsteller begnügt. Ihre unlitterarischen Konsumenten verlangten von ihnen eine interessante Milieuschilderung, womöglich aus höheren Kreisen; die gefühlvollen Leserinnen wünschten eine spannende Liebesintrige , die mit einem süßlichen Familienbilde abwechsle; doch man durfte um keinen Preis die patriotische Tendenz vergessen! Zuweilen konnte man zur Abwechslung seinen ~amilienroman in ein früheres Jahrhundert verlegen, wobei die gesellschaftlichen Verhältnisse nur ganz unbedeutend verschoben sein konnten und der stille Patriotismus sich in wilden Chauvinismus umwandelte. Auch kleine konventionelle Novellen aus der Kleinstadt und angenehme Jugenderinnerungen waren dem dankbaren Publikum sehr willkommen. Dabei waren diese betriebsamen Massenfabrikanten keineswegs bedeutungslose Skribenten, vielmehr spielten sie eine wichtige Rolle in der Litteratur und in der Gesellschaft. So hat sich der Begründer der wertvollen Revue »Osveta« (>Aufklärung«, V a cl a v V lee k , 1839-1908) geradezu zu der Stellung eines litterarischen Diktators emporgeschwungen; man hat den salbungsvollen, konservativen Idealismus dieses machtvollen Organisators, pathetischen Redners und eingebildeten Volkspädagogen zuerst verehrt, dann gefürchtet, endlich verspottet. Seine steifen historischen Trauerspiele hielt man eine Zeitlang, unglaublich genug, für Musterstücke, und auch seine ausgedehnte Tätigkeit auf dem Gebiete des Romans, wo er seine Vorliebe für mehrbändige Werke 311 allzu oft an den Tag legte, wurde mit Lob überhäuft. In den sechziger Jahren verfaßte der rührige Vlcek eine ganze Bibliothek von historischen Romanen, die sehr tendenziös und zeitgemäß waren. Dann wandte er sich dem modernen, die politische Geschichte der Gegenwart diskutierenden Zeitromane zu und zeigte sich dabei als eifriger Patriot, als aufgeklärter Bürger, als mitleidiger Menschenfreund, aber als ein ganz schlechter Schriftsteller. Endlich begann er in seinem Alter aus dem frischen und reichen Borne seiner Lebenserinnerungen zu schöpfen; diese wieder sehr umfangreichen Bücher sind das Beste, was wir von ihm besitzen. Eng mit ihm ist sein Freund und Mitarbeiter Ferdinand S chulz (1835-1905) verwandt, als Litterarhistoriker vorzüglich, als Journalist bedeutend, als Erzähler nur mittelmäßig. Soziale und wirtschaftliche Fragen waren ihm viel wichtiger als die Kunstform seiner Novellen, die nur selten als Romane bezeichnet werden können; sehr gut hat er oft das Milieu geschildert, und manches Stilleben ist ihm gelungen; doch der Aufbau seiner allzu konventionellen Arbeiten ist gewöhnlich nur locker. Bedeutend sind jene unter seinen Erzählungen, die das Treiben der adeligen Gesellschaft, welche er aus der Nähe kannte, schildert; aber es handelt sich bei ihm weder in seinem ~Stary pan z Domasic« ()Der alte Herr von Domasic~, 1878) noch in seinem ~Slechticke novelly« (~Adlige Novellen~, 1888) um die Schilderung an sich, sondern vielmehr um die Lösung der heiklen Frage, ob und unter welcher Bedingung der cechisch nationale Adel möglich wäre. Als Romandichterin diesen beiden Unterhaltungsschriftstellern gleichwertig, steht Frau So f i e Po d I i p s k ci (1833-1897) als Persönlichkeit hoch über ihnen. Reich an Gemüt und Geist, von einer aufgeklärten Philanthropie durchdrungen, durchaus idealistisch veranlagt, kann die jüngere Schwester von Karolina Svetla in jenem Sinne als Erzieherin bezeichnet werden, wie die deutschen Litterarhistoriker Frau von Ebner-Eschenbach als Erzieherin preisen; auch bei ihr steht im Mittelpunkte der meisten Bücher das Problem, wie alle im Menschen schlummernden Kräfte zur Harmonie ausgebildet werden könnten. So sind ihre Erzählungen und Romane, von denen ich die großen Schilderungen der gegenWärtigen Gesellschaft «üsud a nadani~ (~Schicksal und Begabung«, 1872) und »Lidske vcely~ (»MenschlicheBienen~, 1889) und die autobiographische Erzählung ~Peregrinus( (1882) nenne, - 312 - eigentlich Bekenntnis- und Erziehungsbücher. Landläufige Romanhaftigkeit, stark aufgetragene Charakteristik der oft konventionellen Naturen und al zu aufdringende Tendenz stören überall, und so wird derjenige, welcher ihre liebenswürdige und tiefe Persönlichkeit ungetrübt genießen will, ihre tiefsinnigen Aufsätze, ihre entzückenden Aphorismen, ihre vorzüglichen Briefe ihrer Belletristik vorziehen müssen. In derselben Bürgerwelt, aus der und für die diese Schriftsteller schufen, wurzelte auch Alois Voj te ch Smilovsky (1837-1883), der jedoch schon den Übergang zum Realismus vermittelt. Liest man die in Böhmen ungemein beliebten Novellen und Romane von Smilovsky nacheinander und konstruiert sich nach der Lektüre das Bild des Autors, so muß man unwillkürlich an den wackeren Meister Anton aus Hebbels Maria Magdalene denken: man findet da seinen kleinbürgerlichen Tugendstolz, seine strenge unbarmherzige Moral, sein schonungsloses Pflichtgefühl, aber auch seine kleinstädtische Beschränktheit, sein kleinliches Haften an allen hergebrachten Gewohnheiten, seine philiströsen Vorurteile. Smilovsky war ja selbst eine Verkörperung der cechischen Kleinstadt; in einem nordböhmischen Städtchen war er geboren und erzogen, in einer Kleinstadt unterhalb des Böhmerwaldes hat er als Professor gewirkt, in einer ostböhmischen Stadt hat er sein Leben beschlossen. Und so war er gewiß berufen, diese Kleinwelt in ihrer liebenswürdigen Albernheit und in ihrer schlichten Anmut darzustellen. Die altmodischen Gestalten der Kleinstadt, denen er auch die verborgensten Schwingungen der Seele abgelauscht hat, grüßen uns in seinen Novellen, von denen ich nur den vorzüglichen »Krupaf Kleofas« (»Grützhändler Kleophas«, 1875) nennen will, so lebendig als kaum bei einem anderen zeitgenössigen Novellisten; malerische Häuser mit bizarren Barockgiebeln , altertümlichem Geräte, abgenutzten kolossalen Möbeln winken uns einladend zu, und endlich eröffnet der Dichter vor unseren Augen eine zarte, duftige Erinnerungsperspektive aus seiner glücklichen Knabenzeit, von der er besonders in seinen »Rozptylene kapitoly« (»Lose Kapitel«, 1873-1881) mit liebenswürdigem und schalkhaftem Humor erzählt. Doch dieses stimmungsvolle Bild soll uns nicht lange ergötzen; Smilovsky erinnert sich plötzlich seines pädagogischen Amtes, dessen er nicht nur als Gymnasiallehrer und Schulinspektor , sondern auch als Schrift- - 313 steller pflichtgetreu waltete, und ermüdet uns durch den ödesten Schulmeisterton, durch eine didaktische Moral, die in einem wunderlich überladenen, sich an die volkstümliche Gnomik anlehnenden Stile vorgetragen wird, derart, daß wir dann seine unsagbar weitschweifigen Bücher verstimmt und enttäuscht aus der Hand legen. - Konnte man in der cechischen Lyrik und Novellistik der sechziger und siebziger Jahre tatsächlich von einer organischen Entwicklungslinie sprechen und die gesamten Erscheinungen in einen einheitlichen Rahmen einfügen, so wäre Ähnliches in der Geschichte der cechischen dramatischen Litteratur doch allzu gewagt. Alle Voraussetzungen eines organischen Wachstums fehlten der cechischen szenischen Kunst: man besaß keine dramatische Tradition, keine große litterarische Bühne, kein dramatisch gebildetes Publikum; einige wirklich hervorragende Schauspieler mußten in minderwertigen Schwänken, gedankenlosen Operetten ihre besten Kräfte vergeuden; die Theaterkritik , in der auch Neruda und Pfleger tätig waren, stand noch in ihren allerersten Anfängen; die Regie wurde vernachlässigt. Im Jahre 1859 wurde nahe der Prager Neustadt ein neues, geräumiges Theatergebände errichtet; seit dem Jahre 1861 wechselten auf dem böhmischen Landestheater deutsche Stücke regelmäßig mit den cechischeni nach zwei Jahren wurde dann die cechische Abteilung des Landestheaters als eine selbständige Bühne eröffnet; zur Eröffnungsvorstellung wählte man die neue Tragödie von Halek ,König Vukasin«. Klassisches Repertoire wechselte mit salbungsvollen vaterländischen Stücken abi übermütige französische Komödien wurden neben schüchternen einheimischen Lustspielen vorgeführt; so vermißte man einheitlichen Stil sowohl in der dramatischen Produktion als auch in der Darstellung. Der dämonisch groteske Interpret der Shakespeareschen und Goetheschen Gestalten, der »affenteuerliche, naupengeheuerliche« Mime J osef Jiri Kolar (1812-1896), bei dem das erhabenste Pathos mit der beißendsten Ironie gepaart war, deklamierte mit unbeschreiblicher Originalität und fratzenhafter Genialität seine großartigen Rollen und verachtete dabei ebenso seine Kollegen wie sein Publikum. Sein begabter Neffe, ein humorvoller Karikaturist und dabei der gewissenhafteste Schauspieler Frantisek Kolar (1830-1895), wußte derbe und zarte, drollige und lebenswürdige Volksfiguren - 314 - zu schaffen, deren Lebendigkeit ganz unvergeßlich war. Die schöne Heroine Otilie Sklenäfova MaU (1844-1912) bewegte sich mit einer edlen Einfalt und stillen Größe auf dem tragischen Kothurn und stellte sich gern in den Dienst der klassischen Kunst Shakespeares oder Schillers. Und ähnlich stand es auch mit den litterarischen Richtungen in dem cechischen Drama: neben Shakespeare wurde Scribe, neben Schiller Augier nachgeahmt. Die Herrschaft Shakespeares über die cechische Bühne dauerte jedoch am längsten und brachte zahlreiche, wenn auch meist unbedeutende Früchte. In den Jahren 1854-1872 ist eine vollständige Shakespeare-Übersetzung in dem Verlage der verdienten »Matice ceska« erschienen, welche zwar steif und unpoetisch, aber treu und verläßlich ist, da eher Gelehrte als Dichter sie besorgt hatten. Dann veranstaltete im Jahre 1864 der Zentralverein der cechischen Künstlerschaft, die »Umelecka Beseda~, eine imposante Shakespearefeier. Der Dichter Halek hat in zahlreichen historischen Tragödien Shakespeare nachgeahmt, dabei zumal auch vergröbert und karikiert; patriotische Stücke, die von Mikovec, Fric, Pfleger, Vlcek gepflegt wurden, waren teils von Shakespeare , teils von Schiller beeinflußt; die mächtigste Erscheinung aus jener Zeit der cechischen Shakespearomanie ist aber der bereits erwähnte Schauspieler J 0 s e f J i ff K 0 I ar. Der ungemein belesene, philosophisch geschulte, vielbereiste und sprachkundige Mann kam von der deutschen Romantik her: Hegel war der Meister seines Denkens, Jean Paul und E. T. A. Hoffmann die Vorbilder seines Stils, die romantische Ironie beherrschte sein ganzes Wesen und verblüffte mit der bizarren Mischung von Humor, Phantastik und Sarkasmus die mittelmäßige Umwelt. Als formgewandter Nachahmer, als verwandlungsseliger Nachempfinder suchte Kolar, der als Kritiker und Polemiker gefürchtet war, seinesgleichen; schöpferisches Vermögen besaß er aber nicht. Seine wildromantischen, burlesk ausgestatteten Altprager Erzählungen, die er in den fünfziger und sechziger Jahren veröffentlich te , haben nur ein kulturhistorisches Interesse; höher stehen die historischen Trauerspiele des kräftigen, aber allzu willkürlichen Übersetzers der Shakespeareschen, Goetheschen und Schillerschen Tragödien. Über das Gebiet der Theatralik herrscht J. J. Kolar ganz absolut: sein Pathos ergreift, seine großen - 315 - Szenen sind wirkungsvoll arrangiert, seine männlichen Charaktere haben Wucht, die weiblichen gefühlvolle Anmut; besonders wenn er die große Katastrophe nach der Schlacht am Weißen Berge, wie in dem Trauerspiele )Prazsky zid« ()Der Jude von Prag«, 1871) inszeniert, wirkt er machtvoll. Aber feinere, eigentlich psychologische Tragik sucht man vergebens; dagegen findet man allzu gewagte Anklänge und Reminiszenzen an seine Vorbilder, besonders an Shakespeare. Dann bemächtigten sich die modernen Franzosen der cechischen Dramatik; Scribe und Augier, Meilhac und Labiche, der jüngere Dumas und S~rdou wurden häufig gespielt und vom Publikum stets mit Beifall aufgenommen; einige prüde und naive Kritiker, wie Pfleger und Jerabek, die übrigens in ihrer litterarischen Praxis von diesen Meistern der Bühnentechnik auch gelernt haben, verdammten ihre »sittenlosen« Stücke, wurden aber deswegen von ihrem litterarischen Widersacher, dem freisinnigen Jan Neruda, in den Augen der Öffentlichkeit lächerlich gemacht, und bald konnte man in der einheimischen dramatischen Produktion von einer französischen Schule sprechen. Dreierlei mußte die anspruchslosen und bescheidenen cechischen Dramatiker in diesen leichten, glänzenden und erfolgreichen Stücken bezaubern: die kunstvolle Bühnentechnik, der geistreiche Dialog, das feine, gesellschaftliche Milieu. Man besaß ja daheim nichts dergleichen: man war bisher herzlich wenig über die technischen Forderungen der Bühne unterrichtet; die elegante Salonkonversation blieb immer ein unerreichtes pium desiderium; das liberale Bürgertum, das sich eben in Böhmen bildete, war weder fein noch salonfähig. So imitierte man einfach das glückliche Ausland. Zwei Gruppen sind da auseinanderzuhalten. Die gutbürgerlichen Dramatiker, die ein vollständiges Analogon zu der bürgerlichen Novellistik bilden, sind bei dem ehrlichen und faden Grübler über verschiedene gesellschaftliche Fragen Emil Augier in die Schule gegangen, andere ließen sich von der schillernden Eleganz des gedankenlosen Routiniers Scribe bestechen. Der eifrigste Scribe-Schüler in Böhmen war der gewandte Journalist E man u e 1 B 0 z d e c h (1841-1889), dessen Ende dunkel und rätselhaft ist; er hat seinem Meister sein technisches Geheimnis, seine oberflächliche Psychologie, seinen scharf geschliffenen, aber inhaltlosen Dialog treulich abgeguckt. Mit 316 diesen entliehenen Mitteln sind ihm mehrere bühnenfähige Komödien, die sich gern in dem Glanze der Empirezeit sonnen, und eine kühn gedachte, aber allzu schemenhafte Tragödie aus dem nordischen Kriege, ~Baron Goertz~ (1871), gelungen. Die Darsteller waren für die glänzenden Rollen, das Publikum für die elegante gesellschaftliche Atmosphäre und für das unterhaltende Intrigenspiel sehr dankbar; - das Lebenswerk Bozdechs bleibt doch nur eine gelungene Nachahmung eines unbedeutenden Vorbildes. Der feine, dabei etwas schwerfällige Frantisek Venceslav Je f a b e k (1836-1893), ein Freund u~d Mitkämpfer von Pfleger, gab sich in seinen in Grau gehaltenen bürgerlichen Dramen mit zeitgemäßen gesellschaftlichen Problemen ab, die er in der einheimischen Spiegelung eifrig und aufmerksam betrachtete. Seine bedeutendste Tragödie, »Sluzebnik sveho pana« (» Ein treuer Diener seines Herrn~, 1871, deutsch von Weyrauther und Lorenz 1892), ist ein dramatisches Gegenstück zu Pflegers erstem sozialen Rom »Aus kleiner W elt~ und zu einigen Gedichten von R. Mayer: auch hier verträgt sich das liberale Bürgertum ganz gut mit dem gemäßigten Sozialismus; auch hier entspringt bei des aus einer versöhnlichen, humanen Tendenz; auch hier spielen patriotische Motive mit. In seinen witzigen und leicht satirischen Lustspielen ist Jefabek dagegen oft kleinlich und gar philiströs. - Das Bild der cechischen Litteratur in den sechziger und siebziger Jahren wäre jedoch unvollständig, wenn man die scharfe und zielbewußte Kritik, deren frischer Geist diese Periode erfüllte und in ihrer Entwicklung manchmal bestimmte, vergessen würde. Als Kritiker und Polemiker haben Halek und Neruda die Lebens- und Kunstideale ihrer Gegner angegriffen; kritisch und polemisch wendete sich das Jungcechentum gegen seine konservativen Widersacher; mit einer lebensfrohen, doch sehr unvollkommenen Theaterkritik begleitete der oft allzu wohlwollende Neruda alle Erscheinungen der jungen böhmischen Bühne; die kritischen Abteilungen in den Journalen jener Zeit waren fleißig redigiert; die alleinige große Revue für Wissenschaft, Politik und Litteratur, »Osveta«, widmete der Kritik eine vorzügliche Aufmerksamkeit; der »cechische Sarcey~, FranWiek Z a k r e j s (1839-1907), ein vielseitig gebildeter, witziger und - 317 - rühriger Schriftsteller, welcher sich auch im Drama und im Zeitroman versucht hat, übte hier seine dramaturgische Kritik, die allzu oft einen eigensinnigen und untoleranten Doktrinär in ethischen Bewertungen sowie in Geschmacksachen verriet. Doch die meisten verfügten weder über eine wissenschaftliche Methode noch über genügende ästhetische Schulung. Ein einziger Gelehrter und Litteraturkenner, der Prager Universitätsprofessor J 0 s e f Dur d i k (1837-1901), der mit seinem strengen und sachkundigen kritischen Urteil lange auf die zeitgenössische Litteratur einen direkten Einfluß ausübte, hielt die Kritik als selbständige Litteraturgattung aufrecht. 1Vie für diesen gelehrten Philosophen und eleganten Ästhetiker aus der Herbartsehen Schule, der vom Hause aus ein Mathematiker war, die Philosophie keine innere Notwendigkeit, sondern vielmehr ein wissenschaftliches Fachstudium bedeutete, so war auch die Kritik, die er auf den Grundsätzen der formalen Ästhetik aufgebaut hatte, eine streng gelehrte Beschäftigung, die sich von keinen Zeitströmungen beherrschen läßt. Dabei verlor Durdik nie die intime Fühlung mit der lebendigen Dichtung und besonders mit dem modernen Theater. Es hat einige, allerdings akademisch steife Tragödien gedichtet, ein vorzüglich informatives Buch über Lord Bryon veröffentlicht, dessen »Kain« vortrefflich übersetzt, sich eingehend mit Halek, mit R. Mayer, mit Bozdech beschäftigt. Sein Blick war scharf und weit, seine Beweisführung überzeugend, seine Urteile offen und schonungslos. Die besten Geister haben sich an seinen sorgfältig gefeilten kritischen Aufsätzen und Büchern, die sich einer durchgebildeten, ja gezierten und präziösen Sprache bedienen, ergötzt; die von ihm neu geschaffene philosophische und kritische Terminologie ist allgemein anerkannt worden; die Mittelschule verbreitete seine Prinzipien. Doch Durdik verstummte als Kritiker allzubald , um sich seiner akademischen Tätigkeit als Ästhetiker und Geschichtschreiber der Philosophie ausschließlich zu widmen. Für das Beste jedoch, was die Litteratur seiner Zeit anstrebte, findet man in seinen Büchern die ästhetische und kritische Begründung; die höchsten Kunstideale seiner Generation liegen in seinen einst so gerühmten, heute aber ganz vergessenen VVerken begraben. Vierzehntes Kapitel. Die panslawistischen und historischen Tendenzen in der neuen cechischen Litteratur. Der Zeitraum von 1860-1880 ist in Böhmen eine Periode des eifrigsten politischen Kampfes. Mit dem alten vormärzlichen Österreich, wie es die Regierung Bachs neu zu beleben suchte, ist es nun vollends vorbei; die Konstitution löst neue politische Kräfte aus; die partikularistischen Landtage und der zentralistische Reichsrat in Wien kommen allmählich zu Worte; die Presse, sei sie nun liberal oder nationalistisch, wird jetzt eine Großmacht; die Litteratur stellt sich willig unter das Joch der Politik. Mit neuen Kräften kämpfen die Cechen jedoch für die alten Ideen, wie sie bereits in der Zeit der nationalen Wiedergeburt erfaßt und formuliert wurden; die Männer von 1848, Palacky, Rieger, Sladkovsky, stehen noch immer an der Spitze der cechischen Politik; die bekannten politischen Grundsätze, welche Palacky in seinem berühmten Sendschreiben an die Versammlung in der Frankfurter Paulskirche betont hatte, und welche auch auf dem imposanten slawischen Kongresse in Prag im Jahre 1848 aufgetaucht waren, bewegen weiter das öffentliche Leben der cechischen Nation. Auf zwei mächtige Grundideen kann man die damaligen politischen Bestrebungen, die wieder unter einer drückenden Persekution seitens der Regierung und der Polizei schwer zu leiden hatten, zurückführen: auf die Idee der konsequenten Durchführung des cechischen historischen Staatsrechtes im Rahmen eines föderativen Österreich und auf den echt romantischen Gedanken des Panslawismus. Diese Ziele waren jedoch allzu hoch gesteckt; die Wirklichkeit war trübe, die politischen Erfolge waren unbedeutend; - 319 endlich mußte man wieder nur von täuschenden Hoffnungen und erhabenen politischen Symbolen zehren. Schon im Jahre 1861, inmitten des konsequentesten Zentralismus, klammerte sich das leichtgläubige cechische Volk an die feierliche Erklärung des Kaisers, er werde sich in Prag krönen lassen und werde dadurch die staatsrechtliche Selbständigkeit der böhmischen Kronländer anerkennen. Doch diese Erwartungen gingen fehl, schon ein Jahr später fühlten sich die cechischen Politiker gezwungen, der Wiener Regierung gegenüber zu erklären, daß sie sich infolge des zentralistischen Regimes von jeder realen Parlamentsarbeit zurückziehen würden; sie führten auch ihr Vorhaben durch und haben Jahrzehnte hindurch ihre passive Opposition getrieben. Doch die kleinste Gelegenheit genügte, um die hoffnungsvolle Begeisterung für den Kampf um das historische Staatsrecht in Flammen zu setzen: mit einem fast kindlichen Enthusiasmus werden im Jahre 1867 die aus Wien zurückkehrenden Krönungsinsignien begrüßt, und zu dem sogenannten »Septemberreskripü vom 12. September 1871, wo sich der Kaiser Franz Joseph 1. abermals bereit erklärte, sich in Prag krönen zu lassen, sieht man wie zu einem nationalen Heiligtum empor. Man pocht mit einer rührenden Beharrlichkeit auf seine historischen Rechte, welche die Wiener Regierungen allerdings weiter unberücksichtigt lassen, und so lebt die cechische Nation in einem fortwährenden Rausch von historischen Erinnerungen, die sie für die trübe und aussichtslose Gegenwart entschädigen müssen. Nebenbei wird eine ebenso naive und erfolglose auswärtige panslawistische Politik getrieben, die, ähnlich wie der Kongreß der slawischen Nationen vom Jahre 1848, kaum weiß, wo sie eigentlich hin will. Im Jahre 1863 bringt der letzte Aufstand der Polen die cechische Jugend, darunter auch namhafte Schriftsteller, Publizisten, ja Frauen, in Gärung; man lernt Polnisch, man liest und übersetzt polnische Romantiker, besonders Mickiewicz und Slowacki, man bewundert die monumentalen Gemälde aus der polnischen Geschichte von J. Matejko, man singt polnische revolutionäre Lieder, man bewaffnet sich und eilt, den kämpfenden Brüdern zu helfen. Die älteren Patrioten mißbilligen es als eine gefährliche Donquichotterie, bald jedoch begehen sie eine viel schlimmere. Im Jahre 1867 bei Anlaß einer ethnographischen Ausstellung in Moskau wallfahren mehrere angesehene Ver- 320 - treter des cechischen Volkes, unter ihnen die Politiker Palacky, Sladkovsky, Rieger, der Dichter Erben, der Maler Manes, nach Rußland und huldigen hier förmlich der russischen Regierung. Die Jugend schwärmt für die beiden Klassiker des russischen Byronismus, Puschkin und Lermontow, deren epische Werke in den steifen Umdichtungen V. C. Bendis und Al. Durdik vorliegen, aber auch die Begründer der realistischen Kunst in Rußland, Gogol und Turgeniew, werden bei den Cechen bekannt und beliebt. Als in den Jahren 1876 und 1877 die Südslawen gegen die Türken für ihre Freiheit kämpfen, werden sie von den Cechen begeistert angejubelt, und auch die Russen, welche sich dann der Südslawen angenommen haben, entfachen in Böhmen leidenschaftliche Sympathien. Es hat ja schon früher der Novellist Prokop Chocholousek die serbischen und die montenegrinischen Helden mit einer warmen Teilnahme geschildert; auch die serbische Heldendichtung war bereits durch das Verdienst des deutschböhmischen Dichters Siegfried Kapper in Böhmen in Übersetzungen und Nachahmungen bekannt: jetzt fühlt sich ein feiner, in Frankreich ausgebildeter Historienmaler Jaroslav Cermak in Montenegro viel heimischer als in Böhmen; jetzt besingen Vaclav Solc und Eliska Krasnohorska die Balkaner Freiheitskriege; jetzt studiert der slavjanophile Journalist Josef Holecek, welcher den Schauplatz des balkanischen Freiheitskrieges als Berichterstatter der »Narodni Listy« kennen gelernt hat, das serbische und montenegrinische Leben aus der unmittelbarsten Nähe. Ja, diese schwärmerische Vorliebe für den slawischen Orient führt die cechischen Dichter bis unter den wilden, märchenhaften Kaukasus ; hier wird Svatopluk Cech zu seinem echt romantischen »Tscherokessen«, der sich eng an Puschkin anschließt, angeregt; hier findet ein begabter, überschäumender und abenteuerlicher cechischer Novellist Bohumil Havlasa unter den russischen Fahnen in seinem siebenundzwanzigsten Lebensjahre den Tod. Seine beiden litterarischen Freunde, ]. V. Sladek und Sv. Cech schicken ihm schwärmerische, verträumte Elegien nach, in denen leidenschaftliche Sehnsucht nach der freien Zauberpracht des europäischen Orients zittert. Auch in der cechischen Litteratur dieser Periode sind der Panslawismus und der Historismus die Triebfedern; was später auf diesen Gebieten geschaffen wurde, muß ebenfalls in diesem Zusammenhange geschildert werden. - 321 Eine vollendete Synthese der beiden Tendenzen gibt in seinem poetisch ganz einheitlichen Lebenswerke der größte und zumal der populärste Dichter dieses Zeitraumes, Sv a top I u k Ce c h (1846-1908). Svatopluk Cech, dessen Name allein den Inbegriff des nationalen Wesens in sich schließt, stammt aus einem kräftigen mittelböhmischen Bauernstamme , dessen Traditionen bis tief in das 17. Jahrhundert reichen. Des Dichters Vater, ein schlichter Domänenverwalter, war ein eifriger Patriot, ein begeisterter Panslawist, ein überzeugter Achtundvierziger, der für seine Beteiligung an den revolutionären Händeln schwer zu büßen hatte; bald gewann er den menschenscheuen, träumerischen Knaben, der in einer anmutigen, milden Ebene seine idyllische Jugend verbrachte, für seine Lieblingsideen. Als Prager Gymnasiast, der sich auf der altertümlichen, pedantischen und national durchaus indifferenten Piaristenschule so wenig wie in dem beschränkten und düsteren Knahenkonvikte des ursprünglich jesuistischen Klementinums wohl fühlte, las der junge Svatopluk Cech mit Vorliebe die begeisterten Dichter des modernen Freiheitsdranges und des antisozialen Trotzes; besonders Schiller, Byron, Puschkin und Macha traten in seinen Gedankenkreis und hinterließen bedeutende Spuren in seinen Jugendwerken. Im Jahre 1867 tritt der einundzwanzigjährige Jurist mit einer farbenreichen, dem Freiheitskampfe der Balkanvölker entnommenen Ballade in die Litteratur; es folgen neben vaterländischen Romanzen, volksmäßigen Liedern und humoristischen Gedichten zwei breit angelegte zyklische Werke, wo sich der poetische Traum mit der satten Zustandsmalerei abwechselt; nach sechs Jahren veröffentlicht er ein wundervolles Epos, das großartige Freskogemälde aus dem Hussitenkriege »Adamitt:~« (»Die Adamiten~, deutsch von J. Weinberger 1913), dessen kräftigen Wurf wir noch heute bewundern müssen; dadurch wird er eine anerkannte Größe in der cechisehen Dichtung, wo er bald über Halek und Neruda gestellt wird. Gewissenhaft erweitert der mit strengster Autokritik und mit rührender Demut vor der Kunst gewappnete Dichter seinen Gesichtskreis: er studiert fremde Sprachen und Litteraturen, er beschäftigt sich eingehend mit. der Geschichte, er erwirbt umfassende ethnographische und philologische Kenntnisse; auf die öffentliche Laufbahn eines Rechtsanwaltes verzichtet er aber bald. ]aku bec-Novak. Cechlsche Lltteratur. 21 322 - Von großer Bedeutung für seine Entwicklung war die Orientreise im Jahre 1874: der byronistische Naturschwärmer lernt da das Schwarze Meer und den Kaukasus, der begeisterte Panslawist das Zarenreich kennen. Schon als Student, welcher das Meer nur aus den Schilderungen Byrons und Freiligraths und aus den Erzählungen eines wackeren Matrosen her kannte, träumte Sv. Cech von Seestürmen und Schiffskatastrophen ; sein farbiger Zyklus »Boufe« (»Der Sturme, 1869) erzählt davon naiv und beredt. Nun erschließt sich dem jungen »Argonauten«, von welchem schon damals Jan Neruda das goldene Vließ der neuen Poesie erhofft hat, daß >slawische« Meer, und zum ersten Male läßt sich die cechische Dichtung, welcher bisher die Anschauung des Meeres durchaus gefehlt hat, auf Seefahrten und Stürme ein; um ein Jahr später eroberte Jaroslav Vrchlicky, der damals in Italien lebte, der cechischen Lyrik die Schönheiten des südlichen Meeres. Auf dem Kaukasus hat Sv. Cech nur spärliche Spuren der reckenhaften , von Puschkin besungenen Tscherokessen gefunden, dafür entschädigte den begeisterten Rousseauisten die bald wilde, bald erhabene Urwaldnatur , die zuerst in seinen feinen Reisefeuilletons , dann in seinen zwei idyllenmäßigen Verserzählungen verherrlicht wurde. Die ethnographisch-politischen Eindrücke seiner osteuropäischen Reise hat Sv. Cech später in einer erhabenen poetischen Utopie »Zimni noc« (»Eine Winternacht«, 1879) verdichtet. Vom Geiste seines Vaters begleitet, sieht der Dichter die ruhmvolle Auferstehung der slawischen Helden und Krieger, die je gegen die Türken gekämpft haben. Dieser geheimnisvolle Zug, zu welchem neben Peter dem Großen auch Zar Lazar, neben den serbischen und montenegrinischen Kämpfern auch Kosaken gehören, überschwemmen die ganze Balkanische Halbinsel und die südlichen Ufer des Schwarzen Meeres: endlich vereinigt sich derselbe am Hafen von Konstantinopel; die großartige Stadt der byzantischen Kaiser wird von den Slawen erobert, und in der erhabenen Kirche der "göttlichen Weisheit« feiert der panslawistische Gedanke seine Verklärung. - Jahr für Jahr erscheint dann von dem gereiften Dichter eine neue, bis ins Detail ausgeführte poetische Schöpfung. Einmal ist es eine breite, mit allerhand fein geschliffenem und üppig ziseliertem Beiwerke ausgestattete epische Komposition, wo gewöhnlich der epische Gang der Handlung unter einer allzu ausführ- - 323 - lichen poetischen Beschreibung oder unter einer zügellosen Rhetorik zu leiden hat; oder aber er vereinigt in einem geschickt arrangierten lyrischen Bande seine politischen Meditationen und seine sozialen Betrachtungen ,die entweder in das üppige schwere Gewand einer Ode oder in die leichte, volkstümliche Liederform gekleidet sind; ein andersmal bringt der Poet, dessen Humor zart und schelmisch ist, ein anmutiges allegorisches Märchen, worin er den öffentlichen Albernheiten und den landläufigen Vorurteilen schalkhaft ein Schnippchen schlägt; endlich befriedigt er auch die unter seinen Lesern, die für die Poesie kein Verständnis zeigen, mit einem liebenswürdigen, mehr anmutigen als tiefen Novellenbuche. So steht er in seinem vierzigsten Jahre auf dem Gipfel seiner Kunst und seiner Popularität, die er teilweise auch seiner politischen Gesinnung, die liberal und demokratisch ist, zu verdanken hat.. Doch diese riesenhafte Begeisterung der Leser, dieser öffentliche Beifall der gesamten Nation drückt und beängstigt den bescheidenen, in sich gekehrten Träumer nicht weniger, als die wirre und geräuschvolle Hast der Großstadt den ruhigen, stillen Verehrer des Landlebens anekelt. So flüchtet sich der schlichte Dichter in eine idyllische und beschauliche Einsamkeit, ursprünglich in der fruchtbaren Elbegegend bei Melnik, dann in einem ländlichen Vororte Prags, wo er nur seinen Blumen und seinen Jugenderinnerungen lebte. Hier veranstaltete er noch eine zwanzigbändige Gesamtausgabe seiner Werke, unternahm kleinere Reisen ins Ausland, rang tapfer mit einigen schwierigen poetischen Stoffen, ohne sie doch zu bewältigen. Nachdem er noch als Humanitätsapostel , Slawenfreund und Patriot rührend und gerührt in dem zyklischen Gedichte >Do sveta Sfreho« (>Für die weite Welt«, 1908) von seinen Lesern Abschied genommen hat, starb Svatopluk Cech als »der allerletzte Sänger der nationalen Wiedergeburt«. Svatopluk Cech ist durchwegs ein Tendenz- und Problemdichter ; auch da, wo der poetische Grundton rein episch oder idyllisch ist, werden in die epische Handlung tendenziöse Fäden bewußt verwoben. So werden schon in den >Adamiten«, des Dichters erstem einheitlichen Werke, von den religiösen Schwärmern des 15. Jahrhunderts moderne Probleme des Pantheismus und des Materialismus, der freien Liebe und der Frauenemanzipation, des Kommunismus und der Anarchie mit einer er.., 21* - 324 - habenen Rhetorik und mit Hamerlingschen Farbeneffekten behandelt. So wird selbst in der idyllischen Rahmenerzählung ) Ve stinu lipy« () Im Schatten der Linde«, 1880; deutsch von J. J. Gregory in Leipzig 1897), wo sonst kleine, ja anekdotenmäßige Begebenheiten aus dem cechischen Volksleben frisch und humoristisch wie in einem Guckkasten und mit reichlichen Anlehnungen an des Dichters Jugenderinnerungen vorgeführt werden, nebenbei auch die Frage der Auswanderung nach Amerika erörtert. So werden in dem breitangelegten , mit üppigem Detail ausgestatteten historischen Epos aus der böhmischen und dänischen Geschichte des 13. Jahrhunderts, )Dagman (1885) die Ursachen des Verfalles und Unterganges der slawischen Wenden und Obodriten an der Nordsee poetisch beleuchtet, wobei auch manch warnendes Wort den uneinigen Slawen gesagt wird. Als ein moderner Liberaler und ein demokratischer Patriot faßt Cech auch die Geschichte seines Volkes auf. Während die cechischen Romantiker bis zu Zeyer und Vrchlicky eine ausgesprochene Vorliebe für Böhmens Heldensage und für das frühe Mittelalter unter den Premysliden hatten, interessiert sich Cech eigentlich nur für die Zeit der böhmischen Reformation und ihr tragisches Nachspiel im 17. Jahrhundert. Palacky hat in dem Hussitenturn und in der Brüderunität den Gipfel der nationalen Geschichte erblickt und hat in seinem monumentalen Geschichtswerke dieser Auffassung Ausdruck gegeben; doch die cechischen Dichter, villeicht mit der Ausnahme des braven, aber ungeschickten J. E. Vocel, ließen sich von ihm in dieser Hinsicht nicht anregen; ja, sie wurden sogar von den deutschen Poeten Moritz Hartmann und Alfred Meißner, ja von Nicolaus Lenau - letztere zwei haben je einen Zizka, Hartmann einen ganzen Zyklus )Kelch und Schwert« gedichtet - überholt. Erst in den sechziger Jahren entfachen die jungcechischen Liberalen eine Begeisterung für das Hussitentum; im Jahre 1868 wallfahren zahlreiche Cechen nach Konstanz um dort das Andenken Hussens zu feiern; die historischen Maler, mit dem berühmten Pilotyschüler V. BroZik an der Spitze, wählen jetzt gern die Vorwürfe zu ihren kolossalen Leinwandflächen aus der Hussitenzeit ; Trebizsky, dann auch Jirasek stellen die glorreiche Zeit )des Kelches und des Schwertes« in den Vordergrund ihrer historischen Novellistik, aber keiner weiß diese große Zeit, von der - 325 - schon Schiller in seinem» Wallenstein« sympathisch spricht, so begeistert zu besingen wie eben Sv. Cech. Schon unter seinen Jugendgedichten findet man eine Ballade »Husita na Baltu« (»Der Hussitenkrieger an der Ostsee«), die mit einer beredten Apotheose des Hussitentums schließt; dann folgen mit gewissen Anklängen an den deutsch-böhmischen Dichter Alfred Meißner »Die Adamiten« mit der Riesengestalt Zizkas im Hintergrund; sechs Jahre später wählt Cech den blinden Hussitenführer zum Helden einer genial hingeworfenen epischen Erzählung »Zizka«, in der der stets rhetorische Dichter einmal in einer wirklichen Rede seine beste Kunst entfaltet und dabei ein monumentales Bild der Stadt Prag entwirft. Aus demütigen Tränen und düsteren Meditationen über die schmachvolle Niederlage des cechischen Volkes im 17 . Jahrhundert ist dann sein »Vaclav z Michalovic« (1882, deutsch nur in einigen Bruchstücken in Alberts »Neuester Poesie aus Böhmen«) geboren. Die cechische Reformation verblutete eben unter dem Schwerte des Scharfrichters und unter der geistigen Unterdrückung der Jesuiten; Böhmen ist vollends katholisch und habsburgisch, und da muß ein Zögling der Jesuiten, ein junger Schwärmer und Idealist, erfahren, er sei ein Nachkomme eines der eifrigsten Ketzer und Rebellen. Die erschütternden Konflikte, die sich im Herzen des jungen Vaclav von Michalovic, welcher in die wunderschöne und engelhafte Pflegetochter eines der Führer der katholischen Partei verliebt ist, abspielen, werden nun romanhaft und überspannt genug erzählt. In diesem Werke, dessen Höhe Sv. Cech nicht mehr erreicht hat, sollte eine Synthese des 17. Jahrhunderts in Böhmen gegeben werden: die Auffassung der nationalen und religiösen Geschichte ist tragisch, das Zeitkolorit ist satt und kräftig, die Sprache zieht alle Register der Begeisterung und des Pathos. Und doch leidet diese Epopöe an innerem Zwiespalt. Diejenigen Lebenskreise , welche der Dichter als patriotischer Verehrer der Reformation haßt und verwirft, nämlich die sinnliche Pracht der kirchlichen Feste, Bauten, Trachten ziehen ihn als Künstler an, und er wird nicht müde, dieselben bilder- und farbenreich zu beschreiben. Dagegen fällt er gleich aus der Rolle des Epikers, welcher sich mit den Menschen des 17. Jahrhunderts beschäftigt, sobald er die ihm so ans Herz gewachsenen Ideen des Hussitentums berührt: aus diesen schmetternden, manchmal - 326 - allerdings sehr wirkungsvollen Tiraden hört man den modernen Demokraten, den aufgeklärten Liberalen, den zeitgemäßen Patrioten. Noch in seinen späteren Jahren kehrte Gech zu der ihm wahlverwandten Zeit des Hussitentums zurück - sie mußte übrigens auch als Staffage zu seinem humoristisch-satirischen Romanetto »Vylet pana Mateje Broucka do patnacteho stoleti« (»Ein Ausflug Herrn Matej Broucek in das 15. Jahrhundert«, 1888) herhalten - ; in einem dialogisierten, doch ganz verworrenen Epos »RohM na Sione« (1898-1899) führt er die letzten Geschicke des hussitischen Heeres vor. Gech entrollt in diesen Werken großartige lebende Bilder, und aus ihnen muß sich der Leser selbst eine ohnehin mangelhafte Handlung zusammenstellen ; ganz wundervoll stellt er die dröhnenden Bewegungen der Massen, das allmähliche Entstehen des Sturmes, das morgendliche Erwachen des Feldlagers oder der Stadt dar; das Zeitkolorit wird im ganzen richtig getroffen, doch die Personen mit ihren unendlichen Reden und vielleicht noch unendlicheren Reflexionen fallen meistens matt und leblos aus. Cechs Eigenart darf man aber nicht in seinen historischen Epen, die zeitweilig an Hamerling erinnern, suchen: seine poetische Spezialität sind moderne, oft allegorische Verserzählungen, die auf Lord Byron zurückzuführen sind und sozialpolitische Fragen im Geiste eines liberalen Demokratismus und eines romantischen Panslawismus behandeln. Mit einem einigermaßen nebelhaften Messianismus, ähnlich wie man ihn in der russischen und polnischen Litteratur der dreißiger und vierziger Jahre findet, betrachtet Cech die Sendung der Slawen innerhalb der geschichtlichen Entwicklung Europas. Das alte, raffinierte und übersättigte Westeuropa ist in seinem Innern von einer Todeskrankheit durchfressen; eine soziale Revolution, die nicht so sehr entfernt ist, wird den siechen Riesenkörper endgültig zerschmettern - so lesen wir in Gechs düsterer und pessimistischer Allegorie »Europa" (1880), wo er seine Erlebnisse auf dem Schwarzen Meere verwertet und mit Einzelheiten aus der Geschichte der Pariser Kommune verarbeitet hat. Dann bricht nun aber der neue Morgen für die bisher mißgeachteten slawischen Völker an - hier hört man Kollars Ideen - ; doch das Slawentum ist bis heute dieser ungeheuren politischen und kulturellen Aufgabe nicht gewachsen. Zuerst müssen die Slawen ihre ewigen - 327 - Zwistigkeiten ablegen; der Dichter selbst versöhnt rhetorisch in >Slavia<' (1884), einer dem Gedichte >Europa« nicht unähnlichen Allegorie, deren Handlung sich ebenfalls während der Schiffahrt eines Dampfers auf dem Meere abspielt, die Russen mit den Polen, die Serben mit den Kroaten, die russischen Nihilisten mit den idealistischen Slavjanophilen, allerdings ohne den Leser im geringsten zu überzeugen. Waren jedoch die russischen Slavjanophilen wie Kirejevskij und die polnischen Messianisten wie Towianski oder der ältere cechische Panslawist Kollar oft Reaktionäre, ja unterwürfige Diener des staatlichen Absolutismus, ist Cech in seinem Panslawismus immer ein gesinnungstreuer Demokrat und Liberaler geblieben. Aus seiner Jugend hat er eine treue Liebe zu dem Bauernstande mitgebracht; ein anmutiges Dorfidyll an der Seite einer blondlockigen zarten Frau und im Kreise von spielenden, singenden Kindern gehörte stets zu den teuersten Träumen des einsamen Junggesellen und unzufriedenen Städters; kein Bild beschäftigte die Phantasie des klassenbewußten Nachkommen mittelböhmischer Bauern öfters als das fröhliche Schnitterfest, wo der fruchtbringende Boden mit dem Ackermann und mit der Lerche über seinem Kopfe zu jauchzen scheint. In diesem Umkreise bewegen sich alle acht Gesänge des erwähnten idyllischen Epos )Im Schatten der Linde«, welches eine sehnsüchtige Apostrophe der ländlichen Heimat eröffnet und eine begeisterte Apotheose des Landes abschließt; ähnliche Vorstellungen kehren noch in den eitlen Träumen der Revolutionäre in >Europa« und des abtrünnigen Priesters V aclav von Michalovic wieder; aber auch sie verwandeln sich bei dem Tendenz- und Problemdichter in programmatische Forderungen. So stellt Cech zu der Zeit, als in Böhmen der Ruf nach einer nationalen Aristokratie laut wurde, in seinem schlichten >Zpevnik Jana Buriana« (>Gesangbuche des Jan Burian«, 1894) den selbstbewußten Bauer hoch über den Adel; so läßt er einen seiner letzten Gedichtzyklen «Sekacic (>Die Schnitten, 1903) in ein begeistertes Lob des schlichten Landmannes und seiner Arbeit ausklingen: mit Recht rühmen sich die Agrarier in Böhmen, daß Svatopluk Cech sowie losef V. Sladek ihren Bestrebungen Ausdruck gegeben haben. Auch hat Sv. Cech gegen den kapitalistischen Großbetrieb und gegen die Fabrikindustrie die Partei für das autochthone - 328 - Kleingewerbe ergriffen und in einem tragischen Idyll »Lesetinsky kovaf« (»Der Schmied von Lesetin«, 1883, deutsch nur in kleinen Bruckstücken in der Albertschen Anthologie), das trotz der Beschlagnahme äußerst populär geworden ist, diesen Konflikt poetisch verwertet und zugleich patriotisch aufgefaßt. Wie Neruda, hieß er die sozialistische Organisation der modernen Proletarier, die er schmeichelnd »Helden der Zukunft« genannt hat, willkommen. Mehrmals hat er sich mit politischer Lyrik, wo ihm Vaclav Sole vorgearbeitet hat, an die Öffentlichkeit gewendet; immer schlägt er andere Töne an als die bei den anderen hervorragenden politischen Lyriker seiner Zeit, Jan Neruda und Josef V. Sladek. Bei diesen drängt sich das politische oder nationale Gedicht aus jener geheimnisvollen, dunklen Tiefe, wo religiöses Empfinden und dumpfes Rassenbewußtsein brüten; verhaltener Groll, herber Schmerz, beleidigter Stolz begleiten den patriotischen Messianismus Nerudas und die bodenständige Vaterlandsliebe Sladeks. Cech ist auch in der politischen Dichtung kein eigentlicher Lyriker: für verstandesmäßige Betrachtungen wählt er die glatte und wirksame Form des Couplets oder der Chanson, naheliegende Zeitfragen löst er mit großem Aufwande der Rhetorik; vor Gemeinplätzen, billigen Pointen, krassen Wiederholungen schreckt er nicht zurück; und so ist in seinen drei Sammlungen von politischen Gedichten manches bereits veraltet. In seinen» liUni pisne« (» Morgenlieden, 1887) findet er für die Bestrebungen der Jungcechen, die damals wirklich freisinnig und demokratisch waren, den poetischen Ausdruck. Dann lauscht er in seinen »Nove pisne« (»Neue Lieden, 1888) dem geheimnisvollen Weben der modernen Zeit, wo der Sozialismus die nationalen Interessen zurückzudrängen sucht. Endlich, in den »Pisne otroka« (»Lieder eines Sklaven«, 1894, deutsch von J. Koutek, Stuttgart 1897) seinem populärsten Buche, dessen nationaler Radikalismus in das durchsichtige Gewand der exotischen Allegorie verhüllt ist, erscheint er als ein zürnender und strafender Prophet des Alten Testamentes, der, aus seiner Gebirgshöhle zurückkehrend, überall nur Sklaverei, Unterwürfigkeit und Gemeinheit findet. Gleich hat man erraten, was diese grellen Schilderungen des schrecklichen Sklavenwesens in den Tropen, die mit Freiligraths Augen betrachtet werden, was diese exotischen Bilder mit Palmen und - 329 - Panthern, Lianen und Reisfeldern zu bedeuten haben: im Sinne der äußersten Linken des fortschrittlichen Nationalismus der neunziger Jahre eifert hier Sv. Cech gegen den Zentralismus, den Militarismus, die Gewaltherrschaft der Wiener Regierung, heißt die revolutionären Bestrebungen der Jugend willkommen, greift leidenschaftlich den sklavischen Geist seiner Nation an. Bisweilen glaubt man Anklänge an den radikalen Sozialismus aus diesen »Liedern eines Sklaven~ zu hören: doch man lasse sich nicht von dieser nur dekorativen Einkleidung täuschen der eigentliche Standpunkt Svatopluk Cechs war und ist immer patriotisch und liberal geblieben. Mit dem indifferenten Liberalismus teilt er auch die Hilflosigkeit den religiösen Fragen gegenüber, die mit seiner ehrlichen Vorliebe für die böhmische Reformation in einem gewissen Widerspruche steht; erst spät hat er sich, in seinen »Modlitby k Neznamemu~ (»Gebete zum Unbekannten~, 1896), zu einem formlosen, vagen Pantheismus bekannt, der bei ihm durch eine weichliche und haltlose Humanität ergänzt wird. In diesen zwei letzten pseudolyrischen Büchern, wo die großen Fragen der politischen Freiheit und des religiösen Glaubens des Dichters Seele bedrängen, finden sich auch idyllische Einlagen, welchen wir bereits in seinen epischen Kompositionen begegnet sind. Je älter der Poet wurde, desto öfters flüchtete sich sein zartes Gemüt in das duftige Reich der unschuldigen Idylle, welches eng an das Gebiet der teuersten Jugenderinnerungen grenzte; darin war er dem polnischen Klassiker Mickiewicz, den er schon als Knabe eifrig gelesen und verehrt hat, nicht ganz unähnlich. Das anmutige, archaistisch ausgestattete idyillische Epos» Vaclav Zivsa« (1889-1891), welches sich als die einzige Ausnahme in der modernen cechischen Dichtung der quantitierenden Prosodie bedient, verbrämt autobiographische Züge mit Motiven aus der nationalen Wiedergeburt, ohne ein einheitliches Ganzes zu bilden; altmodische Sentimentalität des trauten Weihnachtsbildes »Snih~ (»Der Schnee~, 1894) wird durch süßliche lyrische Zwischenspiele erhöht. Auch Sonstiges verrät bei Sv. Cech den Idylliker. Für die aufrüttelnden Leidenschaften und die grauenvollen, unglaublich verwickelten Wirklichkeiten der modernen Existenz ist in seinem "\\T erke ebensowenig Platz wie für die geheimnisvolle Tragik der Alltäglichkeit oder für feine - 330 Schwingungen der modernen Seele. Auch ist Gech kein Erotiker; seine Frauengestalten sind matt, schemenhaft, konventionell; sein Verhältnis zum Weibe ist das eines vereinsamten, ältlichen, menschenscheuen Garc;:on: schüchtern, süßlich, nebelhaft; nur in einigen Novellen finden sich bei ihm feine Mädchenköpfchen. Neben der Idylle waren es noch die humoristische Erzählung und das satirische Gedicht, wohin sich Sv. Gech vor seinem tendenziösen Pathos, vor seiner zeitgemäßen Problematik, vor der rhetorischen Manier zu flüchten pflegte. In einem anmutigen Märchen, in einem parodistischen Tierepos, in einem tollen Traumgesichte setzt sich der liebenswürdige Poet, ein echter Heineschüler, eine Narrenkappe auf, und nun müssen der Gelehrtendünkel , die Ausländerei , die Modesucht , die pedantische Kritik, die politische Charlatanerie, der poetische Snobismus, das banause Spießbürgertum manchen Streich seiner Pritsche erfahren. Neben den zarten »Petrklice~ (»Himmelschlüssel~, 1883, deutsch von Zd. Fux ]elensky, Wien 1892), einem frischen Märchen, das mit seiner Verschmelzung der duftigsten Poesie und der humoristischen Satire an Andersens Märchenkunst erinnert, ist von diesen Schöpfungen noch der köstlich übermütige »Hanuman~ (1884) zu nennen, jenes Werk, das dem Dichter selbst am liebsten war. Als Vorkämpfer der europäischen Pseudokultur, der verlogenen Unnatur im modernen Leben werden hier indische Affen geschildert, bei denen das emanzipierte Europäerturn zu einem leidenschaftlichen Staatsstreich wird und so die wildesten Triebe und Regungen entfesselt, um zuletzt zu einer Schmach zu führen. Hier spricht ein romantischer Naturschwärmer , ein verspäteter Rousseauist, der im Grunde den ganzen Lug und Trug des sogenannten Fortschritts verwirft; doch dieser Romantiker versteht vorzüglich die große Kunst »ridendo dicere severum~ und beherrscht dabei die feinsten und zugleich wirksamsten Mittel der grotesken Komik. Svatopluk Dejepis mesta Prahye (>Die Geschichte der Stadt Prage), die in ihren zwölf Bänden nur bis zu der Schwelle des 17. Jahrhunderts reicht, aber doch vielleicht bloß mit Gregorovius' )Geschichte der Stadt Rome zu messen ist. In einer Hinsicht ist sie jedoch auch jener monumentalen Stadtmonographie überlegen: Tomek hat darin die allgemeine böhmische Geschichte zum ersten Male nach Palacky von neuem geschrieben und besonders die Hussitenkriege ausführlich behandelt. Diese Wiedererweckung des altertümlichen Prag, wenn Tomeks Darstellung auch trocken und pedantisch ist, kam auch der historischen Novellistik sehr zustatten. Auch sonst berührten sich die Bestrebungen der wissenschaftlichen Geschichtsforschung, welcher Anton Gindely, Josef Emler und Vincenz Brandl als geschulte Editoren vorarbeiteten, mit den Interessen der Dichter und Erzähler. Der streng methodische und ungemein gelehrte Forscher von europäischem Weitblick Anton Gindely (1829-1892) hat der Geschichte der Böhmischen Brüder sowie der des Dreißigjährigen Krieges untersuchende Quellenstudien und großzügige Darstellungen gewidmet; sein kaltblütiger und kritischer Realismus kontrastierte mit der warmen, aber oft naiven Begeisterung, die in seinen methodisch oft anfechtbaren Sammelwerken zur Kunde der katholischen Gegenreformation der sentimentale Tomas Bilek (1819-1900) an den Tag gelegt hat. Der treue Anhänger und Verehrer Palackys J 0 s e f Kalo u s e k (geb. 1838) diente mit seinem grundlegenden Werke über das böhmische Staatsrecht der altcechischen Politik eines Rieger oder Brauner; doch wie diese beiden Führer des öffentlichen Lebens erinnerte sich auch der Universitätsprofessor gern seines Ursprungs aus dem Bauernstande und lieferte wertvolle Beiträge zur Geschichte der Bauern in Böhmen, während der schlesische Geschichtschreiber Vi n ce nz Prasek (1843-1913) das ländliche Leben in Mähren und Schlesien studierte. Mit der monumentalen Leistung Tomeks kann sich an Umfang ein einziges Werk messen, das den südböhmischen Gymnasialprofessor Au g u s t Se dIa c e k (geb. 1843) zum Verfasser hat. Die ebenso fleißigen und reichhaltigen wie zuverlässigen und allseitigen »Hrady, zamky a tvrze kralovstvi Ceskeho« ( »Burgen, Schlösser und V esten des Königreichs - 335 - Böhmen«, seit 1881, bisher 14 Bände) geben eine bis in das unbedeutendste Detail eingehende Geschichte des altböhmischen Adels in monographischer Form und topographischer Reihenfolge und bilden mit ihrer klaren und einfachen Darstellung ein willkommenes Hilfsbuch, geschaffen für die historischen Novellisten. Allein der Erzähler, welcher aus Sedlaceks riesenhaftem, durchaus in hussitischem Geiste verfaßten Werke am nachhaltigsten und dankbarsten hätte schöpfen können, der begeisterte Chronist und elegisch beanlagte Pathetiker Va c 1 a v Ben e s Trebizsky (1849-1884), hat nur die allerersten Bände dieses. monumentalen Hilfsbuches erlebt; in seinem fünfunddreißigsten Jahre hat der Tod den schmächtigen, schwindsüchtigen katholischen Priester dahingerafft. Auch er war ein fleißiger Sammler, der sich an alten vergessenen Chroniken und verstaubten Aktenstücken aufrichtig erfreute; auch er interessierte sich fast wissenschaftlich für die Geschicke von altertümlichen Burgen und ritterlichen Adelsgeschlechtern, auch für ihn waren die Hussitenkriege und die Gegenreformation das wichtigste Thema der vaterländischen Geschichte. Doch alles wurde bei diesem ungemein produktiven Schriftsteller eine Novelle, eine sentimentale, konventionell gehaltene Erzählung, in der von einer realen Lebenskenntnis und einer sicheren Psychologie leider wenig zu spüren ist. Dieselben recht matten und blutlosen Typen kehren in schematischer Anordnung immer wieder, dieselben geheimnisvollen, romanhaften Motive werden immer von neuem mühsam ausgesponnen und kunstlos verwoben, derselbe salbungsvolle, übel pathetische, manchmal auch weinerliche Predigerton verhüllt mit seinem unerträglichen Weihrauchsqualm seine Erzählungen. Doch dabei wurde Trebizsky der volkstümlichste Prosaiker in Böhmen; man liest noch heute seine dicken Novellenbände, die unter den bezeichnenden Titeln: )Pod doskovymi strechami«, ) V cervancich kalicha«, )V lesku kalicha«, »Pobelohorske elegie« (»Unter den Strohdächern«, »In der Morgenröte des Kelches«, »In dem Glanze des Kelches«, )Elegien aus dem Dreißigjährigen Kriege«) in den achtziger Jahren erschienen sind, mit patriotischer Begeisterung, und selbst die Liberalen sind stolz auf den cechischen )Hussitenpriesten, der ja unter seinen zelotischen und ultramontanen Amtsbrüdern eine seltene Ausnahme ist. - 336 - Doch die Popularität des bekanntesten cechischen historischen Romandichters Al 0 i s J i ras e k (geb. 1851) ist noch größer. Seine Romane und Novellen erschienen sämtlich in mehreren Auflagen; die Mittelschule wirbt planmäßig für den wackeren Gymnasiallehrer, dessen Schriften zugleich belehrend und veredelnd auf die Jugend wirken; das Nationaltheater führt seine Stücke mit dem größten Kraftaufwand auf; seine Bücher werden immer von der Akademie oder verwandten Institutionen preisgekrönt; die angesehenen Litterarhistoriker wetteifern im Lobe Jiraseks; seine Landsleute selbst übersetzen ihn, doch bisher ohne besonderen Erfolg, ins Deutsche; und würde man einen ,einfachen Mann aus dem Volke fragen, ob er einen cechischen Schriftsteller kenne, so würde seine Antwort gewiß ) Jiraseh lauten. Die jugendlichen Eindrücke waren von bestimmender Macht für die spätere Entwicklung Jiraseks. In dem kleinen Grenzstädtchen Hronow bei Nachod aus Handwerkerkreisen geboren, stammte er aus dem knorrigen Geschlechte der armen Bauern und Weber des Adlergebirges, welche sich ebenso in ethnographischer wie religiöser Hinsicht ihre bodenständige Eigenart lange erhalten haben. Die Bauernaufstände des 17. Jahrhunderts lebten noch im Gedächtnisse aller, und man brauchte nur einen kurzen Spaziergang aus Hronow zu machen, um die Markgrafschaft Glatz, das frühere Eigentum der böhmischen Krone, zu erreichen, die so beredt von den blutigen Kriegen des großen Preußenkönigs gegen Österreich zu erzählen wußte. Es blieb keineswegs bei nur historischen Erinnerungen: der Krieg von 1866 bricht aus, die Preußen überschwemmen mit ihren Scharen die Umgebung von Hronow und erstreiten bei Skalitz und N achod , in der nächsten Nähe des Geburtsortes Jiraseks, ihre Siege: der begabte, für Soldaten und Pferde kindlich schwärmende Knabe erlebte und betrachtete mit eigenen Augen den Einzug des deutschen Heeres, das blutige Schauspiel der Schlachten, die schmerzhaften Niederlagen seiner Landsleute. Der spätere Schlachtenmaler, bei welchem schon früh die zeichnerische Begabung an den Tag tritt, machte hier seine ausschlaggebenden Erfahrungen. Bei den deutschen Piaristen in Braumau lernte er das altertümliche Schulwesen, an dem vorzüglichen cechischen Gymnasium in Königgrätz .die nationale Begeisterung der Jugend kennen; schon damals 337 - versuchte er sich litterarisch; schon damals liebte er das Theater leidenschaftlich. In Prag studiert Jirasek dann Geschichte, verkehrt mit jungen Schriftstellern und Künstlern und schließt eine besonders innige Freundschaft mit dem eigenartigen Maler und Zeichner Mikulas Ales, welcher ebenso wie Jirasek Schlachten und Soldaten liebt, aber dabei einen monumental-nationalen Zug stark betont, was auch für den jungen, damals schlecht und recht versifizierenden Historiker von Bedeutung ist. Der Beruf des Mittelschullehrers führt den dreiundzwanzigjährigen Mann nach Leitomischi, wo er dann vierzehn Jahre verbringt. Drei Kulturströmungen berührten und vermischten sich in dieser stillen, vornehmen Stadt üstböhmens, und alle drei befruchteten den frischen Geist des jurigen Forschers und Erzählers: die altehrwürdige Piaristenschule hielt fest an den sazerdotalen Traditionen, welche bis in das 17. Jahrhundert zurückgreifen; um das feine hochadelige Schloß schwärmten die zarten Geister des leichtlebigen Rokoko, während die Bürger der altertümlich erhaltenen Stadt noch immer das Vermächtnis der Biedermeierzeit aufrecht hielten; später wurde Jirasek auch mit den Lebensformen der Landbevölkerung in der Umgebung von Leitomischi vertraut. Seine Jugend und seine Leitomischier Zeit hat Jirasek selbst in zwei Bänden seiner Erinnerungen anschaulich und kunstlos geschildert; weniger wäre über die nächsten zwanzig Jahre zu berichten, die er als Gymnasialprofessor in Prag verbrachte: es sind Jahrzehnte voll von Arbeit und Erfolgen. In seinen ersten Arbeiten, die entweder schlichte Volksfiguren aus des Erzählers Heimat mit den Mitteln V. Haleks vorführen oder das wüste Soldatenleben aus den verschiedenen Kriegen der neueren böhmischen Ge~chichte schildern, war Jirasek ein frischer, sachlicher Genremaler, dessen Darstellung unter einer sprunghaften, skizzenmäßigen Schreibart , von welcher er sich auch später nicht ganz loszumachen vermochte, zu leiden hatte. Bald wagte er sich an größere Kompositionen; die verschiedensten Zeitalter der böhmischen Geschichte, von den ersten Anfängen des Christentums bis zu der unsicheren Dämmerung der nationalen Wiedergeburt mußten herhalten, um zu einer eigentümlichen Mischung der landläufigen Romantik mit sorgfältigem kulturhistorischen Detail den Hintergrund zu bilden; für die Schilderungen der Bauernaufstände sowie für Darstellungen aus ]akubec-Novak, Cechlsche Lltteratur. 22 - 338 - dem Siebenjährigen Kriege zeigt sich eine ausgesprochene Vorliebe. So hat er in seinen »Psohlavci« (»Chodische Freiheitskämpfen, 1886, deutsch von B. Lepar, Prag 1904) den verzweifelt heldenhaften Kampf des Chodenvolkes gegen die Unterdrückung der Gutsherren in einer gelungenen Vereinigung der ethnographischen und der kulturhistorischen Detailmalerei vorzüglich geschildert. Noch sein erster, großer Roman aus der Vorzeit des Hussitentums »Mezi proudy« ()Zwischen den Zeitströmungen«, 1887-1892), der sich eng an Tomeks Forschung über Prag im 15. Jahrhundert anschließt, ist ein Durchschnittsprodukt eines verspäteten Walter-Scott-Schülers. Dann schlägt Jinl.seks litterarische Entwicklung bald einen anderen Weg ein: er wird in seinen groß angelegten historischen Romanen ein realistischer Kleinmaler , ein behaglicher Requisitenkünstler , ein genauer Milieuschilderer , bei dem man die praktische Kulturgeschichte ebensoleicht lernen könnte wie bei dem ihm analogen W. H. Riehl. Alles ist historisch treu und dokumentar beglaubigt: die Trachten wie die Waffen, das Schlachtenarrangement wie die Topographie der alten Städte, die Beschreibung von alten Burgen wie das Volksleben im Dorfe; in seinen besten Werken gelang es ihm auch, den großen historischen Gesamteindruck vergangener Zeitalter genau festzuhalten. In der stofflichen Hinsicht ist in dieser späteren Periode .eine gewisse Konzentration nicht zu verkennen. Aus der Geschichte der böhmischen Reformation sagen Jirasek am meisten die Hussitenkriege mit ihren Nachklängen zu; die nationale Wiedergeburt schildert er auf dem Hintergrunde des adeligen Rokoko oder des bürgerlichen Biedermeiertums; aber er deckt auch recht gern die unscheinbaren Wurzeln dieser großen Bewegung in dem schlichten Volksleben seiner Landsleute im Adlergebirge auf. In seine schwungvolle Epopöe in Prosa »Proti vsem« (»Wider alle Welt«, deutsch von Joza Höcker, Prag 1911) hat er die schwüle Kriegsatmosphäre, die um Zi~ka lagert, gebannt. Seine, in ihrer unübersehbaren Masse von handelnden Personen ermüdende Chronik »Bratrstvo« (»Die Brüderschaft«, seit 1899 bis 1909, 3 Bände) ist ganz von der ungesunden Luft des in Ungarn absterbenden Taboritentums durchsättigt. Beide chronikartigen Kompositionen »F. L. Vek« (1890-1907, 5 Bände) und »U nas« (»Bei uns«, 1896-1902, 4 Bände) berücksichtigen die - 339 - verborgensten und unbedeutendsten mitwirkenden Faktoren des cechischen nationalen Wiedererwachens. Überall betont Jirasek in diesen kollektiven Chroniken der Massenbewegungen sein nationales Stammesbewußtsein, seine innig erfaßte Angehörigkeit zu dem Bauernvolke, seinen entschiedenen Sinn für die lokale Eigenart sowie für den traditionellen Zusammenhang mit der Vergangenheit: dieser Volkserzähler verwaltet pflichtgetreu das Amt eines Volkspädagogen. Und Ähnliches gilt von Jiraseks szenischen Arbeiten, die man kaum gesetzmäßige Dramen nennen kann, da hier nur eine bunte Folge frei aneinander gereihter Szenen geboten wird, seien sie aus dem Volksleben, wie in) Vojnarka« (1891), )Lucerna« ()Die Laterne«, 1905, deutsch von Sp. Wukadinovic, 1906) oder aus dem Hussitenkriege, wie in )Zizka« (1903) und »Jan Hus« (1911) oder endlich aus der Geschichte der elb-slawischen Volksstämme, wie in )Gero« (1905, deutsch von M. Andricki, Bautzen 1906). Dem trefflichen kulturhistorischen Kleinmaler wird man also sein Lob weder in diesen dramatischen noch in jenen epischen Arbeiten verweigern können, wenn man auch eine tiefere geschichtsphilosophische Auffassung überall beinahe schmerzlich vermißt. Ganz anders steht es aber um Jirasek den Künstler: seine Psychologie ist seicht und konventionell; seine Erotik ist entweder sentimental oder langweilig; seine Moral ist engherzig und spießbürgerlich. Vergebens sucht man bei ihm nach einer tatsächlich heldenhaften Erscheinung, die man rein menschlich bewundern könnte; vergebens nach einem tragischen Schicksale, vergebens endlich nach einer großen Weltidee, die doch bei keinem wirklich großen modernen historischen Romandichter, sei es Flaubert oder Tolstoj oder K. F. Meyer, fehlt. Feinere Qualitäten der Komposition und des Stils vermißt man bei Jirasek allzu schmerzlich. Seine oft sehr dickleibigen Bücher haben keinen strengen, einheitlichen Aufbau, sondern sie sind nur rasch und leicht hingeworfen. Das überflüssige Schnörkel werk erdrückt nicht selten die eigentliche Handlung ebenso wie die Nebenfiguren oft die wichtigen Träger der entscheidenden Geschehnisse verdrängen. Jirasek schreibt knappe, ja abgehackte, manchmal elliptische Sätze, welche im Dialog kräftig, in der Darstellung aber peinlich wirken, seine Schilderung ist kurzatmig und nüchtern und bevorzugt die analytischen Einzelheiten 22* - 340 - zugunsten der satten und suggestiven Synthese. Aber daheim wollen die begeisterten Anhänger Jiraseks um keinen Preis einsehen, daß eine nicht mehr ferne Zukunft der unkritischen Überschätzung dieser lokalen Größe, dieses cechischen Sienkiewicz ein jähes Ende machen könnte. Dann wird man aber wahrscheinlich einen bisher nicht genug beachteten historischen Novellisten, den vortrefflichen Z i k m und W i n t e r (1846-1912) schätzen lernen, der viel höher als Jirasek steht. Z. Winter selbst, ein Professor der Geschichte an dem altehrwürdigen akademischen Gymnasium in Prag, das schon im 16. Jahrhundert gegründet wurde, betrachtete seine Novellistik als ein bloßes Beiwerk seiner fachwissenschaftlichen kulturhistorischen Untersuchungen, in welchen er, ein treuer Schüler Tomeks, sich mehr als ein fleißiger Sammler denn als ein kühner Schaffer gezeigt hat. Die unerschöpfliche Fülle der öffentlichen und privaten Urkunden beherrschend, in den dunkeln Archiven der böhmischen Städte, vorzüglich aber seiner leidenschaftlich geliebten Geburtsstadt Prag brütend, jede Einzelheit geduldig verzeichnend, hat Z. Winter seinem Volke die Kulturgeschichte des 15. bis 17. Jahrhunderts, wenn auch mosaikartig, aus dem europäischen Zusammenhange losgelöst, geschaffen: das Städte- und Schulwesen, das religiöse und das gewerbliche Leben, die Geschichte des Handels und der Trachten bewältigte der streng konservative, den religiösen und sozialen Umwälzungen wenig geneigte Winter in zwölf großen Bänden. Doch seine wortkarge, fast epigrammatische Technik, seine scharfgeschnittene, oft beinahe an Karikatur grenzende Charakteristik, seine farbenreiche, manchmal nahezu überladene Milieuschilderung, sein knorriges, derbes Temperament, sein volkstümlicher, würziger Humor zeugen von einer urwüchsigen Künstlernatur. Sein ganzes Wesen mutet wie ein großer Anachronismus, wie ein archaistischer Einfall der Geschichte an; dieser in sich gekehrte, gelehrte Professor, dem die gesamte Gegenwart durchaus gleichgültig und fremd ist, findet sich nur im endenden 16. Jahrhundert heimisch, wo er eigentlich hingehört. Das buntbewegte Prag des späten 16. und des beginnenden 17. Jahrhunderts ist Winters geistige Heimat; hier unter trunksüchtigen Bacchalaureaten und liederlichen Scholaren, unter verlaufenen Nonnen und gutmütigen Ratsherren, unter wilden Soldaten und schnurrigen Spaßmachern, die er be- - 341 sonders in )Rozina sebranec~ ()Rozina, der Findling~, 1906) und )Magister Campanus~ (1909), von seinen älteren Arbeiten abgesehen, so vortrefflich abkonterfeit hat, lebt und webt dieser originelle Meister, der bisher den Höhepunkt der historischen Erzählung bei den Cechen bedeutet. - In der Zeit, da die slawische Idee das Leben wie die Litteratur in Böhmen mächtig durchdrang, da die Politiker wie die Dichter der slawischen Wechselseitigkeit unermüdlich dienten, wurde auch in der cechischen Öffentlichkeit größere Aufmerksamkeit auf das slowakische Schrifttum in Ungarn gelenkt. Auch in der ungarischen Slowakei war in der schwülen Reaktionszeit, die auf die wild aufgeloderte revolutionäre Begeisterung der slowakischen Patrioten gefolgt war, das litterarische Leben gänzlich gehemmt, und in der im Jahre 1850 orthographich geregelten slowakischen Schriftsprache erschienen gar wenige Bücher. Erst in den sechziger Jahren rührte sich in der Slowakei wieder ein frisches, vielversprechendes litterarisches Leben. Eine neue Generation versammelt sich in einigen, die cechischen Vorbilder nachahmenden Musenalmanachen; eine großartig angelegte patriotisch litterarische Institution, die )Matica Slovenska~ wird feierlich begründet, neue Zeitschriften treten ins Leben, mehrere slowakische Städte werden zu Mittelpunkten des geistigen Webens. Was geschrieben und gedruckt wird, gehört noch immer der poetischen Spätromantik mit ihrer panslawistischen oder patriotischhistorischen Färbung an: der größte slowakische Poet, Ondrej Sladkovic, veröffentlichte die Spätfrüchte seines bereits erlahmenden Talentes; der fruchtbare Viliam Pauliny T6th (1826 -1877) und der frühverstorbene Ludovft Kubani (18301869) wollen durch ihre historische Novellistik, die ungefähr dem cechischen historischen Genre vor Jirasek entspricht, unmittelbar auf das nationale Bewußtsein ihres Stammes einwirken. Dann macht die magyarische Regierung in den ersten siebzig Jahren dem schönen litterarischen Aufblühen ein unbarmherziges Ende: ein stolzer, gewaltsamer Zentralismus verschließt slowakische Schulen, verbietet slowakische Zeitschriften, hebt patriotische Institutionen wie die) Matica Slovenska~ auf; die Schwachen und Unbeständigen weichen der Gewalt, die Starken verstummen hoffnungslos. Der passive, träumerische Charakter die Slowaken, der nebelhafte, halbmystische Idealismus, zu welchem die slowa- - 342 - kische Intelligenz die HegeIsche Lehre verarbeitet hat, waren gegen die gewaltsame Persekution ganz kraftlos. Einige Patrioten wollten in dieser verzweifelten Bedrängnis wieder zur Gemeinschaft mit den Cechen zurückkehren, zumal da mehrere eechische Schriftsteller, wie Heyduk, Holecek und besonders der zähe und eigensinnige Vorkämpfer der cechoslawischen Wechselseitigkeit Rudolf Pokorny (1853-1887), ein zarter aber eintöniger Lyriker, in Böhmen für die Slowakei warben. Andere Schriftsteller sahen dagegen, daß man eine so tiefgehende Entfremdung kaum so rasch und schnell gutmachen könne, und wollten daher den alten separatistischen Traditionen treu bleiben und dieselben mit künstlerischem Fortschritt vereinigen. Auf zwei von ihnen ist die moderne Slowakei besonders stolz: auf den Novellisten Svetozar Hurban Vajansky und auf ihren größten Poeten Hviezdoslav. Sv e t 0 zar H u r ban Vajansky (geb. 1847), der gleich seinem Vater ein beredter Publizist und ein separatistischer Organisator ist, veröffentlichte zuerst einige Versbücher, die, sich an Halek und Heyduk formal anschließend, slawisch -romantische Ideale schlicht und rührend besingen; dann war er eine Zeitlang in der Schule Turgeniews gewesen und bürgerte nachher lyrischen Realismus in der slowakischen Novellistik ein; als lebenstreue Bilder der slowakischen Gesellschaft und als edle Tendenzschriften sind seine Romane und Novellen wie ~Letiace tiene( (~Fliegende Schatten" 1883), ~Sucha ratolesü (~Dürrer ASh, 1882) und ~Kotlin( (1901), bemerkenswert; zu der eben im Erscheinen begriffenen Gesamtausgabe der Werke von Vajansky sehen die Slowaken stolz empor. Als eine großartige Synthese der bisherigen poetischen Entwicklung in der Slowakei, wie sie sich von HoUy zu ]anko Kral und von diesem zu Slädkovic entwickelt hatte, kann man den vorzüglichen Dichter H v i e z dos I a v (eigentlich Pavol Orszagh, geb. 1849) bezeichnen. Er ist ein treuer Jünger der slowakischen Romantik, ein feuriger, ja oft mystisch veranlagter Patriot, ein begeisterter Sänger der wilden Tatranatur, der wunderschönen, märchenhaften Waldeinsamkeit. Dabei hat er den großen Fortschritt der neueren eechischen Poesie mitgemacht; er schreibt eine satte, bilderreiche Dichtersprache, einen breiten, pompösen Vers, beherrscht eine rhetorische Pathetik, die er besonders in 343 - seinen lyrischen Reflexionen anzubringen pflegt. Hviezdoslav hat sich an den größten Schöpfungen der Weltlitteratur gebildet und hat einige Meisterwerke derselben vortrefflich ins Slowakische übersetzt, am schönsten wohl Shakespeares »Sommernachtstraum« und »HamIet« und einige der formstrengen Gedichte Schillers. Seine poetischen Erzählungen, von denen »Hajnikova zena« (Waldhegers Frau«, 1886) und »Bo Vlkolinsky« (1892) am höchsten stehen, werden in der slowakischen Poesie nicht so bald übertroffen werden. Doch dieser vortreffliche Dichter schreibt für einen so engen Leserkreis, wie vielleicht keiner der europäischen Poeten, die katalanischen Schriftsteller nicht ausgenommen; auch in Böhmen beachtet man heute die slowakische Dialektdichtung wenig; seine Landsleute können ihn an keiner ähnlichen Erscheinung in ihrem Schrifttum messen, die unseligsten Konsequenzen eines litterarischen Separatismus kann man nirgends so genau verfolgen wie an diesem prächtigen Poeten. Fünfzehntes Kapitel. Der poetische Kosmopolitismus in der cechischen Litteratur. In schroffem Gegensatze zu den poetischen Slavjanophilen mit Svatopluk Cech an der Spitze und zu der historischpatriotischen Schule, wie sie Alois Jirasek besonders charakteristisch vertritt, stehen während der siebziger und achtziger Jahre die kosmopolitischen Dichter da, die mit den älteren nationalen Traditionen und mit den politischen Zeittendenzen gänzlich gebrochen haben. Diese Gabelung, die wir auch bei anderen Slawen treffen, ist für das cechische Schrifttum ungemein charakteristisch und dauert noch bis in unsere Tage. Die Slavjanophilen und die historisch gesinnten Patrioten nahmen die noch immer fruchtbaren Ideen der nationalen Wiedergeburt von neuem auf und dachten sie zu Ende; neue Gedanken und neue Kunstformen haben sie der Litteratur allerdings nicht zugeführt. Die jüngere Intelligenz dagegen, die schon damals den Boden für die nicht mehr ferne cechische Universität lockerte, wollte mit dem Auslande Schritt halten; sie wollte die freie europäische Luft atmen; mit neuen Ideen das geistige Leben in Böhmen befruchten; mit neuen Kunstformen die rückständige Litteratur erneuern. Mit liebevoller Begeisterung, mit wissenschaftlichem Fleiße, mit intimem Verständnis studierten diese Intellektuellen die Litteratur, ja die gesamte künstlerische Kultur in Frankreich, England, ja selbst in Italien; der deutsche Einfluß dagegen tritt eben in dieser Periode zurück. Eine ganz eigentümliche, von raffinierter Geisteskultur zeugende Richtung macht sich bei manchen Künstlern dieser ausgeprägten Gruppe stark bemerkbar: es ist ein restloses Aufgehen in einer fremden - 345 - künstleirschen Individualität, eine fast unbegrenzte Fähigkeit der absoluten Anpassung an verschiedene Kunst- und Kulturepochen, ein ganz kongeniales Verständnis für entfernte, oft geradezu exotische Geschichtsperioden und ihr geistiges Leben. Viele von diesen Dichtern verfügen über eine staunenswerte Gelehrsamkeit, besonders auch über eine universale Litteraturkenntnis ,und so schöpfen sie ihre poetische Inspiration oft lieber aus der Litteratur, denn aus dem Leben. Mit ihnen berühren sich auch Historiker und Ästhetiker von Fach, die fein, elegant, glänzend schreiben. , auch bildende Künstler stellen sich nun in das intimste Verhältnis zur Litteratur. Wiederum ist es eine Zeitschrift, mit dem bereits historisch gewordenen Namen ~Lumin getauft, um die sich diese kosmopolitische Schule versammelt. Als im Jahre 1873 Neruda, ein vorzüglicher Redakteur, dem es immer nur an Abonnenten gefehlt hatte, dieses Blatt mit Halek gründete, vereinigte er darin seine Altersgenossen und die jüngeren Litteraten ; besonders verstand er es, das Feuilleton der Zeitschrift, das aus kleinen Skizzen und abgerundeten Essays zusammengesetzt war, immer durch neue, sehr originelle Beiträge zu beleben. Eine besondere Aufmerksamkeit widmete Neruda auch den poetischen Übersetzungen, für die er gleichzeitig eine gediegene Bibliothek, die ,Poesie svetova~ (, We1tpoesie~) gegründet hat, wo bald der junge Vrchlicky seine ersten Lorbeeren als Übersetzer pflückte. Wahre Bedeutung gewann der ,Lumin jedoch erst, als neue Männer in die R7daktion eintraten, neben Svatopluk Cech der junge Ästhetiker Otakar Hostinsky, neben dem geistreichen jungcechischen Journalisten Servac Heller der feinsinnige Begründer der modernen historischen Methode in Böhmen, Jaroslav Goll. Als dann nach vier Jahren J. V. Sladek in der Redaktion allein blieb, hat die Zeitschrift, welche noch heute, allerdings unter anderer Leitung, erscheint, ihre Richtung beibehalten; die beiden größten Poeten der kosmopolitischen Schule, Jaroslav Vrchlicky und Julius Zeyer, die im ,Lumin bereits im Jahre 1873 debütierten, traten hier ein volles Vierteljahrhundert lang als Fahnenträger der ganzen Gruppe auf. Für die beiden Gelehrten Goll und Hostinsky war die Beteiligung an der Redaktion des , Lumin nur eine kurze Episode; bald wurden sie durch ihre Fachstudien ganz abseits von der 346 -- poetischen Litteratur geführt. Ja r 0 s I a v Go 11 (geb. 1846) hatte, als er im Jahre 1874 zweiundzwanzigjährig in die Redaktion des »Lumfr« eintrat, schon manche bedeutende Anregung von der Wissenschaft und dem Leben empfangen. Als sechsundzwanzigjähriger Doktor wurde er in Göttingen ein Lieblingsschüler von Georg Waitz, der ihn die treffsichere historische Quellellenkritik gelehrt und auf die weiten Gesichtspunkte des Altmeisters Ranke aufmerksam gemacht hat; dann studierte GOll in Berlin und in England die Geschichte und das Leben, in den Niederlanden die alte Kunst. Mit neunundzwanzig Jahren hat sich Goll an der noch utraquistischen Universität in Prag habilitiert; und von da an wußte er sowohl als Universitätslehrer als auch als Forscher den historischen Universalismus mit den gewissenhaftesten Detailstudien zu vereinigen. Er interpretiert zugleich die mittelalterliche Geschichte des westlichen Europas und stellt Spezialuntersuchungen über die böhmische Bruderunität auf; dabei berücksichtigt er gesetzmäßig den organischen Zusammenhang der böhmischen Geschichte mit der allgemeinen europäischen Entwicklung. Die Kunst und Litteratur interessieren ihn kaum weniger als die sozialen und politischen Verhältnisse; den Künstler verrät auch sein anmutiger, feingeschliffener Stil, dem eine leichte Ironie innewohnt; zugleich ist Goll ein Meister des eleganten und anschaulichen akademischen Vortrages. Im Grunde ist Goll mit seinem ästhetisch beanlagten Temperament und mit seiner kosmopolitischen Gesinnung geradezu als ein Antipode des nüchternen, patriotisch beschränkten Tomek zu bezeichnen, bei dem man immer an seine juristischen Anfänge denken muß. Der Ästhetiker Otakar Hostinskj (1847-1910) ist keine so komplizierte Erscheinung wie Goll; auch in seinen feinsten Untersuchungen über die Lebensbedingungen der modernen Kunst, in seiner umfassenden musikkritischen Tätigkeit, in seinen Bemühungen um die ästhetische Erziehung des Volkes bleibt er ein strenger Gelehrter, ein ruhiger Kathedermensch , ein nüchterner, schlichter Stilist. Auch ist er kein origineller Denker, wie auch Durdfk oder Tyrs keiner war, doch der Herbartschen Formalästhetik wußte er ganz andere Resultate abzulocken als die durchschnittlichen Herbartianer in Österreich. Er verband den engherzigen Formalismus von Herbart mit der Semperschen - 347 - Stillehre und mit Wagners musikalischen Grundsätzen und hat sich außerdem bei Heimholtz und bei Darwin manche Beweisgründe für sein Schönheitssystem und seine Hierarchie der Künste geholt. Doch seine Bedeutung liegt vorzugsweise darin, daß bei ihm die Kunsttheorie auf die Lebensgestaltung direkt reagiert. Darin gleicht er seinem Vorgänger an der Prager Universität, dem feinsinnigen Kunsthistoriker und Ästhetiker Mir 0 s I a v Tyrs (1832-1884), der sein antikes Ideal von der gleichmäßigen Entwicklung der geistigen und körperlichen Kräfte kühn ins Leben verpflanzte und durch die erfolgreiche Gründung des cechisch-nationalen Turnerverbandes )Sokolc ()Der Falke«) ein eminentes Verständnis für die gesunde Lebenskunst und eine organisatorische Begabung an den Tag legte. Hostinskj bemühte sich als einer der ersten um die künstlerische Erziehung, er hat gediegen und taktvoll die Kunst popularisiert und so den modernen englischen Bestrebungen vorgearbeitet. Große Dienste hat er der modernen Programmusik erwiesen, indem er gegen die reaktionäre Kritik und das ganz ratlose Publikum tapfer für Wagner und dessen beide großen Anhänger in Böhmen, Smetana und Fibich, eingetreten ist. Schon deshalb darf sein Name in der böhmischen Geistesgeschichte nicht verschwiegen werden; in ihm spiegelt sich wahrlich die Lebensarbeit der kosmopolitischen Schule ab. Neben diesen beiden Mitgliedern der Prager philosophischen Fakultät gehört zu der )Lumirgruppe« auch ein hervorragender Vertreter der me~izinischen Wissenschaft: der als Internist und Kliniker berühmte Universitätsprofessor J 0 s e f T h 0 m a y e r (geb. 1853). Über Thomayers Buch )PNroda a lide« (»Natur und Menschen«, 1881), das unter dem Decknamen R. E. Jamot erschienen ist, sagt sein intimer Freund, der Dichter J. V. Sladek, es suche in dem cechischen Schrifttum seinesgleichen und könne in der Weltlitteratur nur an den Werken des Amerikaners Thoreau gemessen werden - und dieses Urteil des trefflichen Litteraturkenners war alles eher als eine freundschaftliche Übertreibung. Die ursprünglich in )Lumirc veröffentlichten Schilderungen, Skizzen und Charakteristiken Thomayers erfassen die freie Natur und die böhmischen Volkstypen, das Leben der Tiere und die Veränderungen der Atmosphäre, die Dorfszenen und die Waldstimmungen mit solcher Intensität des Erlebens, mit solcher - 348 - Prägnanz des Ausdrucks, mit solcher lyrischen Kraft und zugleich solch köstlichem Humor, daß man keinen Augtl:nblick an der künstlerischen Begabung dieses knorrigen und prachtvollen Chodensprößlings zweifeln darf. Der langjährige Redakteur des »Lumin, ]osef V. Slädek (1845-1912), ist wohl der anspruchsloseste und vielleicht der tiefste unter den Dichtern des Lumirkreises; nie hat er seine feine Begabung, die ausschließlich lyrisch und meditativ ist, überschätzt, nie hat er sich um die Gunst des großen Publikums beworben, obwohl er es in einem viel höheren Grade als die meisten von seinen Zeitgenossen verdient, volkstümlicher Dichter zu werden; seine vornehme verschlossene Persönlichkeit verhielt sich stets zurückhaltend der Öffentlichkeit gegenüber; nur wenn es galt, in den nationalen und politischen Kämpfen seinen Mann zu stellen, beteiligte sich Slädek immer mit seiner männlichen und kräftigen Poesie. J. V. Slädek war sein Lebenlang stolz auf sein schlichtes, ehrhaftes Geschlecht der Bauern und Bergleute unterhalb des mittelböhmischen Brdagebirges: von ihnen hat er das tiefe, verschlossene Gefühl, die innig zarte Liebe zu Mutter Erde, den schalkhaften, neckischen Humor geerbt. Dazu gesellte sich eine seltene geistige Kultur: an der englischen Dichtkunst hat er sich gebildet, die er seinen Landsleuten mustergültig vermittelt - ich nenne nur seine fast vollständige Shakespeareübersetzung sowie seine meisterhaften Umdichtungen aus Bums, Coleridge und Longfellow - doch hat er auch das cechische Volkslied gründlich studiert und an Celakovskys Manier anknüpfend genial nachgeahmt und stilisiert. Die großartige transatlantische Natur hat er als junger Mann gesehen und bewundert und wieder die landschaftliche Eigenart seiner Heimat liebevoll beobachtet und besungen; er war eine Zeitlang ein treuer Anhänger und Schül~r Nerudas und wurde später auch von V rchlicky beeinflußt. Sladeks Stärke liegt in seiner intimen Lyrik, die mit den zartesten Mitteln eines nur angehauchten Stimmungsliedes, einfach und schlicht, aber dabei mit geradezu klassischer Intensität das Seelenleben eines ernsten, reifen und sensitiven Mannes wiedergibt: darin ist er N eruda ebenbürtig, von seinen Zeitgenossen sowie den jüngeren Dichtern unerreicht. Als Slädek in seinem dreißigsten Jahre der Öffentlichkeit sein erstes lyrisches Buch - 349 überreichte, hat er ein gutes Stück seines Lebens und seiner inneren Entwicklung hinter sich gehabt: elegisch und resigniert schaut er auf seine Erlebnisse in Amerika, auf die kühnen Hoffnungen seines national begeisterten Herzens, auf das allzu kurze Eheglück zurück. Doch er grollt, er verzweifelt nicht: denn stärker als der Tod ist die Liebe. Seine nächsten Gedichtsammlungen , die jetzt in einer schönen, dreiteiligen Gesamtausgabe vereinigt sind, bedeuten allmähliche Klärung seines Horizontes: neues, stilleres Lieben ergreift sein Herz, der Reigen der spielenden Kinder rauscht durch seine Tage, die Natur winkt dem Dichter immer mütterlicher und zarter. Der müde Wanderer ruht sich in seiner Bergheimat aus, er gewinnt neues Verhältnis zum Landvolke, und indem er dasselbe in kleinen Balladen und poetischen Charakteristiken zeichnet, wird sein Vers plastischer, fester, knapper. Seit dem Ende der achtziger Jahre tritt J. V. Sladek geradezu als Bauernpoet auf: entweder nimmt er Stellung zu den politischen Begebenheiten im Sinne eines stolzen, bodenständigen, alles Fremde abwehrenden Landmannes, oder stimmt er seine ganz volkstümlichen, leicht sangbaren, sehr oft übermütigen »altmodischen Liedchen« an ... kaum erkennt man in denselben den früheren Melancholiker und Elegiker. Ein trüber, müder Winter schließt dieses reiche Leben ab: langjährige, qualvolle Krankheit läßt täglich an den Tod denken, die Schar der Freunde stirbt aus, alte schmerzhafte Erinnerungen erwachen. Von den letzten Büchern des gealterten Sladek, die beharrlich die Gefilde der Seligen besingen, gilt das Goethesche Wort: »Was ich besitze, seh' ich wie im Weiten, und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten.« Noch einmal drängen sich volkstümliche Lieder über die Lippen des alten Bauernsohnes : wenn es schon keine ausgesprochenen Totenklagen im altertümlichen Volkstone sind, gelten sie dem allmächtigen Verwalter der ewigen Farm, welchen das bäuerlich stilisierte Christentum des Poeten als den allergütigsten Sämann des Lebens und der Liebe verherrlicht. - An der Spitze des poetischen Kosmopolitismus in Böhmen stehen zwei erhabene Wortkünstler : J ulius Zeyer und J arosla v VrchlickY. Beide Dichter, welche ursprünglich eine innige Freundschaft verbunden und später ein nicht mehr überbrückbares Zerwürfnis entfremdet hat, waren stark von der west- - 350 - europäischen Poesie und Kunst abhängig, die sie sich mit einer feinen Empfänglichkeit angeeignet und dieselbe ihren Landsleuten genial vermittelt haben. Beide, lange als unnationale Weltbürger verschrien und geschmäht, haben den Weg aus der Fremde zur Heimat zurückgefunden, haben das nationale Problem tief und tragisch erlebt, haben den Begriff der cechischen Dichtung erweitert und vertieft. Doch diese gemeinsamen Züge verschwinden vor den wesentlichen Unterschieden der beiden Männer: dem Gefühlsmen5chen, dem mystischen Schwärmer, dem unzeitgemäßen Romantiker Zeyer steht der poetische Rationalist und Sinnesmensch, der diesseitige Pantheist, der moderne Renaissancedichter Vrchlicky schroff gegenüber. ]ulius Zeyer (1841-1901) hat sich schon in seinem späten Erstlingswerke »Duhovj ptak« (»Der Regenbogenvogel«, 1873) dem Publikum als ein kühner, einsamer Fremdling vorgestellt, und so ist er immer geblieben, eine seltsame Ausnahme in dem cechischen Schrifttum. Aus einer reichen Prager Großhändlerfamilie stammend, in deren Adern auch deutsch-jüdisches Blut zirkulierte, und die stolz auf ihre aristokratischen Ahnen war, mußte sich Zeyer von keiner Profession fesseln lassen, konnte große Reisen im europäischen Westen und im Orient unternehmen; konnte· seine museumartigen , wertvollen Sammlungen von schönen Bibelots, altertümlichen Devotionalien und primitiven Erzeugnissen der Volksindustrie anlegen; er bildete sich durch eine breit verzweigte Lektüre, die neben der klassischen und romantischen Poesie auch orientalische Theosophie und katholische Mystik umfaßte; er schwelgte in intimen, freundschaftlichen Verhältnissen, vorzugsweise mit ästhetisch veranlagten Frauen. So wurde sein Leben zu einem stolzen, einsamen Traume, den keine banale Wirklichkeit entweihen durfte, aber dem auch jeder unmittelbare Kontakt mit der täglichen Realität fehlte. Zeyer lebte viel im Auslande oder in dem weltverlorenen südböhmischen Städtchen W odnan und hatte zu den Litteraten in Prag wenige Beziehungen; er verachtete die Politik und besonders die modernen liberalen und sozialreformatorischen Bestrebungen, und so gestaltete er seine Existenz zu einem konsequenten Anachronismus, zu einem modernen Mönchtum ästhetischer Observanz. Seine Lebensanschauung war diister und pessimistisch. Zeyer hatte unter dem inneren Zwiespalt seiner komplizierten Natur -- 351 schwer zu leiden; er besaß zugleich eine äußerst sinnliche Phantasie und die Beanlagung zu religiösem Mystizismus; sein leicht erregter Geist schwelgte zugleich in bunten, leidenschaftlichen Bildern eines exotischen Lebens und in den kühnen Ideen exotischer oder mystischer Erlösung. Zeyer wollte sich oft, wie der dämonische Spätromantiker Baudelaire, )anywhere out of the world( flüchten, und so versank sein Geist in exotische Landschaften und altertümliche Zeiten, wo er sich an abenteuerlichen Schicksalen, an bunten Farben, an märchenhaften Szenerien berauschen durfte; doch wieder erwachte die mystische Unruhe seines kranken Herzens, das sich leidenschaftlich nach Gott, Tod und Nirwana sehnte. Die Rückkehr der Seele zu Gott bildete das Hauptthema seines Schaffens; gewöhnlich aber schickte Zeyer diesem mystischen Motiv als die irdische Ouverture die leidenschaftliche Sinneslust voraus, die jedoch das Herz nie zu stillen vermag, sondern nur in ihm die Sehnsucht nach dem Ideal und nach der evangelischen Aufopferung und Liebe erweckt. Dieser ursprünglich ganz vage, später buddhistisch gefärbte Supranaturalismus nahm bei Zeyer allmählich die festen Formen des geschichtlichen Christentums an, und in seinen letzten Werken sind ausgesprochen katholischen Neigungen wohl unverkennbar. Dem gealterten Verlaine, dem müden Strindberg nicht unähnlich, konnte auch der sterbende Zeyer sein Glaubensbekenntnis in die schlichten, erhabenen Worte zusammenfassen: ) Ave, crux, spes mea unica!( Dieser Zwiespalt spiegelt sich auch in seinem poetischen Werke wieder, dessen Stoffe ebenso mannigfaltig und vielseitig sind wie seine Formen. Das mittelalterliche Frankreich und Italien sind hier ebenso oft vertreten wie Japan und China; die altnordische Heldensage gesellt sich hier zu dem altböhmischen Heidentum; das rätselhafte Irland in dem ersten Dämmerschein des Christentums steht hier neben dem ritterlichen Spanien .. Doch das Mittelalter drängt sich immer in den Vordergrund, die katholischen Völker und die feudalen Institutionen werden mit besonderer Vorliebe behandelt; gern läßt sich der Dichter von der altertümlichen Volksepik anregen. Eine phantastische Handlung spielt sich gewöhnlich in einer romantischen Umgebung ab, die der Dichter archaistisch und prächtig auszustatten weiß; die üppige, schwüle Schilderung packt des Lesers Phantasie, die - 352 leidenschaftliche, suggestive Handlung erregt seine Teilnahme: Zeyers höchste Kunst besteht eben darin, den Leser m emen poetischen Opiumrausch zu versenken. Wie die poetischen Stoffe, so wechseln bei Zeyer auch die litterarischen Kunstgattungen : neben einem wild abenteuerlichen, episch durchaus überfüllten Roman erzählt er eine naive Legende in dem primitiven Stile des kirchlichen Mittelalters; nach einer gewaltsam verwickelten Intrigennovelle bringt er ein äußerst ehrliches autobiographisches Bekenntnisbuch ; auf eine frei improvisierte Verserzählung folgt ein großes Heldenepos in fragmentarischer Ausführung; zu einem pathetischen Deklamationsdrama spätklassizistischen Schnittes gesellt sich ein zartes, duftiges Proverb; ein kinderhaftes Märchen ist mit einem raffinierten Dokument der modernen Seelenkunde gepaart. Doch Zeyers Gestaltungskraft und Kompositionskunst kann sich mit seiner kühnen Phantasie und seiner feinen Kultur keineswegs messen; teilweise gibt er nur eine freie Paraphrase seiner geschickt ausgesuchten und gewandt kombinierten Vorlagen; sein poetischer Stil ist eintönig und ermüdend, da er allzu oft dieselben pathetischen Mittel anwendet; seine romantische Psychologie bewegt sich nur in den schroffsten Gegensätzen der sinnlichen Leidenschaft und der reinsten Tugend, des wildesten Hasses und der selbstlosen Hingabe, der stolzesten Herrschsucht und der zartesten Demut; seine Motivierung verrät oft die Naivität seiner Quellen. Manche von seinen berückenden und prachtvollen Werken bieten nur eine Reihe von glänzenden Improvisationen ohne festere Komposion und feinere Psychologie. Am höchsten stehen jene Schöpfungen, wo Zeyer fast autobiographisch das leidenschaftliche Leben seines dualistischen Innern enthüllt und zugleich das ihn immer ganz leidenschaftlich beschäftigende nationale Problem in den Vordergrund rückt; hier schöpft er aus dem vollem und überwindet durchaus den bequemen Standpunkt eines Nach- und Umdichters. Allzu oft verliert sich Zeyers persönliche Eigenart in den bundbemalten , romantischen Kulissen verschiedener epischer Handlungen, die sich eng an das alte Volksepos anschließen: in »Vysehrad« (1886, deutsch von O. Malybrok-Stieler 1898) ist es Böhmens heidnische Urzeit, in der die übermenschliche Gestalt Dreifaches Erlebnis des Veit Chorazq:, 1899) zu bezeichnen. Diesmal bedient sich Zeyer nicht mehr der Prosa, sondern seines beliebten Versmaßes, des melodischen und weichen Blankverses, um von der Welt, von der Lust und von der irdischen Unruhe Abschied zu nehmen und mit einem demütigen Hymnus der Menschen- und Gottesliebe seine ewige Heimat, das himmlische ]erusalem, zu begrüßen. Zeyer ist also ein vollblütiger Romantiker, der aber in die Zeit der realistischen Kunst, der sozialen Reformen, der materialistischen Philosophie, des religiösen Indifferentismus verschlagen wurde. Sein Farbenreichtum, sein Exotismus, seine berauschende Üppigkeit der Bilder verbinden ihn mit den französischen Romantikern; mit den englischen Präraffaeliten teilt er jedoch seinen keuschen, menschenscheuen Spiritualismus, seine mystische Religiosität, seine morbide Gotik, - nur so können die Neuromantiker in Böhmen in Zeyer, für welchen erst nach seinem Tode die Ruhmeszeit gekommen ist, ihren wahlverwandten Vorgänger erblicken. Der Renaissancedichter Ja r 0 s I a v V r chI i c k y (eigentlich Emil Frida, 1853-1912) bildet einen ausgesprochenen Gegensatz zu dem gotischen Spezialisten Zeyer. Wie in einem geistigen Brennpunkte durchschneiden sich in seinem immensen poetischen - 355 - Werke alle Ideen und Lebensformen der modernen Menschheit, wie sie sich seit der Renaissancezeit im westlichen Europa entwickelt haben. Mit den Augen der modernen Geschichtsphilosophie betrachtet Vrchlickj das große historische Weltdrama; als tiefgebildeter und freisinniger Sohn des 19. Jahrhunderts stellt er sich zum Mittelalter; wie ein begeisterter Humanist, der jedoch die Fühlung mit seiner Zeit nie verliert, klammert er sich sehnsüchtig und leidenschaftlich an die erhabene Schönheit und freie Moral der antiken Welt - und während sein grüblerischer Januskopf mit einem Gesichte rückwärts gewendet ist, blickt das andere, deutend und hoffend zugleich, der dämmernden Zukunft entgegen. V rchlickj hat selbst seine angebornen, erblichen Anlagen nie verkannt, und auch dem Litterarhistoriker werden sie manches erklären. Wir begegnen bei ihm wie bei Zeyer einer eigentümlichen Blutmischung : sein Vater entstammte einem jüdischen Geschlechte, das auf einige Rabbiner stolz sein durfte, die mütterliche, sehr fromme und rein cechische Familie hat dagegen der katholischen Kirche vorzügliche Priester geschenkt. Der forsche Unternehmungsgeist, die leichte Empfänglichkeit für äußeres Leben, aber wohl auch das unstete, bewegliche Wesen und die starke Sinnlichkeit des Dichters sind ein väterliches Erbe; seine grüblerischen Anlagen, seinen religiösen Sinn, sein reiches Gefühlsleben verdankt er der Mutter und ihren Ahnen. Seine Jugend war eher trübe als herzerfreuend. In Laun am 17. Februar 1853 geboren, verbrachte der junge Emil Frida, da die Eltern in beschränkten Verhältnissen lebten, die Kinderzeit bei seinem Onkel, dem Pfarrer A. Kola!', welcher ihn auch in den Studien unterstützt und später für die geistliche Laufbahn bestimmt hat; in seiner reichen Bibliothek machte der Gymnasiast seine ersten Litterarstudien. Doch den sehnlichen Wunsch des Oheims vermochte er nicht zu erfüllen, nach einem Semester verließ er das Priesterseminar, um sich auf der Prager Universität für den Beruf eines Mittelschullehrers vorzubereiten: allgemeine Geschichte, französische Litteratur, italienische Renaissancekunst standen schon damals im Vordergrunde seiner Interessen. Als zweiundzwanzigjähriger Hofmeister hat er Nord- und Mittelitalien kennen gelernt: damals hat er das südliche Meer für die cechische Dichtung erobert; zugleich wurde er von den Alpen und den Appeninen 23* 356 - begeistert. Als namhafter Übersetzer und hoffnungsvoller Lyriker kehrte er nach Prag zurück, und nach einer kurzen Episode in dem Lehrerberuf nahm er die unbedeutende Stellung eines Beamten des Polytechnikums an, die er dann sechzehn Jahre bekleidete. Im Jahre 1879 vermählte er sieh mit der schönen Ludmilla Podlipska, einer Tochter der Schriftstellerin Sofie Podlipska. Bis zum Jahre 1893 war sein Ehe- und Familienleben äußerst glücklich. Flüchtige Reisen nach Frankreich, Dänemark und Galizien haben nur ganz kurz seine ungeheuer fleißige Tätigkeit als Dichter, Übersetzer und Litterarhistoriker unterbrochen; seit 1893 hielt er als Ehrendoktor und Professor an der cechischen Universität Vorlesungen über die vergleichende Litteraturgeschichte ; in dieser Zeit erreichte er die höchsten Auszeichnungen, die einem Künstler in Österreich zuteil werden können. Inmitten der lebhaftesten Tätigkeit verfiel der Fünfundfünfzigjährige jener Form des Todes, über die er am wenigsten nachgedacht hat, und die der Betrachtung des Philosophen unwert schien, dem Tode durch langes und vergebliches Vegetieren. Fünf Jahre dauerte das Siechtum; am 9. September 1912 starb er in Taus. Das Leichenbegängnis in Taus und in Prag gestaltete sieh zu einer spontanen Nationalfeier. V rchlickys Lebenswerk gleicht mit seinen mehr als hundert Bänden dem mystischen Labyrinth; die äußerst schwierige und dabei verlockende Aufgabe, durch systematische Anordnung, planmäßige Gruppierung, organische Vergleichung den Faden der Ariadne dem bisher ganz ratlosen Leser in die Hand zu legen, harrt noch immer der Kritik und der Litteraturgeschichte, die bisher kaum die dürftigsten Vorarbeiten dazu erledigt haben. Dabei dürfen zwei wichtige Umstände nie außer acht gelassen werden: Vrchlickys Verhältnis zur gesamten romanischen und germanischen Dichtkunst sowie seine poetischen Übersetzungen. Von den ersten Anfängen seiner litterarischen Tätigkeit an, die mit der Gründung der Zeitschrift »Lumir« zusammenfallen, zeigt sich V rchlicky zugleich als schöpferischer Poet und Übersetzer, origineller Dichter und Essayist, poetischer Improvisator und gelehrter Anempfinder; diese Verbindung ist in einer eigenartigen Doppelsehigkeit seines dichterischen Wesens begründet. V rchlicky verdankt seine Dichtkunst halb einer unmittelbaren Inspiration durch Natur und Leben, einer ungemein zarten - 357 Sensibilität, die auch auf die feinsten Impulse der den Dichter angehenden Wirklichkeit reagiert und sie in den zartesten Abtönungen und verborgensten Halbtönen nachklingen läßt; halb aber ist Vrchlicky ein komplizierter, sehr gelehrter, an umfassenden Reisen und an allen Litteraturen des westlichen Europa gebildeter Geist, zu dem die Geschichte mit tausend Zungen spricht, und der sich von den verschiedensten Kulturen zu dichterischem Schaffen anregen läßt, wobei nicht nur fremde Stoffe, sondern auch fremde Kunstformen in sein Werk übergehen. In der Zeit, als das cechische Schrifttum fast ausschließlich von der deutschen Litteratur befruchtet ward, trat Vrchlicky als Vermittler der romanischen, vorzugsweise französischer und italienischer Dichtung a1,lf. Mit den modernen Franzosen hat er seine Übersetzertätigkeit eröffnet; eine große, vielseitige Anthologie der französischen Lyrik aus dem 19. Jahrhundert (1877), der dann einige Nachträge folgten, zeigte ihn bereits auf der Höhe seiner Übersetzungskunst, und hier entwirft Vrchlicky schon sein poetisches Programm: der Gipfel der französischen Poesie ist für ihn Victor Hugo, dem selbst die entschieden echteren Lyriker Musset und Vigny weichen müssen; außer ihm kommt noch Theophile Gautier , einige Parnassiens in Betracht, hauptsächlich Theodore Banville, Sully Prudhomme, Leconte de Lisle, viel weniger schon die beiden Begründer der neuen Lyrik in Frankreich, Charles Baudelaire und Paul Verlaine. Von Vidor Hugo, den V rchlicky in drei vorzüglich informierenden Anthologien dem cechischen Publikum vorgeführt hat, hat er am meisten empfangen: die geniale Rhetorik, die poetische Polychromie, die grandios pompöse Rhythmik, den großartigen Gedanken einer kolossalen Epopöe der Menschheit in fragmentarischer, halb lyrisch, halb epischer Ausführung, die seltsame Verbindung der kosmischen Betrachtung mit der zartesten Liebesund Familienlyrik ; doch auch die überschwängliche, oft bombastische Sprache, die keine Ökonomie kennen will, das unphilosophische Spiel mit verschiedenen Ideen und Systemen, den fortschrittlichen Optimismus und eklektischen Idealismus, welcher auch bösem Truismus nicht ausweicht. Von Gautier und Banville hat Vrchlicky die gewagteste Formkunst und das selbstzufriedene Künstlertum, von Sully Prudhomme die philosophisch- - 358 - didaktische Note gelernt; näher noch steht ihm Leconte de Lisle, dem er als Übersetzer fast so viel Aufmerksamkeit wie V. Hugo geschenkt hat; wie dieser einsame herbe Poet und Denker vertieft sich auch Vrchlickj gern in die Urzeit, wo alles noch unsicher, nebelhaft, geheimnisvoll, dabei aber gewaltig, riesenhaft, übermenschlich war, wie Leconte de Lisle betrachtet V rchlicky zuweilen die Weltgeschichte mit einem stoischen Pessimismus, mit einer erhabenen Geste der schweigsamen Verachtung. Seit seinem längeren Aufenthalte in Italien beschäftigt sich Vrchlickj systematisch mit der italienischen Poesie, die bis dahin in Böhmen gänzlich unbekannt war. Als Übersetzer hat er seinem Volke nicht nur die großen Epen Dantes, Tassos und Ariostos, sondern auch die gesamte Lyrik Leopardis und Carduccis geschenkt; in zwei umfassenden Anthologien hat er ein vollständiges Bild der modernen italienischen Dichtung entrollt, ja auch manches, was sonst in der Weltlitteratur nicht heimich ist, wie die Gedichte Michel Angelos, die ätzende Satire des ironischen Abbe Parini und die schlichten Lieder des sizilianischen Naturdichters Cannizzaro hat er in Böhmen bekannt gemacht. Hatte seine ]ugendzeit die tiefsten Eindrücke von Dantes weltgeschichtlicher Mystik und Leopardis heroischem Pessimismus empfangen, so wurde später die kräftige Rhetorik Giosue Carduccis für seine Dichtung entscheidend: Carduccis freies, mutiges Verhältnis zu der Antike, seine entwicklungsfröhliche , antiklerikale Tendenz, seine meisterhafte Verschmelzung der odischen und idyllischen Dichtkunst, sein schwungvoller, fester Strophen bau , der sich selbständig an altrömische Vorbilder anlehnt - das alles fand bei dem kongenialen Vrchlickj den aufrichtigsten Beifall, der sich schnell in direkten Einfluß umwandelte. Doch ist V rchlickj nicht bei den Italienern und Franzosen stehen geblieben: Calderon, Camoens, Verdagueri Byron, Shelley und die meisten englischen Poeten des Victoria-Zeitaltersi Whitman, Poe ; Goethe, Schiller, Immermann , Hamerling, Lingg, K. F. Meyer sind hinzugekommen; ja, auch slawische Dichter wie Mickiewicz fehlen nicht in diesem großartigen Maskenzuge, in dem sich Goethes stolze Losung der Weltlitteratur so wunderbar verkörpert. Nicht alle Übersetzungen V rchlickys sind gleich gelungen und gleichwertig: die Spätromantiker und Verbalisten, die farbenreichen Epiker der Renaissance aus dem Cinquecento 359 und die sensualistischen Dichter der Liebe und des Genusses liegen ihm allerdings am nächsten; seine Übersetzungen von Tasso, Camoens und Hugo bleiben wohl unübertroffen. V rchlicky genügte es nicht, die W el tlitteratur seinen Landsleuten durch Übersetzungen und Nachdichtungen zu vermitteln; auch als Litterarhistoriker und Kritiker diente er unermüdlich und verständnisvoll dem Geistesaustausche zwischen Böhmen und Westeuropa. Seine erstaunliche Belesenheit in der modernen Dichtung aller Nationen, die Breite und Vorurteilslosigkeit seiner ästhetischen Anschauung, sein feiner Sinn für die technich formale Seite der Dichtkunst befähigten ihn wie keinen anderen, die verschiedenartigsten Schriftsteller zu genießen, zu erklären, zu beurteilen. Dogmatisch-ästhetische Wertschätzung lag ihm ebenso fern wie streng historische Methode: er malt einfach Bildnisse, er skizziert rasch und oft intuitiv scharfe Charakteristiken und lehnt sich dabei eher an die impressionistische Manier eines Lemaitre als an die biographische Kunst eines Sainte Beuve an. Besonders fand die moderne französische Litteratur in Vrchlicky ihren feinsinnigen Deuter, aber auch über die Erscheinungen des cechischen Schrifttums hat er manches eigenartige und treffliche Urteil gefällt. Neben der modernen Litteratur hat auch die Antike V rchlicky beeinflußt; doch in seinem Verhältnisse zu dem Griechentum - die Römer kommen bei Vrchlicky kaum in Betracht - begegnet man abermals einem inneren Widerspruche. Man muß nämlich bei ihm zwei entgegengesetzte Auffassungen der Antike genau unterscheiden. Einmal ist er ein strenger, goethisch gesinnter Hellenist , der die Götter Griechenlands in ihrer edlen Einfalt und stillen Größe· wieder zu erwecken strebt, und dessen Träume dem Zeitalter entgegenfliegen, »wo die Götter menschlicher noch waren und die Menschen göttlichen:; wir können uns nur freuen, daß die Mehrzahl von Vrchlickys antikisierenden Gedichten und Dramen in diesem Geiste gehalten ist. An der Grenze der achtziger und neunziger Jahre machte sich aber bei V rchlicky eine entgegengesetzte Auffassung der Antike geltend, für die er die treffende Bezeichnung »Hellas im Rokokogewande geprägt hat. Die griechische Mythologie wird da zu einem bunten, anmutigen, bisweilen auch frivolen Mummenschanz, wo die lustige, leichtsinnige, adelige Gesellschaft, wie 360 - sie Crebillon und Wieland besangen und Fragonard malte, sich in die Kostüme des göttlichen Olymp gekleidet. Vom entwicklungsgeschichtlichen Standpunkte lassen sich in dem ungeheueren dichterischen Schaffen Jaroslav Vrchlickys vier Perioden nachweisen. In der ersten Periode, die bis zum Jahre 1879 reicht, ringt der junge Dichter mit der einheimischen Tradition, löst sich endlich von ihr los, um den romanischen Vorbildern zu folgen; der trübe Pessimismus kämpft hier mit der Lebensfreude, der anerzogene Spiritualismus mit der noch gedämpften Sinnlichkeit. In dem folgenden Zeitraume von fünfzehn Jahren (1879-1894) steht der selbstbewußte Sensualist und Optimist im Höhepunkt seines Schaffens: alle Dichtungsformen beherrscht sein raffiniertes Künstlertum, welches stark von der französischen Poesie abhängig ist; sein Gedanke huldigt einem verwandlungsfähigen Eklektizismus; mächtige formalistische Neigungen sind bemerkbar; am Ende dieses Abschnittes meldet sich jedoch ein sichtbares Nachlassen der Kräfte und ein peinlicher Mangel an Selbstkritik. In dem nächsten Jahrzehnte (1894 -1903) ist sein Himmel verhängt, sein Gedanke finster, ja pessimistisch, seine Sinne müde und dumpf. Der gereifte Mann hat mit allen Illusionen der Liebe und der Gerechtigkeit gebrochen , doch hat sich sein Schmerz in das stille Asyl der Resignation geflüchtet. Sein poetischer Stil verpönt nun die frühere grelle Farbengebung, die rhetorischen Mittel der Antithese und der Hyperbel, auch gewagtes Virtuosentum wird jetzt dem Dichter verhaßt; dafür gewinnt seine Dichtung an melodischer, warmer Innigkeit. Die letzten vier Jahre der poetischen Tätigkeit Vrchlickys (1904-1908) bedeuten die endgültige Überwindung der vorangehenden düsteren Übergangszeit; der mit Welt und Menschen versöhnte Dichter entdeckt neue Lebenswerte und findet neue Gründe zur bejahenden Weltanschauung: des endlich erlösten Menschensohnes Herz ergießt sich in neuem Pathos und bisher unbekannter Melodik. In allen diesen vier Perioden warf Jaroslav Vrchlicky mit einer fast fieberhaften Hast, mit einer nimmermüden Arbeitslust ein Werk nach dem anderen auf den Markt und füllte fast täglich seine künstlich geschliffenen und üppig geschmückten Becher mit jungem, unausgegorenem Wein, ohne sich überhaupt darum zu bekümmern, ob die dankbaren und freundlich gesinnten Gäste 361 sich zu seinem reichen, poetischen Gastmahle einstellen werden. Bald war es rein intime Lyrik und philosophische Reflexion, bald rhapsodische, bald fest gegliederte Epik, bald eine historische ]ambentragödie oder im Gegensatz\ zu ihr ein leichtgeschürztes Lustspiel, heute ein dickes Buchdrama, morgen ein zart hingehauchtes Proverb, - seit Lope de Vega hat die europäische Dichtung kein ähnliches Beispiel von Produktivität aufzuweisen 1). Vrchlickjs Erstlingswerk "Z hlubin« (»Aus der Tiefe«, 1875), das sich noch an einheimische Vorbilder, besonders an Halek, Neruda und Mayer anschließt, enthält nur reine Liebes- und Naturlyrik ; doch bald drängt sich auch in seine lyrischen Bücher das kontemplative Element, das einen grübelnden, meditativen Kopf, einen kühnen Gedankenpoeten zeigt, welchem allerdings einheitliche Weltanschauung, systematische Denkungsart fehlt. Zuerst kämpft in diesen Sammlungen - ich nenne nur die bedeutendsten »Duch a svet« (»Geist und WeIh, 1878), »Symphonien« (1878), »Sphinx« (1883), »Dedictvi Tantalovo« (»Das Erbe des Tantalos«, 1888), »Zivot a smrt« (»Leben und Tod«, 1892), »Skvrny na slunci« (»Die Sonnenflecken«, 1897) - ein düsterer Pessimismus, ein herber Skeptizismus, der sich mit den verschiedensten fatalistischen Chimären, mit der pantheistischen und sensualistischen Weltanschauung, welche die sechziger und siebziger Jahre in ganz Europa beherrscht hat, abquält; dann aber entscheidet sich der Poet für den beglückenden Glauben an den endgültigen Sieg des menschlichen Geistes über die lebenslose Materie, der Kulturmenschheit über das Barbarentum, der Humanität über Gewalt und Egoismus, der Freiheit über Tyrannei und Knechtschaft. Nachdem der Dichter die am Tore seiner jugendlichen Schöpfung lauernde Sphinx des Agnostizismus überwunden hat, kamen neue Versuchungen; das Gespenst des Illusionismus schrieb vor seinen Augen in die beklemmende 1) Eine mustergültige Übersetzung und zugleich eine vorzügliche Auswahl aus Vrchlickys Gedichten hat der deutschböhmische Dichter Friedrich Adler in der Rec1amschen Universalbibliothek geliefert, zwei andere Anthologien hat Edmund Grün (»Gedichte«, Leipzig 1886 und »Episches und Lyrisches«, Prag 1894) herausgegeben; in der öfters angeführten .Neueren Poesie aus Böhmen«, Wien 1892, hat E. Albert Vrchlicky und seiner Schule einen ganzen Band gewidmet. - 362 - Finsternis mit feurigen Lettern das schreckliche Wort: Ni c h t s ; je mehr der Dichter zum Mann reifte, desto mehr erkannte er, daß in der Evolution der Menschheit der Einzelne auch mit seiner glühenden Sehnsucht rtach Genuß und Ewigkeit ein bloßes Sandkörniein ist ... aber die Hoffnung auf Erlösung der Menschheit durch allmählichen Fortschritt, der auf den Schultern der Genie ruht, hat er nicht verloren: wie Victor Hugo, glaubte er an das ewige Erbarmen und die ewige Gerechtigkeit. Darin liegt die große kosmische Bejahung der gesamten Poesie Vrchlickys. An die kontemplative Lyrik schließt sich Vrchlickys Epik, die im Jahre 1876 durch seine »Epicke basne« (»Epischen Gedichte«) begann und dann in den »Nove epicke basne< (»Neue epische Gedichte<, 1880), »Mythen" (1879 und 1880, zwei Bände) »Stare zvesti" (»Alte Mären", 1883), »Perspektiven" (1884), »Zlomky epopeje« (»Bruchstücke der Epopöe«, 1886 und 1894, zwei Bände), »Fresken und Gobelins" (1890), »Bozi a lide« (»Götter und Menschen«, 1899) und» Votivtafeln« (1902) fortgesetzt wurde. Echte epische Objektivität ist hier selten: fast immer betrachtet V rchlicky die Sage und die Geschichte, die Legende und den Mythus durch das Medium des philosophischen Gedankens aus dem 19. Jahrhundert; immer knüpft er an jeden epischen Stoff seine weitschweifige Reflexion, belebt auch das kleinste Bruchstück der Weltgeschichte durch tiefsinnige Meditationen, die einen allzu bunten, vom pantheistischen Materialismus bis zum Cousinschen Idealismus schweifenden Eklektizismus verraten. So entstand diejenige Gattung von Vrchlickys Epik, die er »Bruchstücke der Epopöe« genannt hat, und die von Victor Hugos >Legendes des siecles« ihr Vorbild, von Dantes' >Göttlicher Komödie« und von Goethes »Faust" ihre höhere Inspiration empfangen hat: hier findet sich dieselbe grandiose Vermischung des Hymnischen und des Chronikartigen, der Allegorie und des Heldengedichtes, dieselbe ungeheuere Verschmelzung der visionären und der rhetorischen Kunst. Vrchlicky hätte es nicht schöner symbolisieren können als in den» Vier Stimmen", dem Prolog zu den »Neuen Bruchstücken der Epopöe«. Zum einsamen Dichter gelangen in seinem nächtlichen Sinnen die Töne von vier Stimmen; vier Weltgegenden: der Osten, Süden, Norden, Westen, singen ihm von ihren Helden, ihren Kulturen, ihren moralischen Kräften und in einer Vision von apokalyptischer - 363 Macht enthüllen sie ihren Anteil an der Entwicklung der Menschheit. Allein, es sind keine bloßen historischen Prospekte: die Natur des ganzen Erdballs beteiligt sich an dem Gedankendrama der Menschheit, die Mythologie sendet ihre Sagen und Gestalten, die sozialen Strömungen brausen unter dem Theater der vier gewaltigen Protagonisten. Jeder Leser dieser berückenden Vision wird sich durch seine Gedanken- oder Gefühlsympathie für eine der vier mystischen Stimmen entscheiden. Nicht so der Dichter; seine Phantasie unterwirft sich allen und wird wie von einem Riesenvogel durch die Geschichte getragen. Nur wenige von Vrchlickys Werken haben sich zu der Höhe eines geschlossenen und fest gegliederten Epos emporgeschwungen: so die tiefe Legende des asketischen Anachoreten ~Hilarion« (1882); so die temperamentvolle, einen polnisch-nationalen Stoff verarbeitende Faustiade ~Twardowski« (1885); so die grandiose von den Geistern der jüdischen Ahnen des Dichters umschwärmte Epopöe von Jerusalems tragischem Falle, ~Bar Kochba« (1898, deutsch von Boos- Waldeck, Dresden 1899); so das aus der altdänischen Sage geschöpfte ~Lied von der Vineta« (1906), wo die brausende See, der salzige Meereswind, die alten Buchenwälder an der Ostsee die wild barbarische Handlung mitbestimmen. Ganz eigenartig ist die bei seinen Landsleuten ungemein beliebte und geschätzte ~Legende vom hl. Prokopius« (1879, ursprünglich in der Sammlung »Mythen«). Hier lehnt sich Vrchlicky an einen einheimischen Stoff an, welcher bereits im 14. Jahrhundert poetisch verwertet wurde; besonderen Gefallen hat der Dichter, dem überhaupt ein frischer eigentümlicher Humor eigen ist, an allerlei drolligen Teufeleien, mit welchen er das aussterbende Heidentum mit absichtlicher Naivität ausstattet, sowie an der in Dalimils Art gehaltenen Polemik gegen die Deutschen, lauter Züge, die er schon in seiner Vorlage wenigstens angedeutet vorgefunden hat. Mit einer verschwindenden Minderzahl sind in Vrchlickys Lebenswerken erzählende Bücher in Prosaform vertreten: keine eigentlichen Novellen, treten sie als geistreiche, oft ironisch zugespitzte Thesenerzählungen auf und legen eine tiefe und pessimistische Lebenskenntnis an den Tag; bezeichnend hat sie der Dichter ~Farbige Scherben« (»Barevne stfepy«, 1887 und 1892, deutsch von Ed. Grün bei Reclam) genannt. Jene große Umwandlung des Dichters zugunsten eines lebens- - 364 - fröhlichen, weltbejahenden Optimismus, der wir in Vrchlickjs Reflexionsdichtung begegnet sind, klingt auch aus seinen lyrischen Gedichten, soweit sie des Dichters intimes Leben besingen. Wie es in jener Gruppe der freie Gedanke war, der den düsteren Pessimismus besiegte, so ist es hier die sinnliche glückliche Liebe. Vrchlickjs vollblütige, sensualistische und hedonistische Liebeslieder, die aber manchmal in faunische Lüsternheit ausarten und den schroffsten Gegensatz zu Zeyers schwindsüchtiger, seraphischer Erotik bilden, muten wie ein Rubens in Versen an. Gern wählen sie das antike Kostüm, doch am liebsten werfen sie im wilden Übermute jedes Gewand weg, das die kraftstrotzenden, üppigen, doch edel geformten Glieder verhüllen könnte. Von diesen Schöpfungen wirken am echtesten V rchlickjs ältere Liebesbücher »Eklogen und Lieder« (1879) und »Carovna zahrada« (»Der Zaubergarten« , 1888); doch auch jene, wo er seinem Meister Hugo nicht unähnlich, sein trautes, stilles Familienglück besingt, haben eine ruhige, harmonische Schönheit, so besonders die Sammlungen >Co zivot dal« (»Was mir das Leben gegeben«, 1883) und »Motyli vsech barev« (»Schmetterlinge in allen Farben«, 1887). Oft zeigt dagegen seine Lyrik nur ein formales Interesse: dann feiern sein eminenter Formsinn, seine ausgesprochene Vorliebe für die schwierigsten Strophengebilde , seine erstaunliche Fähigkeit, die romanischen Versformen in cechischer Sprache treu nachzubilden, seine Neigung zum Spielerischen, Leichten, Anmutvollen wahre Triumphe; so in vier vollendeten Sammlungen »Dojmy a rozmary« (»Stimmungen und Launen«, 1880), »Hudba v dusi« (»Seelenmusik«, 1886), »Zlaty prach« (>Der goldene Staub«, 1887) und »Meine Sonate (1893). Will man sich einen Begriff von dieser Formkunst Vrchlickys machen, so muß man an die Virtuosenstücke eines Theodore de Banville, des Autors der gewagten >Odes funambulesques« denken; muß sich der genialen Reimtechnik und Wortmusik des unübersetzbaren Edgar Allan Poe erinnern, ja sich die französischen Lyriker des späten Mittelalters vergegenwärtigen. Hier sieht man den großen Umgestalter der cechischen dichterischen Sprache in voller Rüstung; er hat seinen Nachfolgern. etwas ganz anderes hinterlassen, als er übernommen hat: eine Sprache voll verführerischer Musik, sinnlichen Glanzes und satter Farben, kein Instrument mehr, sondern ein ganzes polyphones Orchester, das zuweilen pianissimo 365 - klingt, damit ein anderes Mal daraus das feinste Solo einer Virtuosenvioline hervorschluchze. Eine Gruppe für sich bilden Vrchlickys formvollendete Sonettensammlungen ; diese durch Kollar in Böhmen eingebürgerte romantische Kunstform wird durch Vrchlicky verjüngt und mit strengerer, an klassische Muster sich anlehnender Zucht beherrscht. In zwei Serien, »Sonety samotafe« (»Sonette eines Einsiedlers«, seit 1885, drei Sammlungen) und »Hlasy v pousti« (»Stimmen in der Wüste«, 1890) erschienen sie, größtenteils der schwungvollen Meditation über nationale und ästhetische Probleme geweiht. Seit 1894 herrscht bei V rchlicky eine 'neue, bisher ihm ganz fremde Weise. Nachdem der Vierzigjährige sein leben- und kraftstrotzendes Buch »Neue Fragmente der Epopöe« veröffentlicht hatte, kam in der strengen und finsteren Sammlung »Okna v boufi« (»Fenster im Sturme«, 1894) zum ersten Male ein herber, ätzender Ton zur Sprache, der auch seiner Erotik einen bitteren, peinlichen Beigeschmack gibt. Bald erklang diese traurige Melodie ganz gewaltig in den »Pisne poutnika« (»Lieder eines Pilgers«, 1895), deren ernste Einfachheit und herbe Weisheit ganz abseits von allen seinen übrigen Dichtungen stehen und das gesamte Menschenleben mit einem unheimlichen Zauberstabe in ihren dunkeln Anschauungskreis bannen. Seither ertönten diese trüben Motive in Vrchlickys gesamter Lyrik, die zugleich das Stadium des Verfalls durchmachen mußte. Es waren müde Bücher, in Schwarz und Grau gehalten, auf Moll gestimmt; jeder Reichtum an Bildern und sonstigem poetischen Beiwerke, alle feine Formkunst und edle Verstechnik waren aus ihnen verbannt; die einfache Weise eines schlichten Volksliedes, die klare antike Strophe mußten herhalten, um des verstimmten Dichters melancholische Klagen, elegische Erinnerungen, stoische Betrachtungen auszudrücken. Die »Mimosenseele« (»Duse mimosa«, 1903) heißt ein Buch dieser Periode, und durch diese Bezeichnung wird der Dichter am besten charakterisiert. Er, der so zu jauchzen wußte über die Feste der jungen Sinne, der blühenden Natur, der jubelnden Kinder, entfaltete seinen Lyrismus auch in den Stunden der Einsamkeit , Verlassenheit, Grabeselegie : und am männlichsten vielleicht, wenn er für einen Augenblick den Weg im Urwald der Erkenntnis des Lebens verloren hatte. Jedoch diese pessimistische Periode war ein bloßer Übergang. - 366 - Nach einer Zeit gesunkener Kraft und verengter Horizonte kam eine Periode neuen Glaubens, positiven Pantheismus, unpersönlicher Hoffnung an die Menschheit, weiser Ergebung in den Schoß der im Kreise treibenden Natur. ,Koralove ostrovy« ()Die Koralleninseln«, 1908) und »Strom zivota« (»Der Lebensbaum«, 1908) heißen die zwei schönsten Bücher, welche diese Verjüngung offenbaren. Es war vier Jahre vor dem Tode des Dichters, als er, den großen und modernen Hymnikern Goethe, Whitman, Verhaeren die Hand reichend, mit Lächeln im goldenen Schatten des Lebensbaumes ausruhte. Und damals betete er zu den Göttern und sprach zwei große Bitten für Leben und Tod aus. Aber die Götter blieben taub. Er durfte nur noch ein einziges Buch schreiben, das erst aus seinem Nachlasse veröffentlicht wurde; es heißt »Mec Damokluv« (»Das Schwert des Damokles«, 1912). Die trübsten Vorahnungen des herannahenden Siechtums umgaukeln das Buch: drückende Vorstellungen, welche schon der Titel des Werkes andeutet, suchen die fieberhafte Phantasie des Poeten heim. Er kämpft mutig, aber vergebens mit ihnen und entwirft mit lapidarer Kraft balladische oder freskoartige Bilder dieser unheimlichen Wahnbegriffe. Ja, es ertönen dabei noch zarte, duftige Lieder und Gedichte, erhaben religiös oder fein erotisch, verführerische Versprechungen neuer Entwicklungsstadien, die der Dichter nicht mehr erleben durfte. Die Wertschätzung Vrchlickys in der cechischen Kritik und in der Öffentlichkeit überhaupt bildet ein eigentümliches Kapitel. Verwöhnt wurde dieser größte Dichter seiner Nation von der Kritik nie; im Gegenteil, er selbst machte die Kritik dafür öfters verantwortlich, daß er in seiner Manneszeit so verbittert und verstimmt wurde. Zuerst waren es panslawistisch und patriotisch gesinnte Doktrinäre, denen dieser Exotiker schon vom rein stofflichen Standpunkte aus nicht behagen konnte; es waren engherzige und pedantische Krittler von schulmeisterlichen Grundsätzen und Manieren, die an V rchlickys Sprach-, Vers- und Bildertechnik allerlei auszusetzen hatten; es waren hausbackene Moralprediger, die den heidnischen kühnen Erotiker am liebsten für Familien- und Schulgebrauch zugestutzt hätten. Dies konnte den Dichter allerdings nicht günstig für die Kritikerzunft stimmen; er machte aus seiner Geringschätzung der Kritiker auch kein Hehl. Dann, als die Sturm- und Drangjahre der neuen Generation - 367 - kamen, wo man mit allen Kräften um eine neue Welt- und Kunstanschauung kämpfte, verwarfen die ethisch gesinnten Kritiker Vrchlickys Eklektizismus, seinen L'art pour l'artismus, seinen Mangel an der höheren Einheit der Persönlichkeit; die neue ästhetische Schule vermißte bei ihm, welcher allzu oft neben tadellosen Meisterwerken auch die Späne aus seiner Werkstatt vorgelegt hat, mit Recht strenge W ort- und Bildökonomie , die künstlerische Strenge und poetische Einheit und verlieh in heftigen Polemiken ihrer ehrlichen Anschauung den schroffsten Ausdruck. Erst in der allerletzten Zeit kehrt die künstlerische Jugend Böhmens zu Vrchlicky zurück und verehrt in ihm einen der größten Sänger des modernen Lebensgefühls. Doch eine vorurteilslose, ruhige Betrachtung wird eher dem Publikum mit seinen geistigen Führern die Schuld beimessen, daß Vrchlicky so verbittert, so verstimmt geworden ist. Dem hohen, kühnen Fluge von Vrchlickys Poesie, die alles in ihr Bereich gezogen hat, vom verborgensten Zittern der lebendig gewordenen Materie bis zu den erhabensten Problemen der Philosophie und der Geschichte, von den barbarischen Kämpfen des wilden Urmenschen bis zu der Leidensgeschichte des modernen Denkers und Dichters, - diesem Fluge konnte die cechische, durch nationale Vorurteile beengte Intelligenz freilich nicht folgen. Dieser legitime Erbe von Goethes "W eltlitteratur« kam allzu vorzeitig, als das cechische Volk noch nicht kulturell reif war für eine so reiche Ernte europäischen Gedankens, als dem tragischen Spätkömmling n0ch die Bedingungen für diesen üppigen Sommer von Ideen und Form mangelten. Man rief dem stolzen, einsamen Dichter bis zum Überdruß oft zu: "Komm, kühner Fremdling, auch unter uns und versuche da mit uns in Freud' und Leid zu leben!« Und der Dichter, der lange genug seinen hohen, einsamen Pfad gewandelt war, folgte diesen Lockrufen der nationalen Menge und ihrer Führer, - er stieg in das ruhige, aber enge Tal hinab und - akklimatisierte sich bald. Der Bekenner der unbeschränkten Rechte des Genius und der Urenkel der Renaissancemenschen wie Tizian , Michelangelo , Ariost, Leo X. versöhnte sich endlich mit der Mittelmäßigkeit, welche in den besten Jahren seines Schaffens ihn mit Nadelstichen zu töten strebte. Da war aber keine günstige Luft für seinen geistigen Entwicklungsgang, der Duft seiner bunten Blumen konnte sich - 368 - in dieser Enge kaum verbreiten, seine Früchte konnten da nicht reif werden, denn in diesem Lande, wo der rauhe Kampf ums Dasein allzubald die besten Kräfte erschöpft, folgt auf den Sommer gleich der Winter. Herbes Schicksal eines Dichters in Böhmen! Diese rein menschliche Tragik eines Dichterlebens mußte eine so sensitive Natur, wie es Jaroslav Vrchlicky war, schmerzlich berühren. Wird es wohl jemand versuchen, das Werk, dessen Schöpfer durch die Fügung eines strengen Schicksals in eine kleine Nation verschlagen wurde, würdig und glorreich in dessen geistige Heimat einzuführen, Weltlitteratur genannt? - Schon im Jahre 1878 sind als begeisterte Jünger Vrchlickys einige jüngere, meistens unbedeutende Dichter aufgetreten, die ihrem Musenalmanach wiederum den berühmt gewordenen Namen »Maj« gaben. Vrchlicky selbst, der die führende Rolle Victor Bugos gern gespielt hätte, bemühte sich später jahrelang, verwandte und treue Schüler um sich zu sammeln, und hat für sie öfters eine Lanze gebrochen. Es waren dies geschickte Formtalente, welche die komplizierte Verskunst ihres Meisters nachahmten; poetische Kosmopoliten, die ihre poetischen Stoffe ebenfalls aus der Legende, Sage und Geschichte der verschiedensten Völker und Zeiten holten, proteusartige Eklektiker, welche mit den verschiedensten Ideen und Kulturen spielten; doch keiner von ihnen hat seine persönliche Note, seine dichterische Eigenart gefunden. Einige Übergangstalente versuchten die kosmopolitische Kunstform Vrchlickys mit älteren Traditionen, ja sogar mit slavjanophilen Tendenzen zu verbinden; dieses Bestreben scheiterte aber vollständig. So besang der schwermütige Südböhme Otakar Mokry (1854-1899), ein treuer Freund Zeyers, mit den poetischen Mitteln der Schule V rchlickys die landschaftliche Eigenart und die historische elegische Stimmung seiner Heimat und knüpfte dabei öfters an die polnischen Romantiker an, die er mit Geschmack und Gewandtheit übersetzt hat. Bei denselben polnischen Lehrmeistern hat sich Frantisek Kvapil (geh. 1855), gleichfalls ein feiner Litteraturkenner und Umdichter, gebildet; seine mittelmäßige, aber ehrliche Begabung stellte er in den Dienst der Erneuerung der russischen Heldensage, die ihm nur ein Vorwand zu breiten, farbensatten Schilderungen wurde. Während diese - 369 - Bildungspoeten, welche manchmal an den »Münchener Dichterkreis« um Geibel erinnern, in geschichtlichen Stoffen, Erinnerungen und Stimmungen schwelgten, begeisterte sich Bohdan Kaminsky (eigentlich Karel Busek, geb. 1859) ausschließlich für die Gegenwart. Der feuilletonistisch veranlagte Pflastertreter, welcher in seiner Jugend schwungvolle Verse über die unheilbare Melancholie seines vereinsamten Herzens und über den ihm zuteil gewordenen Kainsstempel des unverstandenen Poeten zu schreiben pflegte, wollte das alltägliche Leben Prags der Poesie erobern; aber er besaß weder Geschmack noch Darstellungskraft genug, um diese der Coppeeschen Kunstpraxis entnommene Aufgabe zu lösen. Eine ausgesprochene Gegenströmung gegen die poetischen Grundsätze Vrchlickys meldete sich gleichzeitig aus Mähren: bodenständige Heimatlitteratur, innige Fühlung mit dem Volke, gründliches Studium der Wirklichkeit, strenge Sprachreinheit wurde gepredigt und enger Anschluß an die russische Poesie den Dichtern anempfohlen. Kundige Kritiker, gelehrte Philologen, kluge Zeitungsmänner förderten diese Bewegung; es mangelte ihnen jedoch ein richtiger Dichter. Der beste unter ihnen, der als Übersetzer Puschkins und Lermontows und als Kunstkenner mit Recht geschätzte Fra n ti s e k Tab 0 r s k y (geb. 1858) ist in der Poesie ein trockener, nüchterner, manchmal platter Kopf, der die graue Alltäglichkeit zwar gut schildert, aber keine eigentliche lyrische Begabung besitzt. Erst in den neunziger Jahren traten unter Vrchlickys Epigonen auch Lyriker auf, deren poetische Technik einen wirklichen Fortschritt bedeutet. Ihre halberotischen, halbdekorativen Gedichte, welche sie in dünnen Heftehen herauszugeben pflegten, zeugten von eingehendem Studium der modernsten Franzosen, welche in Baudelaire ihren Vorgänger und in Verlaine ihren Meister verehren, von einer strengeren poetischen Ökonomie, von einem vorzüglichen Sinn für die feinsten Nuancen der Sprache und die leisesten Halbtöne der Versmusik. Sie zeigten eher Vorliebe für die Gothik als für die Renaissance, für eckige kirchliche Kunst als für üppige Freskomalerei in Rubenscher Art, für weltscheue Mystik als für lebensfrohen Pantheismus; man kann sie geradezu als Vorboten der späteren Schule der cechischen Dekadenten bezeichnen. Drei von ihnen dürfen auch ]akubec-Novak, Cechlsche Lltteratur. 24 - 370 - hier nicht unerwähnt bleiben; es sind Xaver Dvofak, Jaroslav Kvapil und Jaromir Boreckj. Als der einzige cechische katholische Dichter von Bedeutung wußte X ave r D v 0 f a k (geb. 1858), ein Katechet von Beruf, die blendende W ort- und Verskunst V rchlickjs, seinen üppigen Bilderreichtum, seine schwungvolle Rhetorik in den Dienst der pompösen kirchlichen Liturgie, der katholischen Mystik zu stellen. In seinen Gedichtbüchern, von denen besonders ~Stinem k usvituc ("Durch Schatten zur Morgenröte«, 1891) und »Sursum corda« (1894) hoch stehen, improvisierte er einige erhabene, manchmal allerdings hieratisch starre Gedichte auf das dem großen Symbolisten Verlaine geläufige Thema, wie sich eine todesmüde Seele aus ihrer Verzweiflung in die geistliche Wonne der mystischen Vereinigung mit Gott rettet, und wie sie im Marienkultus sowie im \V under der Eucharistie einen neuen Stachel der Wollust findet. Aus jüngeren katholischen Dichtern hat sich eine ganze litterarische Schule, die sogenannte "Katholische Moderne« gebildet; sie stand teils unter Dvoräks Eiufluß, teils unter unmittelbarer Einwirkung der französischen und katalanischen Poesie, teils aber schloß sie sich am engsten an das Volkslied an und wollte die gesamte katholische Dogmenlehre, ja das ganze Leben vom Höhepunkte eines niedrigen Kirchturmes aus besingen. Dies scheiterte jedoch als ein unglücklicher Versuch, den auch die Annäherung an den Reformkatholizismus nicht mehr retten konnte. Reine religiöse Poesie findet man in der Schule Vrchlickjs sehr selten, da der liberale Indifferentismus zur Grundlage ihrer Weltanschauung gehört; V rchlick-y selbst ist allerdings eine große Ausnahme; er hat zahlreiche tief fromme und erhaben gottestrunkene Gedichte geschrieben. Viel christlicher als die dichtenden Priester aus der "Katholischen Moderne« mutet der weichliche Ja n R 0 k y t a an, unter welchem Decknamen sich der eifrige Vorkämpfer der slawischen Wechselseitigkeit Adolf Cerny (geb. 1864) versteckt. Für den katholischen Kultus, für die Poesie der Marienverehrung, für den leidenschaftlichen Mystizismus hat dieser kirchenfeindliche und menschenfreundliche cherubinische Wandersmann aus dem Gefolge Leo Tolstois keinen Sinn; seine keusche, bleichsüchtige Lyrik, die den verwickelten Wirklichkeiten des modernen Lebens aus dem Wege geht, sehnt sich nach 371 dem tausendjährigen Reiche und verherrlicht sentimental und kunstlos seinen mit den Uhdeschen Augen betrachteten Begründer. Ein reiner Künstler ist Jaromir Borecky (geb. 1869), wohl der bedeutendste unter Vrchlickys Schülern; die französische Maxime »Kunst für Kunst( hat in ihm die vollständige Erfüllung gefunden. Sein lyrisches Erstlingswerk "Rosa mystica( (1891), der zarte, duftige Traum einer scheuen, angekränkelten Dichterseele , eröffnete die Neuromantik in Böhmen. Boreckys edle Gothik, seine morbide Erotik, seine verträumte Melancholie wurden für die moderne cechische Lyrik bestimmend. Dabei trennte sich Borecky nicht von seinem Meister, wie es die meisten Modernen damals taten, ja, in seinen späteren Gedichten, in denen er das uneingeschränkte Künstlertum zugunsten einer viel unmittelbareren Lyrik überwindet, und die er sehr bezeichnend »Lebensgesänge( (»Zpevy zivota(, 1912) nennt, näherte er sich ihm noch mehr. In mehr als einer Hinsicht ist mit BoreckY· der gleichaltrige Ja r 0 s I a v K v a p i I (geb. 1868) verwandt. Auch er begann als begeisterter Jünger V rchlickys, auch er schloß sich an diejenigen neufranzösischen Dichter an, welche V rchlicky in die cechische Litteratur eingeführt hatte i auch er bemühte sich um eine vollendete, komplizierte Formkunst , die farbenreich und melodiös zugleich sein wollte. Sein poetisches Hauptthema war immer die Liebe i doch dieses Thema wird bei Kvapil immer neu variiert: zuerst war es eine sinnliche, schwüle Erotik des raffinierten Kulturmenschen, dann die beglückende dankbare Liebe zu einer angebetenen hervorragenden Frau, die er bald in seinen tiefempfundenen und heißblütigen Versen als sein Weib besingen durfte; endlich war es zarte, intime Lyrik, die sich aus ihren schmerzvollen Klagen über die fliehende Jugend in das stille Glück des friedlichen Heims flüchtet. Kvapils Muse zeigte immer Vorliebe für das zaubervolle sinnige Märchen, und so ist Andersen K vapils Lieblingsdichter ; er hat dann auch einigen Märchen gelungene dramatische Einkleidung gegeben. Auch das Dekorative hat ihn immer angezogen; in seinen Gedichtsammlungen , von denen »Padajici hvezdy« (»Die fallenden Sterne(, 1889), »Rüzovy ker( (»Der Rosenbusch(, 1890) und »Andante« (1903) zu nennen sind, gibt er oft statt innerer Er- 24* - 372 - lebnisse nur lyrische Dekorationen; als er an der Schwelle des Jahrhunderts Dramaturg des cechischen Nationaltheaters wurde, wußte er seinen vorzüglichen Sinn für das Dekorative, für die impressionistische Stimmung des Ensembles in der Regie vortrefflich zu verwerten. - Die beiden großen kosmopolitischen Dichter Zeyer und Vrchlicky wollten auch die cechische Bühne erobern, doch man dürfte nicht behaupten, daß es ihnen gelungen wäre. Im Jahre 1881 wurde der neue Monumentalbau des cechischen )Nationalen Theaters« vollendet; doch kaum war der Bau fertig, zerstörten ihn Flammen. ]aroslav Vrchlicky, welcher den allmählichen Fortschritt des Theaterbaues mit begeisterten und geistreichen Versen begleitet hat, gab dem nationalen Schmerze über die Vernichtung des dem Volke heilig gewordenen Gebäudes einen beredten Ausdruck; zugleich ermahnte seine pathetische Muse die gesamte Nation, das großartige Werk aus Trümmern und Asche neu und verjüngt wie Phönix hervorsteigen zu lassen. Sein in der Form einer italienischen Kanzone gehaltenes Gedicht erschien unter dem bezeichnenden Titel »Pantheon« (1883). Damals zeigte sich die Opferfreudigkeit des cechischen Volkes in einem so glänzenden Lichte wie noch nie vorher; aus freiwilligen Beiträgen, zu denen auch einfache Arbeiter und arme Dienstmädchen beisteuerten, wurde nach zwei ] ahren ein neues, elegantes Gebäude im Renaissancestil , das )Narodni divadloc, am rechten Ufer der Moldau errichtet, welches auch die cechische Bau- und Bildhauerkunst sowie die dekorative Malerei in der Epoche ihrer Vollendung zeigte. Doch während die Oper, welche Smetana unter den Einfluß Richard Wagners gestellt hatte, durch Werke von Smetana, Dvorak, auch das Aufsehen des Auslandes an sich lenkte, konnte das Schauspiel, das mit der Oper die Bühne teilte, mit ihr nicht wetteifern. Ein geschickter Theaterdirektor, Fra nt i s e k A d 0 1f Sub e r t (geb. 1849), welcher eine journalistische Begabung und Schulung auch als Dramatiker nicht verleugnen konnte, pflegte das pathetische Drama mit großen wirkungsvollen Massenszenen, mit prunkhaften Schaustücken im alten Stil und wußte durch Einladungen fremder Künstler den Geschmack seiner Schauspieler sowie seines Publikums zu läutern. Unter den Schauspielern dieser Gruppe stellte die männliche Erscheinung des schwungvollen Jakub Seifert (geh. 1846) die 373 - pathetische, die schneidige Gestalt des mokanten J i f i Bit t n e r (1846-1904) die ironische Seite dar; die bedeutende Gattin des Letztgenannten Frau Maruska Bittnerova (1854-1897) bezauberte mit ihrer holden Weiblichkeit sowohl in den älteren Deklamationsstücken als auch in den modernen, dem Innenleben zugewandten Tragödien. Um die einheimische dramatische Produktion stand es aber schlimm genug. Der Dramatiker B 0 h u m i lAd a m e k (geb. 1848), mit dessen »Salomena«, einem schwungvollen Renaissancedrama aus dem 16. Jahrhundert in Böhmen, das cechische Schauspiel in das neue Nationaltheater getreten ist, täuschte alle Hoffnungen, die man an sein Erstlingswerk knüpfte. Die Stücke von Zeyer und V rchlicky erwiesen sich selten als bühnenfähig, und das Publikum wollte mit ihren lyrischen Schönheiten nicht vorlieb nehmen. J u li u s Z e y er, auch in der dramatischen Dichtung ein Bekenner der romantischen Kunstlehre, brachte biblische Idyllen, irische Legenden, slowakische Märchen, chinesische Intrigenkomödien, spanische Trauerspiele, Haupt- und Staatsaktionen aus der böhmischen Vorzeit - am besten sind das symbolische Märchen >Raduz und Mahulena~ (1897) und das historische Schauspiel >Neklan~ (1893), wo sich Zeyer an Ibsens dramatische Gedichte aus der skandinavischen Heldenzeit anlehnt, gelungen -, doch alle gewinnen sie erst bei der Lektüre. Leidenschaftliche Charaktere, die gewöhnlich kontrastmäßig gruppiert sind, beherrschen die wild aufbrausende Handlung, die aber durch zarte lyrische Einlagen durchbrochen wird; der Dramatiker versäumt keine Gelegenheit, seine Personen über Haß und Liebe, Sehnsucht und Verzweiflung, Tod und Erlösung machtvoll deklamieren zu lassen. Zeyer war allerdings selbst überzeugt, daß er vom Theater und vom Publikum ungerecht vernachlässigt, ja ignoriert werde, und gab seiner Verstimmung in geharnischten Vorreden zu seinen Stücken Ausdruck. Ja r 0 sI a v V r chI i c k y war auch als Dramatiker vielseitig und verwandlungsfähig : man kann die antike Heldensage und den Apostatastoff, die italienische Renaissance und die spanische Gegenreformation, das Rudolphinische Zeitalter und den Dreißigjährigen Krieg, das böhmische Mittelalter und die moderne Gegenwart in seiner dramatischen Bearbeitung finden; man kann bei - 374 - ihm sowohl erschütternde Tragik als auch übermütige Faschingslaune empfinden; man wird sich bei ihm an verschiedene fremde Urbilder von Euripides bis Corneille, von Calderon bis Sardou, von Hugo bis Scribe erinnert fühlen: doch im ganzen wird man selten von großer dramatischer Kunst bei Vrchlicky sprechen dürfen. Sie beherrscht die ersten zwei Teile seiner gewaltigen, das attische Drama nachahmenden Trilogie ~Hippodamie« (1889 -1891, deutsch von Ed. Grün 1892), die man in Begleitung von Fibichs Musik genießen kann: wie herrlich sind die wuchtigen Charaktere der Nebenpersonen entworfen; welche lyrischen Schönheiten berücken den Zuschauer mit ihrem zarten Zauber oder mit ihrer düsteren Stimmung; welche Lebensweisheit strömt aus den machtvollen chorischen Partien, von welchen die gesamte Handlung begleitet wird! Allerdings hält sich das Ganze keineswegs auf dieser Höhe: die beiden Hauptpersonen, die leidenschaftliche Hippodamie und ihr schuldbeladener Mann Pelops, sind verzeichnet; manches dankbare Motiv blieb unbenützt; der abschließende dritte Teil ist überladen und artet in ein tristes Intrigenstück aus. Unter diesen Schwächen leiden auch Vrchlickys Tragödien aus der Premyslidenzeit, unter welchen das Trauerspiel ~ BraUi« (~Die Brüder«, 1889) am höchsten steht. Dagegen werden Vrchlickys zahlreiche und meistens treffliche Lustspiele mit Unrecht unterschätzt. Antike Stoffe hat V rchlicky in denselben ebenso geistreich verwertet wie feine Motive aus der einheimischen Geschichte und Sage: den stimmungsvollen lyrischen Zauberer, welcher besonders im Bereiche der Liebe glücklich waltet, begleitet hier der ausgelassene, geistreiche Schalk, dessen Humor nicht nur unterhaltend, sondern auch erhebend wirkt. Nur ein einziges Werk, ~Noc na Karlstejne« (:»Eine Nacht auf dem Karlstein«, 1885), eine frische Komödie mit Verkleidungen aus dem Leben Karls IV., hat sich auf dem Repertoire erhalten. Als Dramatiker hat V rchlicky, der sonst überall ein magnus parens gewesen, weder eine Schule gebildet, noch die Schauspieler, die sich doch stets mit seinen Stücken beschäftigen mußten, für eine stilgemäße Darstellung des Versdramas erzogen. Erst das realistische Genre aus dem Volksleben hat das cechische Schauspiel verjüngt und ihm neue Kräfte zugeführt. Sechzehntes Ka piteI. Der Realismus in der cechischen Novellistik und im Drama. Die patriotische Schule schwelgte in ihren historischpolitischen Träumen, und die ihr entgegengesetzte kosmopolitische Gruppe irrte in der poetischen Ferne; da fing das realistische Interesse für die unmittelbare Wirklichkeit des täglichen Lebens nur ganz allmählich an sich zu regen. Auch hier hat bereits die von HaIek und Neruda geführte Generation neue Ziele gewiesen, ja teilweise auch selbst neue Bahnen gebrochen; Halek und Svetla, die bedeutendsten Erben der Bozena Nemcova, bedeuten bei all ihrer romantischen Handlungskonstruktion und idealistischen Charakteristik einen großen Fortschritt in der Schilderung des cechischen Volkslebens ; Neruda eroberte mit seiner skizzenhaften Technik des novellistischen Genres das Großstadtleben für die Litteratur; Pfleger, ein Schüler der jungdeutschen Schule, begründete den cechischen sozialen Roman. Doch diese neueröffneten Wege wurden allzubald verlassen; die meisten Schriftsteller der siebziger und achtziger Jahre verdarben durch unangenehm aufdringliche Moral, durch gewaltsame patriotische Tendenz, durch einen faden, verlogenen Idealismus, durch süßliche Sentimentalität wieder das lebenstreue Bild der Wirklichkeit. Nun mußte die realistische Kunst wieder erobert werden, und so bildet das langsame Erwachen des Wirklichkeitssinnes und der Kampf um den Realismus die eigentliche Geschichte der cechischen Novellistik in den achtziger Jahren. Einige Motive, die für die Entstehung der realistischen Richtung entscheidend waren, liegen allerdings außerhalb der Litteratur: es ist vorerst die große ethnographische Bewegung, welche dann in den neunziger Jahren ihren Höhepunkt erreichte, und der mährische Regionalismus, der, in dem politischen und - 376 gesellschaftlichen Leben wurzelnd, bald auch für die Litteratur einflußreich wurde. Dem ethnographischen Interesse, das sich aus der romantischen Vorliebe für Volkspoesie und Volkssage entwickelt hat, begegneten wir bereits bei Nemcova, Erben und Susil; doch diese Schriftsteller haben fast ausschließlich die Erzeugnisse der volkstümlichen Wortkunst berücksichtigt. Etwa gleichzeitig studierte der geniale cechische Maler Josef Manes mit geradezu wissenschaftlicher Genauigkeit die cechischen und slowakischen Volkstrachten und Volkstypen. Später wurden auch die volkstümlichen Sitten und Gewohnheiten sowie der Volksaberglaube aufgezeichnet und untersucht, wobp.i noch die wissenschaftliche Romantik mit ihren abenteuerlichen, überall Mythisches und Heidnisches aufzuspürenden Hypothesen ihr böses Spiel trieb. Eine wissenschaftliche Volkskunde gab es damals in Böhmen allerdings nicht, doch es fehlte keineswegs an ethnographisch interessierten Liebhabern und Sammlern. Einige Provinzialmuseen, besonders das reiche Olmützer Museum in Mähren, legten große ethnographische Sammlungen an, und deren bezügliche Vorstände, zahlreiche Damen darunter, lieferten in ihren fleißigen Monographien schätzenswerte Vorarbeiten zu der cechischen Volkskunde. Als dann im Jahre 1891 aus der Jubiläumsausstellung in Prag, mit der auch die Gründung der ersten cechischen ethnographischen Fachzeitschrift, 'Ceskj lid " (~Das cechische Volk,,> durch den fleißigen und umsichtigen Folkloristen Cenek Zibrt (geb. 1864) zusammenfällt, der glückliche Plan einer selbständigen ethnographischen Ausstellung gefaßt wurde, loderte ethnographische Begeisterung in ganz Böhmen und Mähren in den hellsten Flammen auf; man sammelte eifrig die immer mehr verschwindenden Überreste der volkstümlichen Industrie, alte Trachten und Stickereien, altes Geschirr und alte Möbel; veranstaltete kleine Expositionen in böhmischen und mährischen Kreisstädten; volkstümliche festliche Aufzüge und altertümliche Feierlichkeiten wurden neu belebt und öffentlich vorgeführt. Die großartige ethnographische Ausstellung ()Narodopisna vjstava ceskoslovanska,,) in Prag im Jahre 1895 schenkte auch dem Schriftsteller, dem Maler, dem Architekten, dem Musiker reichhaltige Belehrung und fruchtbare Anregung; ein großes, auf streng wissenschaftlicher Grundlage aufgebautes ethnographisches Museum (»Narodopisne museum ceskoslovanske,,) wurde später - 377 in Prag gegründet; der gelehrte Archäologe und Ethnograph Lu bor Nie d erle (geb. 1865), der Safafiks wissenschaftliche Pläne aufgenommen und glänzend durchgeführt hat, zeigte sich als methodischer Organisator der wissenschaftlichen Volkskunde; die gesamte Nation war äußerst stolz auf ihre eigenartige Volkskultur. Mit dieser ethnographischen Bewegung geht das litterarische Interesse für das Volksleben ganz parallel; ja, man darf behaupten, daß sich der litterarische Realismus von der ethnographischen Kleinmalerei nur ganz allmählich freimachen konnte. Nirgends fand diese Bewegung einen so dankbaren Boden wie in Mähren, einem zwar rückständigen, doch desto besser erhaltenen Lande. Während nur in Westböhmen die malerischen alten Volkstrachten und auch da ganz spärlich getragen wurden, haben die verschiedensten mährischen und slowakischen V olksstämme noch die ganze farbenreiche Pracht ihrer schönen Kostüme beibehalten. Der Einfluß der Stadt und der Schule konnte hier weder die Eigentümlichkeiten der Mundarten noch die originellen Sitten verwischen, und der Quickborn des Volksliedes, der in Böhmen längst beinahe versiegt war, rauschte hier in seiner jugendlichsten Kraft und frischesten Schönheit. Es fehlte auch keineswegs an gelehrten Forschern, welche diese günstigen Bedingungen für das wissenschaftliche Studium der Volkskunde zu schätzen und auszunutzen wußten. Der hervorragendste von ihnen war Frantisek Bartos (1837-1906), ein typischer mährischer Gelehrter, der ganz abseits von der Prager wissenschaftlichen Organisation eine eigene Partei für sich bildete. Frantisek Bartos, ein Gymnasialdirektor in Brünn, wandelte getreu in Susils Spuren; auch für ihn war das V olkslied der eigentliche Ausgangspunkt der ganzen Lebensarbeit. Doch das Volkslied interessierte ihn nicht bloß als das poetische Erzeugnis der Volksseele, sondern er beobachtete es zugleich vom Standpunkte eines geübten Dialektologen und stellte dabei durchdringende ethnographische Untersuchungen auf. So gesellen sich zu seiner umfangreichen Sammlung der mährischen Volkslieder, wobei zugleich auch die volkstümlichen Melodien berücksichtigt werden, zwei große dialektologische Werke, die Mährens gesamtes mundartliches Material enthalten; zahlreiche, ungemein frisch und kundig gehaltene Abhandlungen aus der mährischen Volkskunde treten hinzu. Eine durchaus originelle Persönlichkeit, - 378 - die auch ihre Schrullen und bizarre Einfälle hat, spricht aus diesem Werke. Bartos war eine wunderliche Kreuzung von Pedanterie und von kindlicher Naivität, von philologischem Gelehrtendünkel und volkstümlicher Schlichheit, von professorenhafter Monomanie und dem köstlichsten Humor, eine wunderbare Mischung der ehrlichsten Begeisterung ftir jeglichen geistigen Fortschritt des leidenschaftlich geliebten mährischen Volkes und eines bedenklichen Klerikalismus. Auch war Bartos, im Gegensatze zu seinem größeren Zeitgenossen und Antipoden J. Gebauer, ein kleinlicher und hartnäckiger Purist, dessen Bestrebungen um die Reinheit der Schriftsprache und ihre Bereicherung durch die Mundarten die freie Entwicklung der Sprache eher lähmten als förderten. Man wird Bartos gewiß nur aus den speziell mährischen Kulturverhältnissen erklären und verstehen können; dasselbe gilt vielleicht in einem noch höheren Grade von einem anderen geistigen Ftihrer Mährens in den achtziger Jahren, von dem kampf- und schreiblustigen Pfarrer Va cl a v K 0 s m a k (18431898). Liest man Kosmaks umfangreiche, chronikartige Romane oder seine kurzen derben Erzählungen aus dem mährischen Volksleben, so muß man an Jeremias Gotthelf, den großen Epiker aus dem Emmentale, denken. Derselbe naive Naturalismus, der vor keiner schmutzigen Szene zurtickschrickt , derselbe breite epische Str.om, dieselbe kampfmäßige , harte Bauernmoral , dieselbe wilde, leidenschaftliche Zank- und Streitlust, derselbe urwüchsige, oft ganz ungehobelte Humor tritt uns hier wie da entgegen. Doch bei Kosmak drängt sich neben die volksttimliehe Moral und die kirchliche Lebensauffassung auch eine ausgesprochen ultramontane Tendenz, welche über den Liberalismus und das Judentum, den Sozialismus und die freisinnige Presse, die freie Schule und den modernen Industrialismus strenges Ketzergericht hält, sehr in den Vordergrund; und so muß der Epiker allzu oft dem klerikalen Tendenzschriftsteller weichen. Ebenso verleidet uns aufdringliche Moral und Polemik seine kleinen halbnovellistischen Skizzen, die er als »Obrazky z kukatka~ (»Bilder aus einem Guckkasten~, 1883-1892) in einem Rahmen vereinigt hat: kleine Szenen aus dem Volksleben, anmutige Schilderungen der mährischen Natur, frische Charakteristiken einzelner Dorftypen werden durch die allzu dick aufgetragene Tendenz oft verdorben. - 379 - Die Kosmak-Schülerin Frantiska Stranecka (18391888), deren Erzählungen viel naiver, schlichter und sachlicher, aber dabei matter und süßlicher als jene ihres Meisters wirken, eröffnet die Reihe der Schriftstellerinnen , die in den achtziger Jahren das Volksleben treu und liebevoll geschildert haben. Zu dieser Gruppe gehört vor allem Frau Gabriela Preissova (geb. 1862). Mit ihren späteren kon~entionellen Novellen aus der feinen Gesellschaft und aus dem Bauernleben in Kärnten hat sie ihre Erstlingswerke nicht erreicht; doch als sie am Ende der achtziger Jahre mit ihren duftigen frischen »Obrazky ze Slovacka«: (»Bilder aus der Slowakei«:, 1889) und zwei naiv naturalistischen Dramen aus dem slowakischen Familienleben debütierte, war man einfach entzückt über ihr jugendlich überschäumendes Temperament, ihre knappe Erzählungskunst , ihre scharfe abgerundete Charakteristik, ihre anmutige, saftige Sprache; je kürzer und gedrungener ihre Novellen waren, desto stärker war ihre Wirkung; größere Kompositionen dagegen mißlangen Frau Preissova gänzlich. Gleichzeitig mit ihr schilderten das slowakische Leben zwei andere Novellisten, die jedoch mehr als einfache Erzählungskunst bieten wollten: Jan Herben und Alois Mrstfk. J an Herb en (geb. 1857) ist vom Geschichtsstudium zur Journalistik übergegangen, blieb dabei aber ein temperamentvoller Slowake, ein treffsicherer Beobachter, ein scharfzeichnender Charakteristiker seines Landes und seines Volkes; die novellistische Begabung gesellt sich bei ihm zu dem ethnographischen Interesse. Außer einigen Novellensammlungen erschien von ihm ein starker Roman »Do tl'etiho a ctvrteho pokoleni «: (»Bis ins dritte und vierte Geschlecht«:, 1892); das tägliche Leben ganzer Geschlechter des slowakischen Volksstammes wird hier mit dem konsequenten Realismus geschildert, und dabei werden auch die verborgenen Lebenskräfte zu erfassen gesucht. Bei aller liebevollen Detailkunst des Verfassers leidet sein Roman doch unter der fehlerhaften Komposition und unter dem Mangel an Übersichtlichkeit und bleibt im ganzen ein formloses Werk. Später hat sich Herben, der journalistische Apostel Masaryks, vom mährischen Boden ganz losgelöst, und doch konnte er auf den intimen Verkehr mit der Volksseele nicht verzichten. Nun wird Südböhmen, die Wiege der hussitischen Bewegung, der Schauplatz seiner - 380 Neigungen zu Volk, Natur, Jagd, und nach dem südböhmischen Dorfe ) Hostisov« (1907), wo er den Sommer zu verbringen pflegt, benennt er sein Lieblingsbuch, in welchem frische Skizzen aus dem Tierleben mit Schilderungen der eigenartigen Volkstypen , zarte Naturbilder mit historischen Reminiszensen abwechseln. Wie Herben, ist auch Alois Mditik (geb. 1861), welcher als Volksschullehrer inmitten der slowakischen Bevölkerung in Südmähren lebt, ein gewissenhafter, in der Volkskunde geschulter Chronist der Slowaken, die er, dem großen slowakischen Pleinairist J6za Uprka nicht unähnlich, sowohl bei d.er Arbeit als auch bei ihren Festlichkeiten verständnisvoll und genau beobachtet; ihre Sprache und Sitten, ihre Tracht und Bewegungen erfaßt er geradezu kinematographisch. Sein breit angelegtes Hauptwerk »Rok na vsi« ()EinJahr im Dorfe«, 1903, in neun Teilen) bleibt ein vorzügliches Dokument der cechischen Volksseele, darf aber kaum als ein eigentliches Kunstwerk betrachtet werden. Ganz wesentlich ist der Unterschied zwischen den Novellisten Mährens und denjenigen Erzählern, die das böhmische Landvolk schildern. Während jene die bunte Fülle des überschäumenden Volkslebens, das üppige Schwelgen in- farbenreichen Massenszenen, die wild aufbrausende Dramatik äußerer Erlebnisse, die leidenschaftliche Erotik bevorzugen, bieten diese eher schlichte Familiengeschichten, düstere Schattenbilder der trostlosen Existenz der vom Schicksale geknechteten Bauern und Häusler, wortund farbenkarge Episoden aus dem schweren Kampfe ums Brot, novellistische Beiträge zur Psychologie der religiösen Schwärmerei im Volke. Die beiden Erzähler der älteren Generation, Stasek und Klostermann , konnten die überlebte, äußerliche Romanmanier, die in dem Wirklichen nur das Interessante, in dem Interessanten nur das Sensationelle sucht, nie los werden; sie verschmähten die wunderlichen Liebesabenteuer, verwickelten Familienverhältnisse, geheimnisvollen Schicksalswirrungen in ihren Romanen nicht. Den romantischen Psychologen der nordböhmischen Volksseele Antal Stasek haben wir bei jener Litteraturgruppe kennen gelernt, zu welcher er sich durch seine Anfänge anreiht: bei den Erzählern der Pflegerschule, die von der Technik des Jungen Deutschlands abhängig sind. Als seinen Gegensatz kann man Kar e I Klo s t e r man n (geb. 1848) bezeichnen; allerdings nicht - 381 nur deshalb, daß sich seine Romane fast ausschließlich im Böhmerwalde bewegen. Während Stasek ein zäher, in sich gekehrter, grübelnder Charakter, ein nüchterner, sachlicher Beobachter, ein düsterer, ernster Denker, ein kunstloser, manchmal sogar unbeholfener Erzähler ist, weiß der frische, bewegliche Klostermann den Leser durch spannende Handlung, durch leichte, anmutige Erzählungskunst, durch angenehmen Plauderton selbst auf die Dauer zu fesseln. Als deutsch schreibender Nachfolger der beiden vorzüglichen Dichter des Böhmerwaldes, Joseph Rank und Adalbert Stifter, hat Klostermann seine Tätigkeit mit den anmutigen bBöhmerwaldskizzen« (1890) begonnen. In seinen breit angelegten Erzählungen aus dem Leben der Holzfäller, Heger und Glasarbeiter des Böhmerwaldes - die umfangreichen Romane b Vraji sumavskem« (,Im Paradiese des Böhmerwaldes«, 1893) und »Ze sveta lesnich samot« (bAus der Welt der Waldeinsamkeitc, 1894), welche eine große Reihe verwandter Bücher eröffnen, sind wohl die besten - dringt er allerdings nie in die Tiefe. Geschickt flicht er den konventionellen, erotischen Faden in eine eingehende Schilderung der eigenartigen Lebensverhältnisse an der böhmisch - bayrischen Grenze ein; leidenschaftliche Szenen umrahmt er gewandt mit breiten, lyrisch angehauchten Landschaftsschilderungen, und so erwarten den Leser, der ja bei Klostermann keine feinere Psychologie, keine realistische Kunst suchen darf, immer neue Überraschungen. Auch gehören seine Bücher wohl zu dem Besten, was die cechische Litteratur auf dem Gebiete des Unterhaltungsromanes aufzuweisen hat. Keinem von diesen Novellisten wurde ein ähnlicher Erfolg zuteil, wie ihn am Anfange der neunziger Jahre K. V. Rais ernten konnte; kaum hatte er in zwei Bänden seine Erzählungen aus dem nordböhmischen Volksleben gesammelt, erklärte ihn das begeisterte Publikum, dem auch die Kritik aufrichtig zustimmte, für seinen Liebling, und man knüpfte die schönsten Hoffnungen an seinen Namen, als ob mit ihm die langersehnte realistische Kunst in Böhmen eingezogen wäre. Doch dieser Erzähler, dessen Gesichtskreis seine engen Grenzen hat, konnte nicht mehr bieten, als was bereits in seinen allerersten Büchern enthalten war; er wiederholte sich später immer, erweiterte in seinen großen Prosawerken den seelischen Inhalt seiner kürzeren Novellen, machte dem sentimentalen Geschmacke seiner Leser immer neue Zu- - 382 - geständnisse; seinen Anschauungskreis hat er weder erweitert noch seine Psychologie vertieft. Kar e I V. Ra i s (geb. 1859), dessen litterarische Anfänge in das Gebiet der ]ugendlitteratur und der sentimentalen Lyrik mit der patriotischen Tendenz gehören, gibt sich als ein ganz schlichter, bescheidener Schriftsteller, der mit den einfachsten Kunstmitteln arbeitet: seine Schreibart ist ruhig und sachlich, seine Sprache ist volkstümlich und kunstlos, seine dürftigen landschaftlichen Schilderungen sind in Grau gehalten, seine ausführlichen Beschreibungen der ländlichen Hauseinrichtungen , der Feldarbeiten und der ärmlichen Trachten der nordböhmischen Bauern referieren ganz trocken und nicht selten ermüdend; nur der Dialog ist bei Rais lebhaft und fesselnd. Auch ist Rais ein nüchterner Psychologe, der vom physischen sowie vom sozialen Einflusse auf die Volksseele absieht und seine Typen ganz individualistisch vereinzelt. Passive und leidende Charaktere, erniedrigte und gedemütigte Seelen, sieche und verstoßene Greise und Greisinnen, die eine trübselige Existenz im Ausgedinge führen, stumpfsinnige Häusler und Tagelöhner, abgemagerte, auf das Glück ganz resignierende Frauen, hartherzige und gefühllose Bauern, arme Mädchen, die die Großstadt verdorben hat, kränkliche Männer, welche im Leben Schiffbruch erlitten haben und nun heimkehren, um auf dem Lande zu sterben - dies sind die beliebtesten Gestalten in seinen besten Büchern, so in den ~ Vymenkafi« (»Ausgedingen, 1891), den 1>Rodice adeti« (»Eltern und Kinden, 1893) oder in der 1>Lopota« ( •. Plage«, 1895). Einige schmerzvolle Lebensfragen werden hier wiederholt novellistisch behandelt: das trübe Verhältnis der gealterten Eltern und ihrer Kinder, der zersetzende Einfluß der Großstadt auf das Landvolk, der dumpfe instinktive Zusammenhang der Bauernseele mit dem Mutterboden. Rais bringt das wehmütige Lächeln eines sanften Menschenfreundes, das aufrichtige Mitleid eines humanen Volkstümlers, die herzliche Teilnahme eines überzeugten Traditionalisten diesen traurigen Lebensrätseln entgegen; für eine soziologische Analyse, für eine volkswirtschaftliche Kritik der hoffnunglosen Verhältnisse ist bei ihm kein Platz; auch den geschlechtlichen Problemen und überhaupt allen leidenschaftlichen Konflikten geht er meistens aus dem Wege. Naiv sentimental sind seine endlosen Geschichten- - 383 - namentlich >Zapadli vlastenci« (»Die weltfernen Patrioten«, 1894) und >Zapad« (>Sonnenuntergang«, 1899) - aus dem Leben der alten Schulmeister und patriotischen Landpfarrer aus der Zeit der nationalen Wiedergeburt, die in der erbärmlichen Enge ihres Lebens und Wirkens so ausführlich behandelt und so begeistert gepriesen werden, als ob jeder von diesen Landpfarrern ein Dobrovsky, ein jeder von diesen Volksschullehrern ein Safafik gewesen wäre; dazu gesellt sich noch eine süßliche Erotik etwa im Stile der Backfische und ein rührseliger Patriotismus in der Art eines Tyl oder eines TfebizskY. Für das geistige Leben des cechischen Volkes zeigt Rais wie einst Pravda wenig Verständnis; religiöse Probleme, politische Fragen, soziale Klassenkämpfe interessieren seine schlichten Helden aus dem Volke überhaupt nicht; und doch konnte sowohl in der älteren Zeit Karolina Svetla als auch in der neueren Litteratur Stasek viele Typen religiöser Schwärmer, politischer Enthusiasten, sozialer Fortschrittler aus benachbarten Kreisen vorführen; auch Jirasek, dessen trockener Kunst das Studium des volkstümlichen Lebens neue Säfte zugeführt hat, wies auf die latenten religiösen Kräfte. In der neueren Zeit wird nun auch diesen wichtigen Fragen gebührende Aufmerksamkeit geschenkt~ zumal da sie zugleich den Aufschluß über den Zusammenhang der religiösen Bewegung der Vergangenheit mit der gegenwärtigen Volksseele geben. Beide Schriftsteller, Josef Holecek und Frau Tereza Novakova, die in dieser Richtung tätig sind und so dem novellistischen Volksstudium neue Bahnen gewiesen haben, fanden ihre persönliche Note verhältnismäßig spät, nachdem sie schon jahrelang litterarisch tätig waren. J 0 s e f Hol e c e k (geb. 1853), ein Slavjanophil vom reinsten Wasser, ist immer ein Utopist geblieben; für seine panslawistischen Träume, die in entschiedenem Gegensatze zu dem gegenwärtig in Böhmen vorherrschenden Westeuropäertum sind, macht er eifrige Propaganda als Journalist, als Politiker, als Novellist. Holecek, welcher das südslavische Heldenepos und die nationale Lyrik der Serben, aber auch die >Kalevala« der Finnen vorzüglich übersetzt hat, predigt den engsten Anschluß an den slawischen Osten, verherrlicht die Kosaken, untersucht die Lebensbedingungen im heutigen Rußland, stellt montenegrinische Helden seinem Volke als Muster vor; ganz eigentümlich mischt sich bei ihm kon- - 384 - servativer Traditionalismus mit fortschrittlichem Demokratismus, aufrichtigste Begeisterung für die russische Orthodoxie mit der Vorliebe für die böhmische Reformation, wie er denn überhaupt zu den radikalsten Vertretern des panslawistischen Gedankens unter den Slawen gehärt. Nicht ganz tendenzfrei ist auch sein bisher unvollendetes Hauptwerk »Nasi« (»Die Unseren«, seit 1898, acht Teile), wo er in den frischesten Farben, mit zartester Poesie und köstlichstem Humor das altertümliche Volksleben in seinem Heimatwinkel , in der nüchternen Umgebung des südböhmischen Städtchens W odnan , übrigens der ursprünglichsten Wiege der böhmischen Bruderunität, vorführt. Er will hier dem Pulsschlage der cechischen Volksseele mit aufmerksamer Andacht lauschen; er will die leisesten Schwingungen des cechischen nationalen Geistes, der noch immer tief religiös, ja mystisch lebt und webt, erraten, und aus diesen subtilen Kundgebungen will er eine eigenartige Volkspsychologie konstruieren und sie in den engsten Zusammenhang mit der slawischen Stammesseele bringen. Man kann kalt, ja schroff seinem volkstümlichen Mystizismus gegenüberstehen, man dürfte seinen überspannten Panslawismus nicht teilen können und auch von der mangelhaften Komposition seiner Arbeiten abgestoßen sein: doch den Rang eines überaus ernsten und anregungsreichen Heimatkünstlers wird man ihm nie abstreiten können. Als Frau Tereza Novakova (1853-1912), die sich auch um die cechische Frauenbewegung sehr verdient gemacht hat, ihre ersten, streng realistischen Bilder aus der ostböhmischen Hügellandschaft, aus der Umgebung von Leitomischl und Policka veröffentlichte, ist sie schon eine geraume Zeit auf verschiedenen Gebieten der Litteratur tätig gewesen: sie hat in einem großen Roman und mehreren kürzeren novellistischen Skizzen die alberne cechische Kleinstadt geschildert; sie hat ein umfangreiches populär geschichtliches Werk über Frauen geschrieben, wo besonders die böhmische Reformation verherrlicht wird; sie hat das Leben ihrer Lieblingsschriftstellerin Karolina Svetla liebevoll und allzu ausführlich erzählt; sie hat auch ethnographische Fachwerke, die sich mit dem ostbähmischen Volke beschäftigen, verfaßt. Diese Schriften, die ursprünglich größtenteils unbeachtet blieben, sind als wichtige Vorarbeiten ihrer späteren Werke anzusehen. Aus der konventionellen Banalität und seichten Mittel- - 385 - mäßigkeit der Kleinstadt hat sie sich zum herben, ernsten Alltagsleben der eigenartigen ostböhmischen Weber und Bauern geflüchtet; die Volkskunde hat sie zum Studium sowohl äußerer als auch innerer Lebensart des Landvolkes gewiesen; die Beschäftigung mit der vaterländischen Geschichte lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die intimen Wurzeln der cechischen Reformation im Volksgeiste ; K. Svetla, von der sie ihr sachlicher Realismus scheidet, lehrte sie, in dem Volke nach großen geistigen Individualitäten, nach vollblütigen Persönlichkeiten zu pürschen. So entstanden ihre Monographien der ostböhmischen Vol~sseele, die tapfer, ehrlich und rücksichtslos die religiöse Wahrheit, die politische Freiheit, die soziale Gerechtigkeit sucht und sich in diesem schicksalsschweren Wahrheits- und Freiheitsdrange verzehrt. Einmal ist es der böhmische Emigrant »Jan Jilek( (1905), der in Berlin stirbt; dann ein starrköpfiger Sektierer, der Weber »Jifi Smatlan( (1906), welcher als sozialdemokratischer Schwärmer endet; oder - in dem Buche »Na Librove grunte< (»Auf dem Bauernhofe Libra«, 1907) - ein rechtschaffener, aufgeklärter Bauer, dessen intimes Liebes- und Familienglück eng mit der politischen Geschichte von 1848 verwoben ist; endlich ein schwärmerischer Patriot aus dem Piaristenorden "DrasarC' (1913), welcher überall Schiffbruch erleidet, seine priesterliche Würde sowie sein Lehreramt verläßt, um in einem weltfremden ostböhmischen Bergdorfe unter den ärmsten Landleuten die Erlösung seiner wild aufflackernden Sinnlichkeit und endlich ein tragisches Ende zu finden. In ihrer größten Komposition, »Deti Cisteho ziveho« (»Kinder des reinen lebendigen Geistes(, 1909), hat Tereza Novakova mit der einfachen Form der novellistischen Monographie gebrochen: um den erschütternden Niedergang der pantheistischen Sekte der »Adamiten« allseitig zu schildern, schuf sie eine breite Epopöe einer ganzen Gegend, eines großen Stammes, zeichnete mit wuchtigem Pinsel eine reiche Galerie von Volks typen, die sich gegenseitig ergänzen und ein erhaben düsteres Trauerspiel des verzweifelten Kampfes des freien Gedankens gegen die niedrigen Ränke der sinnlichen Weh agieren. Die wortkarge, gedankenschwere und scharfe Kunst von Tereza Novakova überzeugt durch ihre männliche Wucht und ihren mutigen ·Wahrheitssinn, was man von den meisten Arbeiten ihrer männlichen Kollegen nicht eben behaupten könnte. Und diese tüchtige Meisterin der J akubec-Novltk, Cechlsche L1tteratur 25 386 - epischen Darstellung, diese äußerst objektive Schriftstellerin schrieb neben solchen streng sachlichen Werken auch ganz lyrische und persönliche Bücher, wo ihr reiches Gemüt das Gleichgewicht zu gewinnen sucht; sie heißen bezeichnend »Mein Steinwege (»2 kamenite stezkyc, 1908) und »Schreie und Seufzen (l>Vykriky a vzdechyc, 1911). In ihrer beliebten Berg- und Waldlandschaft im äußersten Ostböhmen weilt sie mit ihrem Gram allein und spricht bald trotzig, bald wehmütig mit Gott, mit Natur und ihrem eigenen, ewig unzufriedenen Herzen. Alle Freuden, die unendlichen, alle Schmerzen, die unendlichen, suchen nun poetischen Ausdruck, und immer findet die Dichterin neue Symbole, neue märchenhafte Motive für das unruhige Wellenspiel ihrer Gefühle und Stimmungen. Das poetische Studium des Volkslebens und der Volksseele in Böhmen erlebt auf diese Weise eine entschiedene Umwandlung: von der bunten und malerischen Oberfläche - wendet man sich allgemein dem Seelenleben zu, indem man bestrebt ist, im Volke die Quellen der großen nationalen Strömungen aufzudecken, anstatt der dekorativen tritt nun immer mehr die tragische Auffassung des Volkes in den Vordergrund. Auch werden die wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die sozialen Abstufungen des Landvolkes immer mehr berücksichtigt: Josef Holei'iek und neuerdings auch Antonin Sova haben den Kampf der südböhmischen Bauern gegen das Junkertum geschildert, Tereza Novakova starb über den Vorarbeiten zu einem agrarischen Romane aus Ostböhmen, F. X. Svoboda schrieb eine geradezu heroische Epopöe der bäuerischen Emporkömmlinge aus Mittelböhmen. Die jüngsten Schriftsteller träumen von einer Verbindung dieser bei den Elemente: des psychologischen und des wirtschaftlichen. Dafür ist keine Erscheinung charakteristischer als der frühverstorbene Josef Matejka (1879-1909), ein ernster grübelnder Klinstler, der den billigen Erfolg verschmähte. In seinem Innern stritt der Sensitive stets mit dem Analytiker, der westböhmische Bauernsohn mit dem spöttischen Intellektuellen, der sachliche Erzähler mit dem verschnörkelten barocken Stilisten. Er hätte gewiß der cechischen Litteratur den Bauernroman schenken können, der ganz abseits von Volkskunde und Idylle liegt; seine »Duse pramenuc (»Die Seele der Quellenc, 1911) ist ein beachtenswerter Anlauf dazu. - 387 - Auch die Wissenschaft bemüht sich immer mehr um die Erforschung der Lebensbedingungen des Landvolkes; die beiden Historiker Antonin Rezek und Josef Pekaf sind glänzende Belege dafür. Der temperamentvolle, unruhige An ton i n Re z e k (1853-1909), Tomeks Nachfolger auf dem Lehrstuhle der österreichischen Geschichte, war ein antiromantischer und nüchterner Gegner jeglicher Ideologie; ungemein politisch interessiert, betonte er immer das politische Moment in der Geschichte; auch widmete er große Aufmerksamkeit den administrativen und finanziellen Einrichtungen der Vergangenheit. Und doch galten seine selbständigsten Forschungen der >Geschichte der volkstümlichen religiösen Bewegung in Böhmen seit dem Toleranzpatente( (1893); leider ließ der bureaukratische Ehrgeiz Rezeks dieses aufschlußreiche Buch ein Torso bleiben. Der bedeutendste Schüler Rezeks und Golls, J 0 s e f Pe k a f, (geb. 1870) beerbte bald des ersteren Katheder; heute ist er der Führer der historischen Wissenschaft in Prag. Als ein ganz junger Mann beleuchtete er die verwickelten Irrwege der Waldsteinforschung ; dann beschäftigte er sich scharfsinnig und erfolgreich mit den ältesten Geschichtschreibern Böhmens und kam dabei zu wichtigen Resultaten; in der letzten Zeit legt er Grundsteine zur böhmischen Volkswirtschaftsgeschichte. Als vierzigjähriger Forscher, welcher nicht nur über eine vollendete Methode, sondern auch über eine klassische, männlich prägnante Sprache verfügt, vertiefte er sich in die Vergangenheit der Burg Kost in seinem Heimatwinkel bei Turnau in Nordostböhmen. So entstand ein fach· wissenschaftliches Buch, welches zugleich ein litterarisches Kunstwerk ist. Während Pekaf im ersten Teile in satten Farben und mit breitem Pinsel die adlige Gesellschaft des 17. Jahrhunderts malt, schildert er im zweiten die Untertanen dieser schönen und merkwürdigen Burg und stellt bahnbrechende Forschungen zu der böhmischen Wirtschaftsgeschichte an, die besonders unsere Kenntnisse über die Grundformen des Bauernlebens bereichern. - Der feste Boden der ethnographischen Beobachtung, auf den sich die cechische Dorfgeschichte stützen konnte, fehlte sonst durchaus dem Roman und der Novelle aus dem böhmischen sozialen Leben. Die Schriftsteller besaßen weder das genügende Verständnis fUr die Lebensformen und Daseinsgesetze des gesellschaftlichen Organismus noch den hohen kritischen Standpunkt, 25* - 388 -- von welchem aus sie imstande wären, ihre U mgebungen zu beurteilen. So verfielen sie allzu oft in langweiligste Trivialität, in nüchternste Genremalerei , in alberne kleinstädtische Klatschsucht; anstatt das Typische zu erfassen, verkleinerten und verwässerten sie die bunte Fülle des Daseins. Sehr betriebsam sind die Chronisten des kleinstädtischen Lebens in Böhmen. Sie stellen treu und minutiös das beschränkte Glück der Kleinstädter, ihre amüsante Albernheit, ihre kleine Lust und kleine Qual in humoristischen Novellen und satirischen Romanen dar. Sie geben eine ausführliche Chronik der Gemeindewahlen, der Vereinsmeierei, der politischen Ränke; sie lauschen aufmerksam an den Stammtischen in gemütlichen Bierstuben und bei Kaffeekränzchen ; sie interessieren sich für den albernen Klatsch über Taufen und Heiratsangelegenheiten , über die Fallissements der Vorschußkassen und der Fabriken, kurz, sie identifizieren sich mit dem vergnügten Völkchen, das sie stets mit Freundlichkeit und Nachsicht behandeln. Doch einen großen Meister der humoristischen Kleinkunst, der den liebenswürdigen Albernheiten dieser böhmischen Schildbürger Unsterblichkeit verleihen könnte, haben diese Seldwylaner noch nicht gefunden. Die kleinstädtischen Erzähler von heute wollen nur anmutige und lustige Unterhaltungslekture bieten, doch ein jeder tut es in eigenartiger Weise. Der ehemalige Apotheker Fra n t i s e k Herites (geb. 1851), der in dem umfänglichen Herbarium der menschlichen Charaktere und Verkehrtheiten gut Bescheid weiß, schildert mit wehmütigem Humor und mitleidigem Lächeln die erbärmliche Enge und tiefe Misere der Kleinstadt. Der frühere Volksschullehrer V ac1a v Stech (geb. 1859), der den verlogenen und unredlichen Kleinstadtpolitikern vergnügt, ja ausgelassen mit dem Bakel seiner übermütigen Satire Prügel erteilt, tut es mit niedriger Komik und mit marktschreierischem Pathos und überträgt diese fragwürdigen Mittel auch in das Gebiet des Lustspiels. Der vierschrötige, auf die Dauer unverdauliche Bauer aus der Elbeebene Kar e 1 Leg e r (geb. 1859), der auch äußerst weitschweifige fade Epen verfertigt hat, aber eine leichte, frische Prosa schreibt, bedient sich einer herben, unbarmherzigen Satire. Das Prager Genrebild, das seit Neruda brach lag, hat der typische Kleinstädter der cechischen Litteratur zu neuem Leben geweckt und zugleich aus dem Spießbürgertum eine ganze - 389 - humoristische Weltanschauung gebildet. Es ist Ignat Herrmann (geb. 1854), ein Self made man, der es von einem Ladenburschen zum Mitredakteur der ~Narodnf Listy~ gebracht hat. Herrmann verliebte sich förmlich in eine eigentümliche Klasse der Prager Bevölkerung: in Droschkenkutscher und Hökerinnen, gutmütige Trunkenbolde und hungernde Diurnisten , verkommene Kleinhändler und reich gewordene Handwerker, mißmutige Junggesellen und klatschsüchtige Vetteln, vergnügte Pflastertreter und berüchtigte Vagabunden aus dem Podskalakenviertel in Prag. Herrmann hat ihre Bewegungen, ihren Witz, ihren Jargon beobachtet und mit phonographischer Genauigkeit wiedergegeben; er hat sich sogar ihre vulgäre Moral, ihre billige spießbürgerliche Lebensphilosophie, ihre banause Verachtung jedes höheren Strebens, das ihnen als eitle Überspanntheit erscheint, angeeignet, und da er seine Skizzen, seine Erzählungen, seine Romanwerke mit einer gewissen Leichtigkeit der Sprache und des Stils, mit einschmeichelndem Humor, mit übermütiger Laune ausgestattet hat, wußte er das Durchschnittspublikum an sich zu reißen. In seinen »Prazske figurky« (»Prager Figürchen~, 1884 und 1886) und »Drobni lide« (~Unbedeutenden Menschen~, 1894) - ein anschauliches Bild der Herrmannschen Novellistik gewinnt der deutsche Leser aus den ~Ausgewählten Geschichten« (1908), die Annie Aufednfcek übersetzt hat -- zeigt er sich als gelehriger Schüler Nerudas; später verfaßte er einen breitangelegten Kaufmannsroman »U snedeneho kramu~ (»Zum aufgezehrten Laden~, 1890), wo er seine beschränkte Genretechnik zu realistischer Romankunst emporzuheben strebte; da wurde er von seinen Freunden zum Begründer des humoristischen Romans in der cechischen Litteratur ausgerufen. Doch Herrmanns Ruhm erreichte seinen Gipfel, als die Romanserie erschien »Otec Kondelik a zen ich Vejvara~ (~Der Vater Kondelik und sein Schwiegersohn Vejvara« 1898 und 1905, zwei Teile, deutsch von Luise Tluchof); in dem gutmütigen, gedankenlosen Spießer Kondelik und dem unbeholfenen Mustergatten und stillen Idealfatzken Vejvara, die in ihrer lächerlichen Selbstzufriedenheit und mit ihrer ganzen Sippe vor dem Publikum aufmarschieren, erblickte der Prager Bourgeois seine Apotheose, ähnlich wie der Berliner auf seine wackere Frau Wilhelmine Buchholz stolz ist. Bedauernswert dabei ist, daß die cechische - 390 - Litteratur, der es stets an bedeutenden Humoristen gefehlt hat, den Humor mit dem Maßstabe der Herrmannschen Komik Zu messen und nach seinem Muster zu beurteilen pflegt, und daß Herrmann bereits N achahmer gefunden hat. - Der cechische Gesellschaftsroman besaß allerdings die Bedingungen zu seiner eigentümlichen Entwicklung, doch diese mußten durch fremden Einfluß gelöst und in Bewegung gebracht werden; diese wichtige Rolle fiel dem russischen Roman zu. Schon früher wurde der russische Realismus der cechischen Litteratur nahegelegt. Havlicek führte Gogol ein, das Schrifttum unter Halek beschäftigte sich liebevoll mit Goncarow und Turgeniew, dessen ~Aufzeichnungen eines JägerS( eine tiefe Spur in der cechischen Prosa hinterließen. Nun aber wurde der russische Realismus, besonders wie ihn Tolstoj und Dostojevskij vorstellen, ein litterarisches Losungswort: ihre hellseherische Psychologie, die sich mit unbarmherziger Strenge in die dunkelsten Abgründe der Menschenseele einbohrt , ihre grausame Gesellschaftskritik, ihre erhabene Ethik, die das Christentum bis zu seinen letzten Konsequenzen durchdenkt und praktisch anwendet -- dies alles bewunderte man mit andächtiger Begeisterung. Eine vorzüglich redigierte ~Ruska knihovnac (~Russische Bibliothek(, seit 1886) brachte außer den genannten Klassikern Turgeniew, Goncarow, Tolstoj, Dostojevskij und Gogol auch die anregenden Werke von Pisemskij, Saltykow-Scedrin, Leskow; doch auch andere realistische Psychologen und originelle Denker wie Garschin, Cechov, Gorkij, Andrejev, Mere~kovskij wurden übersetzt und gelesen. Einige Schriftsteller, wie der Slavjanophile Jaromir Hrubj, der Globetrotter Pavel Durdik, der temperamentvolle Sturmvogel des Naturalismus Vilem MrsHk, widmeten ihre freien Stunden ausschließlich dem Übersetzen der russischen Meisterwerke; ja, auch russische Litteraturkritiker, Belinskij und Dobrojubov, fanden in Böhmen Beachtung. Kaum einer von den realistischen Erzählern in Böhmen hat sich von dem russischen Einfluß ferngehalten ; doch niemand hat ihn vielleicht so selbständig und organisch verarbeitet wie der fruchtbare Novellist Fra n t i s e k X. Sv 0 b 0 d a (geb. 1860). Der vollblütige gesunde Bauernsohn hat sich zuerst lyrisch als ein impressionistischer Landschaftsmaler und ein zarter, wenn wenig trockener Erotiker versucht; bald aber glaubt man in - 391 seinen Büchern den satten schweren Duft der neugeackerten Erdschollen zu riechen, den regelmäßigen, beruhigenden Rhythmus der Feldarbeit zu hören; die trockene und gereifte Lebensweisheit eines erfahrenen, wenn auch ziemlich beschränkten Dorfphilosophen spricht aus seinem Munde. F. X. Svoboda besitzt eine entschieden lyrische Begabung: seine Naturschilderungen sind zugleich plastisch und duftig; seine Stimmungsbilder sind zart, verträumt; seine Erotik, die sich mit Vorliebe mit den süßen und unbestimmten Regungen der ersten Liebe befaßt, ergreift trotz ihres sentimentalen und idyllischen Beigeschmackes. Seine Geschichten von aufwärtsstrebenden , energischen Bauern aus Mittelböhmen, in dem bereits moderne Lebensformen herrschen, überzeugen durch ihren männlichen Ernst und ihre objektive Sachlichkeit. Aus seiner ersten Periode ist ein großartiger sechsteiliger Roman ~Rozkvet« (~Der Aufschwung", 1888) zu nennen, wo der Dichter mit behaglicher Breite die Lebensgeschichte seiner eigenen Familie erzählt; noch höher stehen seine schönen Novellen, die ihre Weihe von Turgeniew empfangen haben; unter dem bezeichnenden Titel »Naladove povidky« (~Stimmungsvolle Erzählungen«, 1894) hat er sein bestes auf dem Gebiete der Novelle geboten. In der neuesten Zeit hat F. X. Svoboda seinen Stoffkreis erweitert: er schildert das reiche Prager Bürgertum, die emporgekommene Welt der Kaufleute und der Grundherren, wie sie mit der jüngeren Intelligenz in Verbindung treten. Ein kolossaler, teilweise ganz konventioneller Roman »Reka« (»Der Fluß«, 1909, vier Teile) gehärt zu dieser Gattung; in ihm treten auch Svobodas Mängel stark hervor: seine breite Formlosigkeit, sein Hang zu geschwätziger Plauderei, seine schematische Psychologie der erotischen Leidenschaft, sein altkluger Optimismus, sein nur ganz leicht verhülltes Spießbürgertum, das glaubt, alles, was es selbst nicht zu begreifen vermag, verwerfen und verurteilen zu dürfen. Svobodas Freund und Zeitgenosse M at e j An ast a s i a Simacek (1860-1913) hat mit ihm manchen Zug gemeinsam: auch er hat als lyrischer Poet, bei dem sich die Poesie zu sehr in die Dienste der Reflexion stellt, debutiert; auch er ist von kleinen Milieuschilderungen zu großen gesellschaftlichen Romanen, die den Einfluß der Russen verraten, übergegangen, auch er hat außer der novellistischen auch die dramatische Form benutzt - 392 - Doch weder Svobodas feiner Natursinn noch seine innige Liebe zum Landvolke ist bei Simacek zu finden; er gibt sich vielmehr als moderner Großstadtmensch. Simacek, ein ehemaliger Zuckerfabrikbeamter, wurde durch seine vortrefflich beobachteten Bilder aus dem Leben der Zuckerfabrikarbeiter und -beamten, wel~he der cechischen Prosa ein neues Gebiet erschlossen haben, berühmt, auch sind z. B. seine Erzählungen »U fezaceh (Bei der Schneidemaschine~, 1888) und »Duse tovarnyc (>Die Seele der Fabrik~, 1884) sehr lebendige, frische Werke. Nachdem er dann in einem ziemlich trostlosen Roman aus derselben Lebensspäre, »Otec" (»Der Vaten, 1891, deutsch von E. Vacano), das Dostojevskij-Problem von Schuld und Sühne verarbeitet hatte, suchte er nach einem neuen Stoffgebiete, einem neuen Milieu, wobei er ebenso seine bemerkenswerte Begabung für das moderne Gesellschaftsstudium wie einen nahezu peinlichen Mangel an Phantasie und dichterischer Weihe erwies. In seinen fünfbändigen »Zapisky phil. stud. Filipa KoNnkac (»Aufzeichnungen des phil. stud. Philipp KoNnekc 1892-1896), hat er den glücklich gewählten Rahmen der Lebenserinnerungen eines philosophisch beanlagten Hauslehrers benutzt, um eine sentimentale Pathologie des Prager Bürgertums zu geben, und um seine manchmal spießbürgerlichen Anschauungen über Liebe und Ehe, Gesellschaft und Nationalfrage sauber und gemeinverständlich klarzulegen. Er wurde dann in einer unerträglich süßen Novelle zum Anwalte der verführten Dienstmädchen, in einer faden, inhaltsleeren Erzählung wiederum zum Beichtvater der jungen weltunerfahrenen Lehrerinnen; verhältnismäßig spät hat er sein allereigenstes Gebiet der großen sozialen Romane gefunden, welche nach russischen Mustern psychologische Analyse mit gesellschaftlicher Pathologie verquicken. Seine »Svetla minulosti" (»Irrlichter der Vergangenheit", 1901), »Lacna srdce" (»Hungernde Herzen", 1904) und» Chci zit ! ~ (» Leben will ich ~, 1908) lassen, was die realistische Milieuschilderung, die analytische Ergründung der seelischen Probleme, die psychologische Untersuchung aller mitbestimmenden Faktoren betrifft, nichts zu wünschen übrig. Schmerzhafte und schwere Konflikte, in die fessellose Leidenschaften mit der öffentlichen Moral geraten, führt hier Simacek vor; doch wo er tragische Wirkungen beabsichtigt, bietet er nur peinliche Situationen; wo er philosophische Erklärungen zu geben glaubt, legt er nur einen - 393 mechanischen und materialistischen Determinismus an den Tag; etwas Schwerfälliges, Formloses, Unbeholfenes ist seinen anspruchsvollen Romanen immer eigen. Ein Schüler der Russen ist in seinen Romanen auch der kurzsichtige Kritiker und engherzige Moralist J 0 s e f Lai c ht e r (geb. 1864), ein weitschweifiger Prosaiker, bei dem die chronikartige Durchführung und das schwere moralische Pathos eine wunderliche Zwittergattung erzeugen; nur in rein stofflichem Interesse wurzelt die Popularität seiner Zeitchronik "Za pravdou« (Die Wahrheitsucher«, 1898, deutsch von R. Saudek), die das soziale und politische Reformtreiben der cechischen Jugend aus den neunziger Jahren schildert; künstlerisch bedeutet dieses Buch so viel wie nichts. Bei Simacek und Laichter, den tüftelnden Moralpredigern und schwermütigen Sozialkritikern, verschwimmen allzu oft die Konturen, verblassen nicht selten die Charakterzüge, verschwinden manchmal die eigentlich realistischen Merkmale; einen förmlichen Gegensatz dazu bildet der knorrige, urwüchsige Wurzelmensch aus dem Böhmerwalde, der barocke Journalist und naturalistische Erzähler K. M. Ca p e k (geb. 1860). Das Gebiet, welches er mit uneingeschränkter Sicherheit und suveräner Kraft beherrscht, ist die naturalistische Groteske: hier machen sich seine Neigungen zum psychologischen Experiment, sein feines Verständnis für die Abgründe des Innenlebens, seine intime Kenntnis der mannigfaltigsten Niederungen der Gesellschaft geltend, hier triumphiert seine Begabung, die gern die Wirklichkeit bis zur Karikatur verzerrt; hier hält sein reicher, verwickelter, anschaulicher Stil der verblüffend eigenartigen Darstellung Schritt. So hat K. M. Capek die erschütternde Maurertragödie seines »Kaspar Len, des Rächers« ("Kaspar Len, mstitel«, 1908) dargestellt, so hat er das trübe Ende des verbummelten Genies und Bohemiens Anton Vondrejc (1910 und 1912) hinreißend erzählt: zuerst bewundert der Leser nur die satte Darstellung des alltäglichsten Lebensausschnittes, dann spricht zu ihm Capeks eigentümliche Tragikomik mit köstlichstem Humor ausgestattet, endlich aber strömt zu ihm aus diesen Büchern, aus ihrem Staube und ihrer Qual die schmerzhafteste Menschlichkeit, die tiefste Innigkeit. Als ein weibliches Analogon zu M. A. Simacek ist Frau B ozena Vikov a- K uneti cka (geb. 1863) zu bezeichnen. 394 Auch bei ihr verbindet sich das moralkritische Pathos mit der sozialen Psychopathologie; doch während M. A. Simacek seine Werke fern von jeder Tendenz zu halten wußte, ist Frau B. Vikova- Kuneticka, der erste weibliche Abgeordnete in Böhmen, eine leidenschaftliche Frauenrechtlerin, die ihre Novellistik zu eifrigster feministischer Propaganda benutzt. Von ihren ersten Arbeiten auf dem Gebiete der kurzen Erzählung und des Romans läßt sich im ganzen nichts sagen: es sind fleißige, von der landläufigen Konvention nirgends abweichende schriftstellerische Handarbeiten, für die sich unter den Abonnentinnen der Familienblätter immerhin dankbare Leser gefunden haben. In einigen beschäftigt sich die Schriftstellerin schon mit verwickelten sexuellen Problemen, die sie mit einer naiven Einseitigkeit und einem entschiedenen Moralismus behandelt; bald aber warf sie die mit Geschick beherr~chte und gut unterhaltende Romanform ganz weg, um ihres Anklageamtes gegen die Männerherrschaft und Männermoral uneingeschränkt zu walten. Ihre Bücher, wie der in einer dumpf sinnlichen Atmosphäre atmende Lehrerinnenroman «Medficka« (1897) oder »Vzpoura« ()Aufruhn, 1900), ein wildpathetisches Bekenntnisbuch einer sich befreienden jungen Mutter, oder endlich »Pan« (»Der Herr«, 1906), ein verzweifelt und sinnlos stammelndes Werk von geschlechtlicher Reinheit im Björnsonstil, sind leidenschaftliche Konfessionen, gallerfüllte Proteste, lyrisch-epische Improvisationen mit ganz spärlicher Handlung. Die Moralisten und Sozialkritiker werden diesen Werken für manche fruchtbare Anregung Dank wissen; die litterarische Kritik muß jedoch nur konstatieren, daß hier ein großer Aufwand von psychologischer Analyse, üppiger Wortkunst und lyrischem Pathos schmählich vertan worden ist. Den bösen Geist der Schwere, der die sämtlichen Werke von Simacek, Laichter und Kuneticka beherrscht und wohl der russischen Beeinflussung anzurechnen ist, hat der bewegliche Franzosenschüler Vaclav Hladik (1868-1913) mit einer entschiedenen Überzeugung bekämpft und aus seiner Romanproduktion verbannt. In seinen ersten realistischen Skizzen und Novellen bemühte sich Hladik als scharfer Beobachter und kundiger Psychologe die Prager Kaufmannswelt , den Prager Geldmarkt, das Prager Bankwesen zu schildern; schon damals sah er das fieberhafte Großstadtleben mit geckenhafter Ironie, - 395 zynischem Sensualismus, verachtendem Blick des blasierten Weltmannes. Wiederholte Reisen nach Frankreich, eifrige Beschäftigung mit der Pariser Boulevard-Litteratur, verzweigte Verbindungen mit der politischen Welt, wo er als geschickter Journalist warme Aufnahme fand, oberflächliches Studium der modernen Philosophie, liebhaberische Neigungen für die bildenden Künste erweiterten seinen Gesichtskreis, verschärften seinen Blick, verfeinerten seinen Stil. Von nun an verfolgte Hladik, der viel, aber immer flüchtig arbeitete, höhere Ziele. Er wollte den Prager Roman, der unter der kleinstädtischen Geistesenge der cechischen Novellisten zu leiden hat, und der sich in den niederen Schichten der Prager Bevölkerung zu bewegen pflegt, nun auf ein höheres gesellschaftliches Niveau heben, ihn mit Pariser Eleganz und kosmopolitischen Farben ausstatten und einen leichten, sprühenden, funkelnden Konversationston für ihn schaffen. Mit diesen Bemühungen konnte er sich auf einen älteren, allerdings etwas vergessenen Vorgänger berufen, auf den geistreichen, paradoxen, ironisch beanlagten Ja n Li er (geb. 1852); dieser konsequente Kosmopolit und schonungslose Feind des cechischen Spießbürgertums persiflierte in einem leichten feuilletonistischen Stil die böhmischen Schildbürger und schilderte ironisch die Prager Bourgeoisie. Doch Lier verstummte plötzlich, sein Gebiet lag ganz brach, und auch das Genre, das er souverän ganz beherrcht hatte, die scharf pointierten Erzählungen aus dem Leben der Eisenbahnbeamten, fand nach ihm keinen Be- arbeiter mehr. . So errang Hladik mit seinen Romanen »Vasen a sila« (»Leidenschaft und Kraft«, 1902), )Evzen Voldan« (1905), »Valentinovy ieny« (Valentins Frauen«, 1906), ) Vlnobiti« (»Der Wellenschlag«, 1908) und »Dobyvateh~« ()Eroberer« , 1910, deutsch von Viktor Neßler) einen großen äußerlichen Erfolg; doch immer deutlicher wurden die tief eingreifenden Fehler seiner Werke ersichtlich: keiner von diesen Romanen hielt, was er versprochen; auf eine fesselnde und inhaltsreiche Exposition folgte eine lückenhafte Handlung, die aus bunten Liebesabenteuern und seichten Dialogen zusammengesetzt war, und endlich eine gewagte, schroffe, vom Autor kaum vorbereitete Katastrophe. Dieselben Charaktere kehrten unter anderen Namen in allen Romanen Hladfks wieder; die Liebespsychologie zeigte eine bedenkliche Einseitigkeit, einen - 396 ganz oberflächlichen Sensualismus, einen kokett femininen Zug; die Eleganz war verlogen und oft ganz sinnlos; neben Balzac und Flaubert, die Hladik oft verherrlicht, ließ er sich auch von Ohnet und vom späteren Bourget beeinflussen; der leichte Konversationsstil verschmähte auch die billigsten feuilletonistischen Floskeln nicht - so hat den ehrlich aufwärts strebenden Romanpsychologen der nach Erfolg haschende Modeschriftsteller verdrängt. - Die Entwicklung des cechischen realistischen Dramas geht mit der Geschichte des Realismus im Romane und in der Novelle Hand in Hand; ja, es tauchen hier dieselben Namen auf. Doch hier wurde kein bedeutendes Werk geschaffen, das sich fremde Bühnen erobern und dadurch seine Wirksamkeit erproben könnte; auch das Beste, was auf dem Gebiete des realistischen Schauspieles hervorgebracht wurde, war nur von lokaler Bedeutung oder nur in seiner Entwicklungsreihe beachtenswert. Fremde Einflüsse, wie der russische Realismus, das Ibsensche Drama, die deutsche naturalistische Schule, zeitigten fast keine Früchte in der cechischen Bühnendichtung, wiewohl die Kritik die fremden dramatischen Reformer kundig und liebevoll interpretierte und das cechische Theaterpublikum für das Verständnis derselben allmählich erzogen wurde. Selbst die Schauspieler, die für ihre realistischen Rollen eingehende Studien im Leben machen und zahlreiche Vorbilder finden konnte, taten hier ihr möglichstes. Als die cechischen Dramatiker ethnographische Genrekunst, volkstümliche Kleinmalerei bevorzugten, besaßen sie in J i n d f ich Mosna (1837-1911), einem genialen Komiker, den besten Darsteller für Originale aus dem Volke, der seine altertümlichen Figuren mit packender Kraft und eigenartigem Humor vorführte; unter den jüngeren Künstlern fand besonders Frau M a r i e H ü b n e r 0 v a (geb. 1865) für die derben Frauengestalten des realistischen Dramas packend menschliche Töne. Endlich wußte Frau Hana Kvapilova (1860-1907), ein sehr kompliziertes modernes Frauenwesen in der Art von Eleonora Duse oder Agnes Sorma, mit ganz erstaunlicher psychologischer Tiefe und taufrischem, lyrischem Zauber die Leidensgeschichte des Weibes und seine sehnsüchtigen Träume von neuer Schönheit und Herrlichkeit des Lebens zu interpretieren; aber als sie sich zu einer Monumentalität, ja klassischen Schönheit der Darstellung er- 397 hoben hatte, verwehte sie der Tod wie ein scheues Frühlingsmärchen. Noch tief in die achtziger Jahre hinein galt die große historische Tragödie mit vaterländischem Stoffe für die höchste dramatische Leistung; auch der beste Realist des cechischen Dramas, Lad i s 1 a v S t r 0 u p e z nie k j (1850-1892), ein Dramaturg des Nationalen Theaters in Prag, versuchte sich in dieser schwierigen Kunstform ; doch hier blieb ihm der Erfolg für immer versagt. Dann schrieb er einige historische Lustspiele aus dem 16. und 17. Jahrhundert, wie den »Zvikovsky rarasek4: (»Kobold von Klingenberg« , 1883) und ~Pani mincmistrova~ (» Die Frau Münzmeisterin «, 1885), wo er das archaistische Zeitkolorit, den anmutigen Zauber der Vergangenheit, die pittoreske Eigenart der böhmischen Spätrenaissance ganz meisterhaft zu treffen wußte. Noch größer wurde sein Erfolg, als er diese genrehafte Kleinkunst, diese satte Milieuschilderung, dieses fleißige Ausarbeiten von originellen Figürchen, diesen saftigen, witzigen Humor in einem Dorfschauspiele aus seiner südböhmischen Heimat anwandte, das er sehr bezeichnend »Unsere Dorffurianten« (»Nasi furianti ~, 1887) benannt hatte: eine bunte Fülle von Figuren, ein rasches Nacheinander von lebhaften Volksszenen, ein übersprudelnder Reichtum von humoristischen Einfällen verdecken die etwas possenhafte, übrigens keineswegs ganz originelle Motivierung, so daß dieses frische Volksstück in der cechischen Litteratur einen ähnlichen Platz einnimmt wie Kleists ~Zerbrochener Krug« in der deutscher Lustspieldichtung. Stroupeznicky betrachtete dieses Stück selbst als eine bloße Episode, welche die Ausführung seines Lieblingsplanes, eines Dramas im großen Stile, nur verzögerte; zugleich sah er jedoch ein, daß er diesen großen Stil nicht im historischen Drama, sondern vielmehr in einem Schauspiele aus dem Volksleben zu suchen habe. Von seinen beiden größeren Anläufen dazu hat der eine unter der allzu dick aufgetragenen Tendenz zu leiden, der andere aber »Na Valdstejnske sachte~ (»Auf dem Wallensteiner Schacht~, 1893) steht dem modernen Sozialdrama mit einem bedeutenden Helden und belebten Massenszenen schon ganz nahe; doch die Hand, die an diesem großzügigen Werke arbeitete, war die eines Sterbenden. Auf der Bahn, die Stroupeznicky gewiesen, bewegen sich - 298 - auch die im eingehenden ethnographischen Studium fußenden Dramen von Ga briela Preissova, Alois J irasek und den Brüdern Alois und Vilem M dtik: eine Liebestragödie aus dem slowakischen oder ostböhmischen Dorfe steht gewöhnlich in der Mitte, um sie gruppieren sich dann bunte Volksszenen, und wilde Ausbrüche der Leidenschaft durchzittern die Luft. Leider blieben diese Dramatiker, deren Bedeutung auf dem Gebiete der Novelle liegt, bei ganz vereinzelten Versuchen stehen; nur Jirasek schrieb mehrere bereits erwähnte Dramen. Bedeutend tiefer stehen zahlreiche Lustspiele aus der cechischen Kleinstadt, die mit den kleinstädtischen Erzählungen parallel laufen; von diesen derben, mittelmäßigen Komödien, die Kar e 1 Pi p p ich, Va cl a v S t e c hund J 0 s e f S t 0 1 b a zu Verfassern haben, führt nur ein Schritt zu der Posse, wie sie die Vorstadtsszenen mit Vorliebe pflegen. Die realistischen Gesellschaftspsychologen F. X. Sv 0 b 0 da, M. A. Simacek und Vaclav Hladik verfolgen in ihren Dramen dieselben Ziele wie in ihren Romanen. Ein schlichtes Lebensbild aus der Gegenwart mit allen Attributen des Alltags auf die Bühne gestellt, benutzen sie dazu, um eine soziale These zu beweisen, ein allgemeines Gesetz zu illustrieren, eine ethische Maxime darzulegen. Beliebte Themen sind Familienuntergang, krankhafte Unfähigkeit, die Last der Verhältnisse zu ertragen, ein allmähliches Hinsiechen der Lebenskräfte ; dabei ist ihre Psychologie nicht selten schwerfällig, verschwommen und ermüdend. Die letzten, vielfachen Versuche der jüngeren cechischen Dramatiker aus den letzten Jahren, den passiv beschreibenden Realismus zugunsten einer männlich tragischen Kunst zu überwinden, sind in dem Zusammenhange mit der großen Umwälzung der neuesten cechischen Dichtung zu besprechen. Siebzehntes Kapitel. Der Kampf der Kritik und der Poesie um neue Lebenswerte. Das Ende des 19. Jahrhunderts in Böhmen wird durch einen geradezu dramatischen Kampf zwischen Vätern und Söhnen charakterisiert; zwei grundverschiedene Weltanschauungen prallen hier mit bisher unbekannter Heftigkeit aneinander. In dem einen Lager blicken selbstzufriedene Traditionalisten und bequeme Konservative stolz zu dem bereits erworbenen wissenschaftlichen Gut und zu dem vollends abgeschlossenen Lebenswerke der nationalen Wiedergeburt empor und reihen sich epigonenhaft an die Kulturarbeit ihrer Vorgänger an, wobei sie mit seichtem Eklektizismus und oberflächlichen Kompromißgeist alle Gegensätze zu versöhnen suchen. Ihre Widersacher, welche die Jugend an ihrer Seite haben, sind dagegen scharfe Skeptiker, unbarmherzige Analytiker, grausame Kritiker, mutige Neuerer, die alle Probleme der modernen Zeit zu Ende denken, alle, auch die schmerzlichsten Fragen der Gegenwart aufnehmen und ehrlich zu beantworten streben, alte Werte umwerten, den bisher allgemein anerkannten Ideeninhalt der nationalen Existenz revidieren und nach neuem, tiefem Verhältnisse zum Auslande forschen. Wie der große Kampf der beiden Generationen sein Vorspiel in dem bedeutungsvollen gelehrten Streite um die Echtheit der Königinhofer und Grünberger Handschrift hatte, so findet die wesentliche Scheidung der cechischen intellektuellen Welt ihr Vorbild der Trennung der wissenschaftlichen Organisationen. Im Jahre 1882 wurde die utraquistische Universität in Prag, die dem öffentlichen Bedürfnisse nicht mehr entsprach, geteilt und dadurch wurde die altertümliche cechische Hochschule, deren 400 -- Geschichte bis zu Karl IV. reicht, zu neuem Leben erweckt. Ihre bedeutendsten Lehrkräfte gehörten der jüngeren wissenschaftlichen Generation an und übten auf die akademische Jugend einen großen Einfluß aus. Es war neben den Protagonisten der neuen Gelehrtenschule Gebauer und Masaryk und den ehemaligen Anhängern des Lumirkreises Goll und Hostinsky besonders der scharfsinnige Altphilologe J 0 s e f Kr a 1 (geb. 1853), welcher seine umfassende Gelehrsamkeit und seinen kombinatorischen Spürsinn der Erforschung der prosodischen Erscheinungen widmete; der vorzügliche Pnysiker August Seydler (1849 -1891), der geistreiche Begründer der Nationalökonomie in Böhmen J 0 s e f Kai z 1 (1854-1893), der später österreichischer Finanzminister wurde, und der bereits erwähnte Historiker Antonin Rezek. Dagegen waren die wissenschaftlichen Vertreter der älteren Richtung an der Universität als strenge Machthaber und jedem Fortschritte unzugängliche Konservative bekannt, denen auch die ehrlichen Bestrebungen der jüngeren Politiker durchaus unsympathisch waren. Zu ihnen gehörten neben dem immer mehr verknöchernden Philosophen der Herbartsehen Richtung Josef Durdik und dem starren, reaktionären Historiker V. V. Tomek auch der seichte Slawist Martin Ha ttala (1821-1903), dessen langes Leben in wissenschaftlicher Klatschsucht und zügelloser Polemik zerrann, weiter der anspruchsvolle Graecist Jan Kvicala (1834-1908), welcher zwar immer neue Fachwerke versprach, aber anstatt dessen nur Ränke schmiedete, der selbstgefällige, vielfache Würdenträger Franti ?lek Josef Studnicka (1836-1903), der sich als vielseitiger Popularisator fremder Forschungen in der Mathematik, Astronomie und Geographie bekannt gemacht hat, und endlich die bedeutenden Juristen Antonin Randa (geb. 1834) und Emil Ott (geb. 1845), die allzu früh jede Fühlung mit ihrer Zeit verloren haben. Erst viel später hat auch dieses konservative Lager dem öffentlichen Leben in Böhmen anregende Persönlichkeiten und führende Geister geschenkt; an ihrer Spitze stehen die bei den Erben der Traditionen der Familie PalackyRieger, die verschwägerten Gelehrten Albin Braf und Bohus Rieger. Der geistessprühende , unruhige und witzige Nationalökonom Albin Braf (1851-1912) machte seine organisatorische Begabung ebenso auf dem Katheder als auch in den Zeitungen - 401 in dem Agrarministerium geltend; stets war sein Augenmerk auf die volkswirtschaftliche Hebung und Aufklärung der cechischen Nation gerichtet. Im Gegensatze zu diesem aktuellen Politiker beschäftigte sich Bohus Rieger (1857-1907), ein Enkel Palackjs, Historiker und Rechtsgelehrter zugleich, planmäßig mit der Erforschung der Vergangenheit; besonders zog seinen klaren und ruhigen Geist die Geschichte des böhmischen Staatsrechtes an. Im Jahre 1890 wurde durch reiche Stiftungen des bekannten Mäcen Josef Hlavka die »Cechische Akademie für Wissenschaft, Litteratur und Kunst« gegründet, die sich bald als ein festes Bollwerk des wissenschaftlichen Traditionalismus und des gelehrten Konservativismus zeigte. Auch in der Litteratur, die hier ebenfalls gepflegt wird, vertrat sie den streng offiziellen und hoch konservativen Standpunkt, so daß ihr inneres Leben einem neuen Daudet als vorzüglicher Vorwurf für einen neuen »Immortel ~ dienen könnte; erst in der allerletzten Zeit dringen in ihrer Tätigkeit auch fortschrittlichere wissenschaftliche Tendenzen durch. - Will man also die litterarischen Verhältnisse in Böhmen in den neunziger Jahren verstehen, so darf man keineswegs die komplizierte Entwicklung der gleichzeitigen cechischen Kritik und litterarischen Polemik unberücksichtigt lassen. Während in der unmittelbar vorangehenden Zeit der Kritik eine ganz untergeordnete Stellung außerhalb des dichterischen Schaffens angewiesen worden ist, hat sie sich in dieser Periode die führende Macht ertrotzt und erkämpft. In den achtziger Jahren machte sich Sv. Cech über die Kritiker in witziger und anmutiger Weise lustig, und J. Vrchlickj, trotzdem er selbst wertvolle kritische Studien veröffentlichte, ließ fast in jeder seiner Gedichtsammlungen Aussprüche drucken, die dem üblen Goethewort »schlagt ihn tot, den Hund, es ist ein Rezensentc an Heftigkeit und Verachtung kaum nachstehen. Jetzt dagegen wurde der führende Dichter J. S. Machar selbst zum Kritiker, und keiner von den Litteraten war so einflußreich wie der scharfsinnige Kritiker F. X. Salda. Auch in dem modemen cechischen Zeitungswesen darf der Einfluß der kritischen Bewegung nicht in Abrede gestellt werden. Die neueren Journalisten stellen sich auf den Standpunkt der kritischen Prüfung des gesamten Nationallebens, sie gehen der überflüssigen Begeisterung aus dem Wege, ]akubec-Novak, Cechische Litteratur. 26 402 - sie decken mit Vorliebe die Schäden der Öffentlichkeit auf, sie schonen weder populäre Persönlichkeiten noch volkstümliche Vorurteile. Dabei bedienen sie sich einer knappen, nüchternen, manchmal ironischen Redeweise, und da sie die breitesten Volksschichten berücksichtigen müssen, streben sie die möglichste Klarheit und Schlichtheit des Ausdrucks an. So haben diese Zeitungsschreiber , zu welchen sich gelegentlich auch der Philosoph Masaryk und der Dichter Machar gesellen, den älteren phrasenhaften jungcechischen Journalismus gänzlich überwunden; doch ihr kritischer Grundzug hat sie zu neuen Fehlern verführt: zum selbstgefälligen Besserwissen , zum griesgrämischen Puritanismus, zur öden Nüchternheit. Es wäre wirklich schwer, analoge Beispiele dafür aus der Weltlitteratur anzuführen, daß der Kritik eine ähnlich wichtige Stelle in der Litteratur zugefallen wäre wie hier; vielleicht nur in der jungdeutschen Periode und in der Sturm- und Drangzeit des russischen Realismus unter Belinskij war poetische Produktion mit kritischer Tätigkeit so unzertrennlich verbunden. Als Vorbote der neu zu schaffenden litterarischen meldete sich die philologische Kritik, die einen äußerst wichtigen wissenschaftlichen Streit auskämpfen sollte. Im Jahre 1886 bewies der bereits angesehene Slawist Jan Gebauer die Unechtheit der Königinhofer und Grünberger Handschrift, dank seiner eingehenden Kenntnis der altböhmischen Sprachperiode und seiner minutiösen philologischen Kritik, wobei er von einer ganzen wissenschaftlichen Schule unterstützt wurde. Diese auf sicherster wissenschaftlicher Grundlage beruhende Entdeckung wirkte im cechischen öffentlichen Leben wie ein Torpedo unter einem Schiffe. Konservative Gelehrte und radikale Politiker, schlecht unterrichtete Grammatiker und veraltete Historiker, naive Dichter und phrasenhafte Zeitungsschreiber, pedantische Schulmänner und vaterländische Vereine wurden von den Anhängern der Echtheit der beiden fraglichen Denkmäler ins Feld gerufen; die Parteigenossen Gebauers und Masaryks wurden als Verräter der cechischen Nationalsache gebrandmarkt, die moderne wissenschaftliche Kritik wurde als unseliges Danaergeschenk verurteilt, in den führenden Zeitschriften wurde das gefährliche Vorrecht der nützlichen Lüge und des frommen Betrugs schamlos reklamiert. Doch aus diesem Kampfe, der die cechische Nation in zwei - 403 - feindliche Lager geteilt hat, wurde die moderne cechische Sprachwissenschaft und Litteraturgeschichte geboren. Der Begründer der ce chis ehen Sprachkunde im modernen Sinne, der Prager Universitätsprofessor Jan Gebauer (18381907), war kein Jüngling mehr, als ihn die wissenschaftlichen Verhältnisse zum Führer der modernen Gelehrtengeneration machten. Von seiner Jugend an, die noch unter Miklosichs und Steinthais Einflusse stand, beschäftigte sich Gebauer, dessen unermüdliche Arbeitsamkeit vielleicht nur mit dem unheimlichen Fleiße eines Tomek zu messen wäre, mit der Geschichte der altböhmischen Sprache und Litteratur, die seit Safafik brach gelegen war. Wie Palacky die politische Vergangenheit Böhmens geschildert hat, so wollte Gebauer die sprachliche Geschichte seines Volkes auf breiter Grundlage und in umfassender Darstellung schildern, wobei, ähnlich wie bei Palacky, die älteren Perioden besonders berücksichtigt werden sollten: unzählige Handschriften mußten vorgenommen, Tausende und Abertausende von sprachlichen Belegen notiert, untersucht, geprüft, ältere grammatische Resultate streng revidiert werden. So sah sich Gebauer auf einmal genötigt, auch die beiden verdächtigen Handschriften vorzunehmen, und was nur eine unwesentliche Episode seiner planmäßigen Forschung werden sollte, wurde zum Ausgangspunkte einer neuen Anschauung über das Wesen der altböhmischen Sprache und die Anfänge der altböhmischen Litteratur. Aus Gebauers lebenslänglicher Beschäftigung mit der altböhmischen Sprache entstanden seine beiden monumentalen Werke, die leider unvollendet geblieben sind, seine ~ Historicka mluvnice jazyka ceskeho« (>Historische Grammatik der cechi •. sehen Sprache«, 1894-1898, drei Teile) und sein »Slovnik starocesky« (»Altböhmisches Wörterbuch«, 1901-1908, etwa eine Hälfte des ganzen Werkes, das allerdings fortgesetzt wird). Mit der treffsicheren Methode der vergleichenden Sprachwissenschaft bewältigt hier Gebauer das gesamte, alt böhmische Sprachmaterial, ordnet es mit eiserner Logik, erklärt es mit scharfsinnigem Sprachverständnis. Diese Werke, die an die beiden monumentalen Schöpfungen Jakob Grimms mahnen, gehören zu den schönsten Früchten des wissenschaftlichen Positi vismus, des streng objektiven Realismus, einzig dastehender Wahrheitsliebe; in seiner nervösen, hastigen Zeit i~t Gebauer immer ein ruhiger Epiker der Tatsachen geblieben. 26* - 404 - Gegenwärtig zehrt die Sprachwissenschaft in Böhmen von dem großen Vermächtnisse Gebauers: altböhmische Sprachdenkmäler werden gründlich studiert und herausgegeben; die älteren Phasen der Sprache werden untersucht und deskriptiv behandelt; die Erforschung der Mundarten, die Bartos so eifrig gepflegt hat, liegt zurzeit brach. In der allerletzten Zeit trifft die »Cechisehe Akademie« Anstalten zu einem groß angelegten »thesaurus linguae bohemicae«, welcher besonders die lebendige Sprache und den Wortschatz der neueren Schriftsteller erscMpfend bearbeiten will. Die führende Rolle bei diesem monumentalen Unternehmen fällt den beiden Sprachforschern an der ce chis ehen Universität zu: dem Slawisten aus der Jagic-Schule Frantisek Pastrnek (geb. 1853) und dem tiefsinnigep. Meister der vergleichenden Methode J 0 s e f Zu bat y (geb. 1855). Die jüngsten Philologen behandeln mit Vorliebe die heiklen Probleme der Phonetik und bewegen sich gern auf dem verlockenden Gebiete der vergleichenden Sprachwissenschaft. Nach dem großen Handschriftenstreite ist Gebauer, der früher auch litterarische Forschungen trieb, nicht mehr dazu gekommen, die Ergebnisse der neuen wissenschaftlichen Anschauung litterarhistorisch zu verwerten und eine planmäßige Revision der altböhmischen Litteratur durchzuführen; diese ebenso verlockende als schwierige Aufgabe ist seinen Schülern zugefallen. Die meisten .Forscher behandeln einzelne Perioden des älteren Schrifttums ganz monographisch; bei einigen war die Analyse der Litteraturdenkmäler nur eine Vorstufe zur Erforschung des historischen Zusammenhanges: die kamen meitsens aus der Schule Jaroslav GoUs her. So verdanken wir dem strengen Philologen An ton f n Ha v I f k (geb. 1855) vorzügliche Untersuchungen tiber die Anfänge der altcechischen Dichtung; einem anderen Schüler und Fortsetzer Gebauers, Emil SmeHnka (geb. 1875) Spezialarbeiten über den Ahnherrn der Brüderunität ChelcickY. So hat der aufschlußreiche, kundige, aber flüchtige Vielschreiber Vaclav Flajshans (geb.1866) sowie der gründliche und nüchterne Historiker V a c I a v N ovotny (geb. 1869) das verwickelte Schrifttum des Hussitentums untersucht; die spätere Periode der religiösen Litteratur in Böhmen wird durch den sehr soliden Geschichtsforscher KamiI Krofta (geb. 1876) geprüft und dargestellt. Das ge- 405 samte Gebiet der cechischen Litteratur beherrscht aber ein einziger Kenner, der Universitätsprofessor Ja r 0 s I a v V lee k (geb. 1860). Durch seine »Dejiny ceske literatury« (~Geschichte der cechischen Litteratun, seit 1892, bisher unvollendet), wo er sich auf den Standpunkt der vergleichenden Litteraturforschung zu stellen und die gesamten litterarischen Erscheinungen aus den kulturellen Lebensbedingungen zu erklären wußte, hat Jaroslav Vlcek eine neue Schule gegründet. Als glänzender Porträtist und zugleich als Meister der satten Milieuschilderung berührt sich Vlcek, der sich auch als ein besonders guter Kenner des slowakischen Schrifttums erwiesen hat, mit Jaroslav Goll; doch dessen feine Ironie, dessen seltenen philosophischen Fernblick und künstlerisch geschliffenen Stil besitzt Vlcek nicht. Da er gern großen Zeitströmungen nachgeht, besser wissenschaftliche als künstlerische Erscheinungen erfaßt, den ideellen Zusammenhang des nationalen Schrifttums mit der Weltlitteratur aufzudecken versteht, war er wie keiner dazu berufen die Geschichte der cechischen nationalen Wiedergeburt auf vergleichender Grundlage zu schaffen; hier ist er ein Bahnbrecher gewesen. Er wußte auch vortreffliche Mitarbeiter an sich zu fesseln, die ihn mit monographischen Untersuchungen unterstützt und vervollständigt haben; von denselben will ich seine drei Kollegen auf der Universität Jan Machai (geb. 1855), Jan Jakubec (geb. 1862) und J 0 s e f Ha n u s (geb. 1862) nennen, welche sich ebenfalls mit der Litteratur der Wiedergeburt eingehend bp.schäftigen; die Periode von Halek und Svetla hat ihren Monographisten in Leander Cech (1854-1911) gefunden. Gebauers Werke decken sich ganz mit seiner Persönlichkeit; Gebauers Kampfgenosse Tomas Garrigue Masaryk (geb. 1850) wirkt dagegen immer mehr durch eigenartige Kraft und originellen Zauber der Individualität als durch seine Bücher. T. G. Masaryk ist eine äußerst komplizierte Erscheinung: seinen slowakischen Ursprung, der sich in seinem ganzen Auftreten kundgibt, hat er nie verleugnen wollen noch können; dazu treten tiefgreifende Einwirkungen der russischen und englischen Kultur und Litteratur hinzu, die er dem vorherrschenden französischen und deutschen Einfluß gegenüber betont; doch sein in der positivistischen Philosophie geübter Geist - als Noetiker empfiehlt T. G. Masaryk die Rückkehr zu Hume, als Soziologe hängt er - 406 eng mit Comte zusammen - brachte auch der religiösen Bewegung in der protestantischen Welt ein tiefes Interesse entgegen. Als philosophischer Schriftsteller und akademischer Lehrer, der seine Zuhörer zu sich als ein geistiger Rattenfänger von Hameln zu locken wußte, pflegte Professor T. G. Masaryk mit ausgesprochener Vorliebe Ethik und Noetik, Geschichtsphilosophie und Soziologie. Bereits bei seinem ersten Auftreten, dem ganz abenteuerliche Gerüchte vorangingen, brachte der junge Dozent mit den tiefen Augen und mit der weichen slowakischen Aussprache die ganze böhmische Welt in Gärung, und sogleich bildete sich eine Partei für ihn, eine andere gegen ihn. Zuerst wurde er als ein überaus glücklicher und anregungsreicher Organisator der wissenschaftlichen Arbeit in Böhmen bekannt und geschätzt: er begründete zwei kritische Revuen großen Stiles; er beteiligte sich an den Vorarbeiten zu der großen Enzyklopädie »Ottuv Slovnik nauc.nj«, die in den Jahren 1888-1910 in dem rührigen Verlage J. Ottos als achtundzwanzigbändiges Werk erschienen ist; er hat dem Handschriftenstreite, der unter Gebauer nur eine streng wissenschaftliche Fachangelegenheit geblieben wäre, eine allgemein nationale Bedeutung angewiesen; auch der jungcechischen Politik ist er nicht fern geblieben. Seine großen Hauptwerke »Zakladove konkretni logiky« (»Grundzüge einer konkreten Logik«, 1885, deutsch von H. G. Schauer) und »Socialni otazka« (»Die philosophischen und soziologischen Grundlagen des Marxismusc, 1898, deutsch 1899), die sich eines Weltrufes erfreuen, berechtigten T. G. Masaryk, welcher sich gern als ein Geist gab, der stets verneint, zu geringschätzender Aburteilung über die bisherige cechische Wissenschaft und Philosophie, welche sozialen Fragen und ethischen Problemen stets schüchtern ausgewichen war. In seinem Innern mächtig von der moralen und religiösen Krisis des materialistischen und indifferenten Zeitalters ergriffen, ist Masaryk als mutiger Vorkämpfer der öffentlichen Sittlichkeit und des ethischen Gewissens aufgetreten, worin er sich mit Carlyle, Björnson und Egidy berührt. Von diesem Gesichtspunkte aus verurteilt er den Eklektizismus in der Litteratur und den dekadenten Dilettantismus in der Kunst, zu der er übrigens in keinem eigentlichen Verhältnisse steht; weder der französische Naturalismus noch die Romantik konnten dem Verehrer von Tolstoj und - 407 - Dostojevskij sympathisch sein, und der unduldsame Eifer des einseitigen Moralisten konnte sich mit Renan, dessen Geist aus Frankreich in die moderne cechische Litteratur vielfach übergegangen ist, keineswegs vertragen. Eine kritische Revision des nationalen Lebens war für Masaryk mehr als ein lautes Programmwort ; es war für ihn vielmehr ein Teil seiner Lebensaufgabe. In der böhmischen Reformation, vorzugsweise in der Brüdergemeinde, fand seine ausgesprochen protestantische Denkart den eigentlichen Sinn der cechischen Geschichte; ja, auch in der Wiedergeburt des cechischen Volkes, die doch eine fast ausschließlich nationalromantische Bewegung war, erblickte er philosophisch-religiöse Ideen der Reformation, an die er dann die Gegenwart unmittelbar anknüpfen wollte. Diese zuweilen ganz wunderliche Hypothesenkonstruktion stieß auf allgemeinen Widerspruch der Fachgelehrten; Masaryks anregungsreiche , wenn auch durchaus einseitige Bücher über dieses Thema: ~ Ceska otazka« (>Die cechische Frage«, 1895) und »Karel Havlieek« (1896), förderten jedoch ungemein das Studium der cechischen Wiedergeburt. In der letzten Zeit wird Masaryk, der um sich eine selbständige politische Partei, die sogenannten :» Realisten«, versammelt hat, von der politischen Agitation und dem Journalismus zu sehr in Anspruch genommen; er erstarrt immer mehr und verliert auch allmählich jede Fühlung mit dem wissenschaftlichen und litterarischen Leben; auch seine eminent kritische Begabung und sein vorzüglicher sozialpsychologischer Scharfsinn scheiterten an der Klippe eines engherzigen Moralismus und eines gewaltsamen Freidenkertums. So ist T. G. Masaryk die führende Rolle in der cechischen Philosophie nach Josef Durdik zugefallen, doch hat er sie ganz anders als dieser ehrwürdige Herbartianer aufgefaßt. Da er ein unruhiger Problematiker ist, pflegt er die philosophischen Ideen eher seinen Jüngern und der Öffentlichkeit in anregender Weise aufzuwerfen als dieselben methodisch und systematisch zu Ende zu denken; geraden Linien weicht er in seinen Lösungen der Probleme aus, vielmehr ist er immer bestrebt, alle Fragen, die ihn leidenschaftlich beschäftigen, allseitig zu beleuchten und kritisch zu untersuchen. Auf diese Weise hat er das philosophische Leben in Böhmen in Gärung gebracht, ohne feste Prinzipien aufgestellt zu haben: in der Ethik, in der Soziologie und in der - 408 - Pädagogik war seine Wirkung nachhaltig. Von seinen Mitarbeitern steht ihm der Pädagoge Frantisek Drtina (geb. 1861) am nächsten; dieser klare, historisch veranlagte Geist, welcher die Humanitätsideale nie aus den Augen verliert, betont stets nachdrücklich die entwicklungsgeschichtlichen und sozialen Pflichten der Erziehungslehre und berührt sich darin mit zwei älteren vorzüglichen Forschern und Praktikern, mit G u s t a v A d 0 lf Lindner (1818-1887) und Josef Ulehla (geb. 1852), die den Übergang von Herbart zu Spencer ehrlich und tapfer durchgemacht haben. Auch die Psychologie, die ganz abseits von Masaryks Interessen liegt, hat diese Loslösung von der langjährig vorherrschenden Herbartschen Lehre erleben müssen: darin liegt die Bedeutung des konsequenten und unerbittlichen Positivisten Fra n t i se k Kr e je i (geb. 1858). Die ersten Schritte dieses entschiedenen Freidenkers mußten befreiend wirken: er stellte die wissenschaftliche Seelenkunde auf streng empirische Grundlage; er emanzipierte die Sittlichkeit von der Religiosität; er predigte die soziale Ethik. Doch später erkannte die jüngere Generation auch die Nachtseiten seiner Weltanschauung, die in ihrem trostlosen Agnostizismus, in ihrer mechanischen Erklärung der psychologischen Erscheinungen, in ihrem dogmatischen Materialismus bedrückt und beängstigt. Der idealistische Rückschlag gegen solchen trüben gedanklichen Naturalismus knüpft sich an den Namen des Physiologen Frantisek Mares (geb. 1857), eines Bewunderers des deutschen Idealismus und eines feinsinnigen Noetikers; in ihm sehen die Jüngsten ihren philosophischen Führer. - Von Masaryks Schülern war der frühverstorbene Hub e:r t Gordon Schauer (1862-1892) der unabhängigste; er hat aber Masaryks philosophische und soziale Ideen als Kritiker in die schöne Litteratur eingeführt. H. G. Schauer war eine problematische Natur, eine kranke Seele, ein verzweifelter Denker; er wußte selbst nie, ob er sich für cechische oder deutsche Nationalität entscheiden sollte; er schwankte fortwährend zwischen Wissenschaft und Journalistik, zwischen Nationalökonomie und Kritik; der ewige Streit der positiven Philosophie und des Christentums war für ihn stets eine Herzenssache. Dieser in den erbärmlichsten Verhältnissen lebende, an Schwindsucht hinsiechende Bohemien sehnte sich nach einem inhaltsschweren Leben, nach einem ge- 409 - steigerten Dasein und haßte ehrlich die ihn drückende gesellschaftliche Misere des cechischen öffentlichen Treibens. Von der Litteratur verlangte er bedeutenden gedanklichen Inhalt, lebhaftes Interesse für religiöse und sittliche Fragen, für politische und ökonomische Probleme; er hat sein Augenmerk auf die Arbeiterund Frauenfrage gerichtet; er verurteilte mit bitterer Verachtung die Kleinstädterei, die Sentimentalität, den Konventionalismus des gleichzeitigen cechischen Schrifttums. Das größte Aufsehen erregten aber seine politisch - philosophischen Aufsätze in der realistischen Zeitschrift »Cas« (»Zeit«), wo er mit düsterer Verzweiflung seine Ansichten über die Nichtigkeit des aussichtslosen nationalen Kampfes klargelegt hat; man übersah, daß aus diesen »hochverräterischen« Zeilen ein lebensmüder, kranker Geist sprach, der vom Leben tückisch betrogen war. Immerhin wirkte H. G. Schauer, dessen kritische Aufsätze noch der Sammlung harren, auf die Jugend sehr anregend; obzwar er kein eigentliches Verständnis für die ästhetischen Fragen hatte, befruchtete er die cechische Kritik ungemein. Doch das Verdienst, daß dieselbe aus einer starr doktrinären Disziplin, welche von engherzigen und pedantischen Krittlern mit schulmeisterlichen Grundsätzen und Manieren oder aber von hausbackenen Moralpredigern beherrscht worden war, zu einer selbständigen Gattung, zu einer autonomen Kunst erhoben wurde, - dit:;ses Verdienst gebührt Fra n t i s e k X. S al d a (geb. 1868), dem entschieden bedeutenderen Freunde H. G. Schauers. Dreierlei ist bei F. X. Salda bemerkenswert: sein Stil, seine Methode, seine Persönlichkeit. Salda hat eine neue kritische Sprache geschaffen, die aus einer eigentümlichen Mischung von Elementen entstanden ist: das poetische Pathos berührt sich hier mit der wissenschaftlichen Terminologie; die lyrische Metapher wechselt mit fachpsychologischem Ausdrucke; eine farbenreiche Reihe von andeutenden Analogien paart sich mit streng präzisierender Abgrenzung; geistessprühende Ironie des gefürchteten Polemikers durchsetzt den erhabenen Fluß der Rede, in welcher man den feinen Lyriker und den formgewandten Meister der Novelle erkennt. Saldas Gedichte, die bisher der Sammlung harren, mußten zuerst den dekorativen Standpunkt der französischen Parnassisten überwinden, bevor sie die eigentlich lyrische Weihe empfangen haben; dann konnten sie den blutigen Kampf des zarten Herzens - 410 - mit dem grausamen Intellekt besingen oder schmachtend das verlorene Paradies der unschuldigen Natur und der keuschen Jugend verherrlichen. Saldas Erzählungen »Zivot ironickye (»Ein ironisches Leben" 1912) bevorzugen in ihrer unheimlichen Gefühlschemie komplizierte, lebensmüde oder von der Wirklichkeit angeekelte Naturen, die im fast wahnsinnigen Kampfe um höhere Lebensformen zugrunde gehen; entweder bedient sich Salda in denselben der möglichst knappen Form der eigentlichen Novelle, oder aber umrankt er seine herben Betrachtungen über das menschliche Dasein mit kunstvoller Stilverzierung : immerhin verrät seine Lyrik wie seine erzählende Prosa eher einen grübelnden und gewagte Versuche anstellenden Kenner als einen unmittelbar schaffenden Künstler. Zu seinem wundervollen Stile hat Salda bereits in den älteren, meistens vernichtenden kritischen Referaten, die immer das beurteilte Buch zum Ausgangspunkte allgemeiner Betrachtungen machten, Anläufe getan; später hat er, ein gelehriger EmersonSchüler, die Essayform liebgewonnen und in ihr -mit einem ganz eigentümlichen Zauber der Essenz die Kunstprobleme gelöst, welche für ihn zugleich immer Lebensprobleme waren. Sein Essaybuch >Boje 0 zitfeke (>,Kämpfe um den morgenden Tage, 1905), welches in seiner mittleren Periode entstanden ist, gehört zu den schönsten Proben der cechischen Wortkunst. Saldas kritische Methode ist ein Kunstprodukt, an dem manche Einflüsse mitgearbeitet haben. Zuerst waren es die großen französischen Stilkünstler wie Flaubert und die analytischen Kritiker, mit Taine obenan, die Salda gelehrt haben, die Kunst als eine organische, mit den verborgensten Nerven des Nationallebens verbundene Lebensfunktion zu betrachten; dann haben ihm die französischen Symbolisten den metaphysischen Sinn der Poesie und die zartesten Geheimnisse der Vers technik erschlossen. Später ist Salda in die strenge, puritanische Schule eines Carlyle, eines Ruskin, eines Emerson, aber auch eines Dostojevskij gegangen, und hier hat er das ethische Pathos, die künstlerische Moralphilosophie, den seherhaften, wuchtigen Predigerton gelernt. Zuletzt endlich empfing er reiche Anregungen von der Kunstkritik, in der er sich auch mit Erfolg versuchte, um vornehmlich die französischen Impressionisten dem cechischen Publikum nahe zu bringen. - 411 Salda, der stärkere Eindrücke aus Büchern und Kunstwerken als von Menschen und aus der Natur empfängt, entnahm diesen Vorbildern nur solche Elemente, die seinen eigenen Ideengang befruchten und fördern konnten. Immer betonte er, daß es in der Kunst in erster Reihe auf einen schöpferischen, unerschrockenen, ja geradezu heldenhaften Charakter ankomme, der seine Intelligenz und seine Technik möglichst fein zu bilden, seine Sinne und Instinkte dagegen möglichst rein zu erhalten habe. Nur ein solcher Künstler, sei es schon in der Poesie oder in den bildenden Künsten, könne die hohen Forderungen erfüllen, die man an die moderne Kunst stellt: nämlich in lebendigen Symbolen das große, erhabene Weltdrama vorzuführen, dessen ewige Schauspieler der Gedanke und der Schmerz, die Liebe und der Tod sind. Saldas sehnsüchtiges Trachten nach höheren Entwicklungsmöglichkeiten der cechischen Kunst mündet in der allerletzten Zeit in zwei ausgesprochene Bestrebungen. Ohne jemals die Unfehlbarkeit einer bestimmten Kunstrichtung anzuerkennen, sucht Salda die Notwendigkeit einer typischen, klassischen Poesie zu begründen, deren \Verte lebensbejahend und objektiv sein müßten. Dabei löst er sich von seinen kosmopolitischen Anfängen los und tritt als zielbewußter Vorkämpfer einer entschieden nationalen Litteratur auf, die allerdings ihr völkisches Grundwesen weder in nationalen Stoffen noch Tendenzen, sondern vielmehr in der Art und Weise der Problemstellung und des Stiles erblicken dürfte. Die historischen Bedingungen solcher nationalen Kunst hat er in dem anregenden Büchlein ~Modernf literatura ceska~ (»Moderne cechische Litteraturc, 1909) dargelegt. Aber Salda ist nicht besonders glücklich, wenn es gilt, scharfe Richtlinien zu ziehen oder große Stoffmassen zu bewältigen; seine Stärke liegt in der Einzeluntersuchung und in der Charakteristik, wie es besonders glänzend seine Sammlung von Bildnissen »Duse a df1o~ (>Seele und Werk~, 1913) bestätigt. Das eigentlich Biographische sowie die Ideengeschichte zur Seite schiebend, beschäftigt sich Salda in der allerersten Reihe mit der Formsprache der zergliederten Dichter und weiß noch in der Metapher, in dem Beiworte, in dem Rhythmus den Widerhall des dichterischen Erlebnisses zu entdecken. Manchmal stellt er feinsinnige analytische Untersuchungen an, jedoch nirgends zeigt - 412 sich der Meister in solchem Maße, als wenn Saldas synthetische Porträtkunst, die gelegentlich bis hart an die Grenze der Karikatur heranstreift , in wenigen wuchtigen und unvergeßlichen Zügen eine führende Persönlichkeit erfaßt. Um Salda, den unbarmherzigen Kritiker und gefürchteten Polemiker, gruppiert sich eine ganze kritische Schar, die mutig und siegreich gegen das bequeme Epigonentum und den seichten Konventionalismus kämpft. Dieses streitlustige Heer, dessen Waffen scharf und blank geschliffen sind, hat zwei Flügel. Auf dem einen kämpfen sozial und ethisch gesinnte Kritiker, die sich von der Hebung des litterarischen Niveaus und Geschmackes zugleich einen bedeutenden Fortschritt ihres gesellschaftlichen Ideals versprechen, wobei allerdings, oft nur halbbewußt , das böse Teufelchen der Tendenzlitteratur sein Pfötchen zeigt. Der Vorkämpfer der sozialdemokratischen Weltanschauung, der schwungvolle Litterar- und Musikkritiker Frantisek V. Krejci (geb. 1867), der in seinem geistreichen Buche über Smetana (1900) auf eine ganz originelle Weise gegen den Wagnerismus Partei ergriffen und in seinem geistreichen Essay >Zrozeni basnika« (»Die Geburt des Dichters«, 1907) den Entwicklungsgang der modernen cechischen Poesie erörtert hat, liebt es, in seinen oft ganz rhapsodischen Kulturträumen und Herzensergießungen eine glückliche, lebensfrohe soziale Zukunft auszumalen, welche auch die kühnsten Forderungen der modernen Litteratur und Philosophie verwirklichen werde. Von dem Schriftsteller und dem Künstler überhaupt verlangt Krejci, daß sie dieser neuen Renaissance, dieser endgültigen Abkehr von dem christlich-mittelalterlichen Lebensideal , tapfer und eifrig vorarbeiten. Für den trockenen und verbitterten Aktenführer des zeitgenössischen Schrifttums und Theaters, den schonungslosen Analytiker J in d r ich V 0 da k (geb. 1867), liegen die gesellschaftlichen Zukunftsräume in keiner so nebelhaften Ferne. Dieser genaue Philologe und griesgrämige Professor vertritt in der Litteraturkritik vielmehr den ethischen Standpunkt Masaryks, und mit diesem einseitigen, aber strengen Maße mißt er die gesamte neue Produktion, was ihn ebenso gefürchtet als angesehen macht. Die andere Gruppe der Kritiker will mit der ethisch-sozialen Propaganda nicht das geringste gemein haben: es sind im Gegenteil aritisoziale Reinkünstler, exklusive Aristokraten, deka- - 413 - dente Genießer, welche in der Kunst ein gefährliches und zugleich berückendes Spiel der Leidenschaft und der Wollust erblicken und die Wirklichkeit bloß als einen dürftigen Ersatz für die Kunst anerkennen. Ihr Sammelpunkt ist die Monatsschrift »Moderni revue~, im Jahre 1894 gegründet. Der Begründer und Leiter derselben ArnoSt Prochazka (geb. 1869), auch als geschmackvoller Übersetzer der modernen Romanprosa verdient, ist eine knorrige, derbe Erscheinung der cechischen Litteratur. und Kunstkritik. In der hartnäckigen und schwerfälligen Persönlichkeit dieses geduldigen und verständnisvollen Deuters der modernen Dichter, Maler und Bildhauer streitet ein überzeugter Positivist mit einem Bewunderer der Mystik, ein analytisch veranlagter Skeptiker mit einem dogmatischen Ideologen, ein in der naturalistischen Schule gebildeter Stilist mit einem Anhänger der neuromantischen Bewegung. Während sich seine Mitkämpfer schroff vom Leben abwenden, verliert Prochazka nie die Fühlung mit demselben; doch der überzeugte Bewunderer von Nietzsche und Strindberg vereinigt mit seinem konsequenten Evolutionismus nicht nur den Weiberhaß seiner Anreger, sondern auch den satanischen Kultus des Bösen und des Schrecklichen. Unter seinen etwas formlosen Büchern sind wohl die beiden Essaysammlungen »Cesta krasy« (»Der Weg der Schönheit~, 1907) und »Meditationen~ (1912) die besten, jenes gilt der bildenden Kunst, dieses der Litteratur. Sein Freund jiI-i Karasek ze Lv 0 v i c (geb. 1871), ein auch als Lyriker und Prosaiker bedeutender Künstler, kann heute auf eine mehr als fünfzehnjährige kritische Tätigkeit, deren Anfänge allzusehr von Salda abhängig sind, zurückblicken; das Schönste, was Karasek in dieser Zeit. geschrieben hat, sind wohl seine äußerst frischen Charakteristiken der jungen Schriftsteller »Impressionisten und Ironiker« (1903). Später hat dieser typische Dekadent das vorher so fleißig verwaltete Referentenamt niedergelegt, um als feiner Psychologe, zarter Anempfinder, stechender Ironiker, ausgesuchter Stilist fremde Persönlichkeiten zu analysieren und schwierige Kunstprobleme zu erörtern: das Seltene, das Kranke, das Paradoxe, das Unzeitgemäße hat für diesen nervösen und manchmal ganz absurden Dialektiker ausschließliche Anziehungskraft. Eng an Karasek schließt sich Mi los M art e n (eigentlich Milos Sebesta, geb. 1883) an, dessen schwere, hieratis.che, an englischen Kunst- 414 - kritikern mit Oskar Wilde an der Spitze und an französischen Dekadenten gebildete Prosa ausschließlich dem psychologischen Paradoxon und der künstlerischen Ausnahme dient. Marten weiß ebenso glänzend wie widerspruchsvoll über Dichter und Maler, MystIker und galante Frauen, Bildhauer und Dandies zu schreiben; vorzüglich hat er Bl'ezina und Zeyer gedeutet, den letzteren geistreich als den Schöpfer der romantischen Bewegung in Böhmen erfaßt. - Auch der bedeutendste Dichter der neuen Schule, die im Jahre 1895 und 1896 öffentlich mit der älteren Litteratur gebrochen hat, der Lyriker und Satiriker J. S. Machar (geb. 1864) ist im Grunde ein Kritiker, bei dem die skeptisch analytische Note nie verstummt. In seinen ersten poetischen Büchern, die bei ihrem Erscheinen am Ende der achtziger Jahre großes Aufsehen erregten, und die der Dichter nachträglich in eine lyrische Trilogie )Confiteon (1900-1902) vereinigte, ist J. S. Machar ein bitterer Kritiker der modemen Liebe. Ein Stiefsohn der Romantik und ein verspäteter Bruder Heines, ironisiert er in seinen knappen, äußerst klaren Gedichten und Liedern, die sich sehr eng mit der modemen Konversationsprosa berühren, die blasierte Erotik der heutigen Weltstadt, die müde Eleganz seiner Prager Umgebung, das flatternde Spiel seiner eigenen verlogenen Erinnerungen, den wehmütigen Pessimismus seines vergifteten Herzens. In diesen tagebuchartigen Büchern, die auch kleine ungemein lebendige Genrebilder und ironisch pointierte Gesellschaftsszenen enthalten und überall einen konsequenten lyrischen Impressionisten verraten, hat Machar seine lange und abenteuerliche Irrfahrt in dem zaubervollen und gefährlichen Venusgärtlein geschildert, bis er endlich versöhnliche, ergebene und trauliche Töne für seinen Ehefrühling fand. Diese intime Liebeslyrik wird von vier Bänden »Sonetten( (1891-1893) vervollständigt, welche in kleinen impressionistischen Skizzen ein Jahr der Seele vorführen. Doch bereits neben ihr meldete sich bei Machar beißende, spöttische Gesellschaftskritik, trotzige und aburteilende Verachtung des seichten öffentlichen Lebens in Böhmen, gallige Spottlust, die sich die erbärmliche damalige cechische Politik zur Zielscheibe wählt. Und so erschien im Jahre 1893, wo bereits Masaryk und H. G. Schauer - 415 ähnliche Töne angeschlagen haben, Machars stürmisches, leidenschaftliches Buch ) Tristium Vindobona<" dessen Muse Haß und Verzweiflung war. Der seither in Wien lebende Poet nimmt hier Stellung zu dem Problem der Nationalität, das er vorerst aus dem erstickendem Qualme patriotischer Deklamation, aus der ungesunden Atmosphäre des starren Historismus loslösen muß: er singt hier von zornerfülltem Schmerze über die nichtige Gegenwart, von endloser Verzweiflung über den sklavischen Charakter seines Volkes, von den Erniedrigungen der einst so glorreichen Nation durch fremde Bedrücker, aber auch von erlösender Hoffnung an bessere Lebensmöglichkeiten, von krampfhaft sich anklammerndem Glauben an das Rassenbewußtsein des Volkes. Mit dieser politischen Lyrik, wo anstatt salbungsvoller Begeisterung und optimistischem Idealismus der alten patriotischen Schule bitterer Ernst, verblutende Verzweiflung, strenger Skeptizismus das Wort führen, hat Machar den jüngeren Dichtern neue Wege gewiesen. Später stürzte sich Machars politisches Lied, zu dem sich auch sein groteskes satirisches Epos über die jungcechische Politik )BoZi bojovnici" ()Die Streiter Gottes", 1897) gesellt, in die sozialistische Propaganda und den politischen Parteikampf, wo er treu und überzeugt an Masaryks Seite steht; seine Poesie wurde dabei leidenschaftlicher, positiver, aktueller, jedoch auch einseitiger, persönlicher, ungerechter sowie trockener und farbloser. In der gleichen Zeit, da Machar als politischer Lyriker aufgetreten ist, offenbarte er sich auch als Gesellschaftskritiker. Den alten Feministen, den ewigen Erotiker aus der Heineschen Schule verriet der Hang zur Frauenfrage, in welcher Machar aber keineswegs den schroffen männerfeindlichen Standpunkt seiner Freundin, der begeisterten Frauenrechtlerin Frau Bozena Vikova Kuneticka, einnimmt, sondern das heutige Weib in seinem sozialen Elend, in seinem geistigen Schmerze, in seiner Verlassenheit mitleidig und verständnisvoll aufsucht und für sein Recht auf Liebe, auf Mutterschaft, auf Arbeit eintritt. So malt er in dem poetischen Buche »Zde by mely kvest ruze« ()Hier sollten Rosen blühen«, 1894), das von ]akobsen mehr als sein Motto empfangen hat, mit weicher Pastelltechnik feine, nervöse Frauenbildnisse aus der Gegenwart, denen der Schmerz eine Heiligenglorie verleiht. So erzählt er in seinem satirischen Versepos - 416 - :oMagdalenae (1894, deutsch von Fux-]elensky, Wien 1905) die tragische Geschichte eines Prager Freudenmädchens, das lieber zum Laster zurückkehrt, als in der heuchlerischen kleinstädtischen Gesellschaft zu leben, die ihr das Recht der sittlichen Wiedergeburt nie zuerkennen wird. Schritt für Schritt wird Machars Dichtung von seiner Feuilletonistik begleitet, die getreu in den Spuren Nerudas, des Begründers dieser Mischgattung in der cechischen Litteratur wandelt. Wie Neruda schreibt auch Machar seine wöchentlichen Plaudereien für eine Tageszeitung; doch der Unterschied zweier Generationen macht sich dabei geltend: der liebenswürdige Causeur der jungcechischen »Narodni Listye, ein Nachzügler der nationalen Wiedergeburt, konnte noch nachsichtig, mahnend, fördernd schreiben, wo der kampflustige Feuilletonist des realistischen »Geheimnisvolle Fernen", 1895), über dem düstere Wolken jugendlicher Melancholie lagern, sang der Dichter noch über die trauervolle Schönheit dieser Erde, über die verschwiegene Tragik einer scheuen verträumten Erotik, über die schmerzhafte Nichtigkeit einer ungelebten Jugend, über die dunkeln Geheimnisse der Vererbung und der Rasseneinheit in entzückend musikalischen und dabei verschwenderisch farbenreichen Versen. Aber schon in seiner zweiten Sammlung, dem prächtigen Übergangsbuche >Svitani na zapade" (>Die Morgendämmerung im Westen«, 1896), verläßt Bfezina die analytische Stimmungslyrik , ja, das diesseitige Bereich der individuellen Erlebnisse, der irdischen Existenz, um sich ausschließlich der metaphysischen Konzeption, dem mystischen Symbolismus, der synthetischen Kunst zuzuwenden.. Von den riesenhaften Adlersflügeln der dichterischen Vision getragen, von dem mystischen Windeswirbel der Ekstase getrieben, stürzt der Dichter zu dem kosmischen Mittelpunkt des Weltalls. Doch seine streng wissenschaftliche Erkenntnis und seine einwandfreie konstruktive Logik läßt ihn bei seinem schwindeligen Fluge in die luftigen Gegenden der Abstraktion das Gleichgewicht nicht verlieren, so daß es Bfezina bereits gelungen ist, ein neues ganz gesetzmäßiges System der Mystik zu schaffen, welches der exakten Denkart und dem leidenschaftlichen Pulsschlag der modernen Zeit durchaus entspricht. In dieser Mystik, die neben dem Neuplatonismus und der christlichen Geheimlehre auch naturwissenschaftliche, der positiven Forschung entnommene Ideenelemente mit einem Maeterlinckschen Gedankenpathos verarbeitet, kehrt ein grandioser Gedanke immer wieder: das gesamte Weltall ist in endloser Evolution, in ewiger Entwicklung begriffen, an der alles Denken und Geschehen, sämtliche Individuen und - 424 - Völker, Pflanzen und Tiere, Bergmassen und Gewässer mitarbeiten müssen, und die zum mystischen Urprinzip, zum geheimnisvollen göttlichen Willen hingravitiert. Diese mit großer Mannigfaltigkeit variierte und paraphrasierte Idee ist bei Bfezina jedoch kein lebloses philosophisches Schema, keine trockene Abstraktion, er verleiht ihr eine wundervolle poetische Schönheit, eine hochpriesterliche Weihe, einen berückenden künstlerischen Zauber. Auf Bfezinas erwähnte Sammlungen folgen noch» Vetry od p6Iu«, ~Stavitele chramll« und »Ruce~ (~Die Passatwinde«, 1897, ~Die Tempelbauen, 1899, und »Hände«, 1901, letztes Buch in gelungener deutscher Umdichtung von E. Saudek 1908, Wien); von Buch zu Buch wird seine Verskunst kraftvoller und satter; großartige Farbenvisionen und symphonische Rhythmengebilde strömen von Licht, Leben und Freude über; kühne, ganz eigenartige Metaphern gewinnen immer mehr an Schönheit, Plastik und innerer Bedeutung, so daß sie gleichzeitig die Sinne bezaubern und den Gedankenflug fördern; immer enger schließt sich Bfezinas prophetenhafter Stil, den ich mit dem erhabenen Pathos eines Stephan George vergleichen möchte, an seinen philosophischen Gedankengang, an seine ideelle Konstruktion an. Der Dichter hebt in transzendenter Synthese die Widersprüche und Antithesen des menschlichen Daseins auf; über das soziale Elend triumphiert sein unerschütterlicher Glaube an die allmähliche moralische Entwicklung der Menschheit; die Schmerzen und Sünden des Individuums gehen in der kosmischen Harmonie auf. Nur wenige Leser können ihm in die mystischen Sphären folgen, wo es keine Leidenschaft, kein Lachen, kein Weinen gibt. Auch der tiefsinnige Kommentar zu seinem Denken und Schaffen, welchen Bfezina in seiner Essaisammlung )Hudba pramem'i« (»Die Musik der Quellen«, 1903) gegeben hat, ist kein gemeinverständliches Werk; der philosophisch gebildete Leser wird in diesem glänzend geschriebenen Büchlein einige Grundsätze des modernen Intuitionismus entdecken, die als fruchtbare ästhetische Prinzipien angewendet werden. Ganz vereinsamt steht Bfezina in der cechischen Poesie; einzelne junge Dichter, die ihn geradezu vergöttern und jeder seiner Offenbarungen über Kunst und Leben andächtig lauschen, haben von ihm tiefgreifende Anregungen empfangen. Otakar Bfezina ist derjenige - 425 - unter den cechischen Lyrikern, welcher sich gegenwärtig auch das Ausland erobert. Als sein Buch »Hände« ins Deutsche übersetzt wurde, staunten Deutschlands bedeutendste Lyriker, z. B. Dehmel und Hofmannsthai , über die kosmischen Perspektiven, über die Ewigkeitszüge des cechischen Hymnikers, den sie zugleich äußerst national und modern europäisch fanden: es braust ja in diesen wortgewaltigen Psalmen und Dithyramben dasselbe »neue Pathos«, das die mächtigsten Lyriker unserer Zeit, mögen sie Whitman oder Verhaeren oder Claudel heißen, durchzittert. Nicht weit entfernt von Bfezinas lyrischen Anfängen steht die scharf ausgeprägte Dichtergruppe der cechischen Dekadenten, welche sich um die ~Moderni revue« schart. Ihr typischer Vertreter ist der bereits als Kritiker erwähnte Dichter J i f i Kar ase k z e Lv 0 v i c , der, eigenartig und kühn in seiner Vers- und Prosalyrik die reichen Anregungen von Baudelaire und Verlaine, Huysmanns und Maeterlinck, Przybyszewski und Wilde, den Lieblingen der cechischen Dekadenten, verarbeitet hat. Jifi Karasek ze Lvovic treibt das Paradox der poetischen Dekadence und des unzeitgemäßen Aristokratismus bis auf die Spitze. In seiner Frühzeit wollte er die dunkelsten Abgründe des Lebens erforschen, wo Verfall und Vernichtung gähnen; wollte aus allen giftigen Bechern der Sinneslust, von der Krankheit und dem Tode gemischt, gierig trinken; wollte an dem gespensterhaften Karneval perverser und absurder Erotik teilnehmen; wollte den Genuß bis zu der Grenze des verachtenden Ekels ergründen. In seinen »Hovory se smrti« (~Unterhaltungen mit dem Tode«, 1904) zeigt sich Karasek als schauereregender Friedhofslyriker, der alle Schrecken der Krankheit, des langsamen Hinsiechens , der Verwesung durchlebt; erscheint als paradoxer Aristokrat, der sich für feudale Geschlechter, für mittelalterliche Einrichtungen, für katholische Liturgie begeistert und sein demokratisch fades Zeitalter verabscheut. In seinen Gedichtbüchern ~Sexus necans« (1897) und ~Sodoma« (1904) sowie in seinen feinen Erzählungen »Lasky absurdne« (»Absurdes Lieben«, 1905) bietet Karasek in fast orientalischen Farben und dumpf sinnlicher Sprache eine perverse Erotik, die absichtlich mit der Idee des Sadismus und der Knabenliebe spielt und das Verhältnis zwischen Mann und Weib als ein grausames Drama der gegenseitigen Verachtung und Verabscheuung darstellt. Manchmal läßt Karasek, 426 - sein Grundthema vertiefend, seine dekadenten, entnervten Helden, die oft suggestiv in die elegische Umgebung Alt-Prags hineingepaßt sind, nicht nur an eitler Sinneslust und bitter schmeckendem Genusse, sondern vielmehr am Scheitern ihrer illusionistischen Träume, ihrer spätromanischen Ideen in einem konsequenten Nihilismus zugrundegehen. Einen gereiften Künstler, der besonders das sprachliche Instrument meisterhaft handhabt, verraten die zwei letzten lyrischen Bücher Karaseks ~Endymion« (1909) und ~Ostrov vyhnancu« (>Die Insel der Verbannten«, 1912). In festgefügten und zugleich sehr musikalischen Strophen, unter mythologischen Symbolen schmachtet da sein lebensattes und lebenscheues Herz: die ewige Vereinsamung des Künstlers, die Unfähigkeit zu lieben, das Bewußtsein der verfehlten Jugend bilden die Hauptmotive dieser elegischen Bücher. Einer der jungen Nachfolger Kanlseks, der feine Lyriker Karel Hlavacek (1872-1898), setzte diese absurden Grundsätze der cechischen Dekadence in Wirklichkeit um. Nachdem er dekadente Stimmungen und aristokratische Neigungen, die für diesen armen Arbeitersohn aus dem Prager Proletarierviertel nur angelernte Allüren sein konnten, in fast lückenloser Vollständigkeit in einem dünnen Gedichtheftehen klargelegt hatte, traten Krankheit und Tod in schrecklicher Gestalt an ihn heran und zwangen ihn, seine aparte poetische Maske wegzuwerfen. So besingt der verhungernde, schwindsüchtige Poet aufrichtig und wahrhaftig die gespensterhaften Greuel des herannahenden Todes, der absoluten Vernichtung in seiner >Mstiva kantilena« (> Rachsüchtige Kantiläne«, 1897), wo er die balladische Einkleidung eines verzweifelt kämpfenden Geusen aus dem 17. Jahrhundert mit holzschnittartiger Originalität konsequent durchführt. - Während sich diese Poeten von der Wirklichkeit abwenden, sucht eine andere Gruppe die intensivste Verbindung mit den grausamen und verwickelten Realitäten des Daseins; da sie aber inmitten eines um die einfachsten Lebensbedingungen kämpfenden Volkes aufgewachsen sind, fühlen sie, daß es für sie keine wichtigere Wirklichkeit gibt als das nationale Problem. Eine der kräftigsten Erscheinungen der modernen cechischen Dichtung überhaupt ist der geheimnisvolle pseudonyme Pet r Be z r u c (eigentlich Vladimir Vasek, geb. 1867), der sich selbst als den ersten und zugleich den letzten Barden des schlesischen Volkes be- 427 - zeichnet, Die durch Machar verjüngte politische Lyrik hat in diesem wilden Rhapsoden ihren genialsten Vertreter gefunden; nationale und soziale Tendenzen fließen in seinen wuchtigen ~Schlesischen Liedern« (~Slezske pisne~, 1909) zusammen, da er zugleich das grenzenlose Elend der Tagelöhner und Bergbauer unterhalb des Beskydengebirges und die Lebensgefahr des aussterbenden cechischen Stammes an der polnisch-deutschen Sprachgrenze bei Mährisch -Ostrau besingt. Seine düsteren, rußigen Helden, die er mit der tragischen Plastik eines Meunier darzustellen weiß, verlieren in den Kohlenwerken ihre Kräfte, in den Schulen und bei den Wahlen ihre Nationalität: und nun kommt aus Teschen Petr Bezruc, »der fahrende Musikant und verrückte Bursch, der tolle Rebell und betrunkene Sänger, das unselige Käuzchen des Teschener Turmes~ und singt sein herzerschütterndes Miserere. Manchmal muß man bei seinen hymnischen Ergießungen an Walt Whitmans grelle und doch erhabene Poesie denken; auch Bezruc, bei dem sich wirksame Anklänge an das Volkslied finden, schreibt oft in freien Rhythmen, schwelgt in Aufzählungen von Orts- und Personennamen , häuft Parallelen und Wiederholungen und verschmilzt das Alltäglichste mit dem Erhabensten. Nur ganz selten schluchzt unter diesen kollektiven Klage- und Rachebildern ein rein persönlicher Ton auf; dann zittert in ihm keuscher Schmerz über das gebrochene Leben des vereinsamten Poeten. Der bittere Ironiker und spöttische Satiriker Vi k tor D y k (geb. 1877) rechnete sich selbst ursprünglich zu der Gruppe der cechischen Dekadenten, obzwar er in mancher Hinsicht den schroffsten Gegensatz zu ihnen bildet. Dyks lyrisches Erstlings-' werk. ist ein unverhülltes, äußerst aufrichtiges Bekenntnisbuch einer bis in ihre Wurzeln vergifteten modernen Seele, welche vor ihren eigenen dunkeln Instinkten, bösen Zweifeln, dämonischen Neigungen erschreckt. Dann offenbarte Dyk in seinen besten, lyrischen Sammlungen ~Sila ~ivota<{ a »Marnosti~ (»Die Lebenskraft«, 1898 und »Eitles Streben~, 1900) einen ganz eigentümlichen Zwiespalt seiner Natur, in der konsequenten Ironie seines inneren Wesens begründet. Er kann nicht lieben noch leiden, nicht sich sehnen noch träumen, nicht anbeten noch trauern, ohne gleichzeitig sich selbst genau und scharf zu beobachten, zu zerwühlen, zu zersetzen und zu verachten. Bei jeder Gefühls- - 428 -- regung, bei jeder Stimmungsschwingung , bei jeder Sinnesseligkeit und jedem Liebestraum meldet sich bei Dyk der alte Mephistopheles mit seinem eisigen Lächeln, seinem trockenen Spotte, seinen sarkastischen Anmerkungen, seinen spitzen, epigrammatischen Pointen. Durch diesen interessanten psychologischen Prozeß, in welchem sich der Dichter selbst aufreibt, wird dem Leser ein tiefer Pessimismus, ein verzweifelter Agnostizismus enthüllt. Dieser führt jedoch Dyk nicht zu müdem Lebensüberdruß, sondern stürzt den Poeten vielmehr noch tiefer in den wildesten Strudel des öffentlichen Lebens, in die ewige Tragikomödie der Menschheit; häufig findet er Gelegenheit, manche unbequeme Wahrheit zu sagen, mit litterarischer oder politischer Satire aufzustacheln; seine »Satiren und Sarkasmen« (1905) sind in ihrer parodistischen Eigenart ganz meisterhaft und zeigen Dyk als einen Fortsetzer von Havlicek und Machar. In der letzten Zeit versiegt Dyks lyrische Quelle ganz auffallend, und wo er noch als Lyriker auftritt, da ist nichts mehr von seiner ironischen Note zu spüren: entweder predigt er tendenziös die nationale Energie oder stimmt sentimental elegische Klagen an. Was in Dyks Lyrik rein persönliche und intime Ironie war, das wird zur sozialen und politischen Kritik in seinen beiden großen Zeitromanen aus der Geschichte der neunziger Jahre »Konec Hakensmidt"iv« a »Prosinec« (»Hackenschmieds Ende«, 1905, und »Dezemben, 1907), die bei all ihren interessanten psychologischen Einzelheiten arg unter ihrer journalistischen Chronikform zu leiden haben. Sehr fein und zart sind dagegen Dyks kurze und wortkarge Erzählungen, wo er mit treffsicherer Kunst kleine Tragödien der Liebe, des Willens und des Gewissens zergliedert; die besten sind in dem Bande »Pisen 0 vrbe« (» Das Lied von der Weide«, 1908) gesammelt. Eng mit Dyk ist der rauhe Primitivist J 0 s e f Hol y (geb. 1874) verwandt, welcher d~r üppigen Wortkunst seiner Zeitgenossen seinen bäuerisch kernigen, volkstümlichen Stil gegenübergestellt hat; in seiner Reflexion unbeholfen, ja plump, in seinem Versuch eines vergröberten Faust »Vasicek Nejlu« (1899 und 1901) abgeschmackt, hat er einige glückliche Lieder in Volksmanier geschrieben, wo das liebesund naturselige Herz eines einfachen Burschen jauchzt; dieselben sind in »Panenciny knizky« (» Des Mädchens Büchlein«, 1904) zu finden. - 429 - Aus dem Lager der Dekadenten und Illusionisten sind drei Poeten hervorgegangen, an die gegenwärtig die kühnsten Hoffnungen geknüpft werden; in der allerletzten Periode ihres lyrischen Schaffens sind sie allerdings vollblütige Vertreter der lebensbejahenden Richtung in der cechischen Poesie. Es sind Stanislav K. Neumann, Otokar Theer und Jan z Wojkowicz. Die drei ersten Versbücher Stanislav K. Neumanns (geb. 1875) wird die Zukunft ungelesen lassen, und das wird ganz gerecht sein. Ein überschäumender Sturm und Drang gärt und braust in ihren leeren Deklamationen; ein falsches Übermenschenturn macht sich in ihren arg pathetischen Strophen breit; das vorlaute Kokettieren mit dem Verfall und der Entartung ist nur gemacht und unwahr. Es ist aber auch manches Positive, das auf bessere Zukunft hinweist, darin; dem Dichter fehlt es keineswegs an rhythmischem Gefühl; er weiß zuweilen der ödesten Alltäglichkeit poetische Töne abzulocken; er hat ein feines Ohr für das Sausen des Webstuhls der Zeit und vermag manchmal dasselbe in seinen Gedichten wiederzugeben. Neumann besaß schon damals den Mut des Widerspruches, der für ihn so bezeichnend ist: inmitten der feinen Aristokraten predigte er die soziale Revolution; den katholischen Neuromantikern gegenüber verherrlichte er einen lebensfrohen Paganismus, dem allerdings der damals moderne Wahlspruch des Satanismus angehängt wurde; anstatt der archaisierenden Kultur seiner lyrischen Genossen fand man bei ihm Begeisterung für die Gegenwart, für das moderne Leben, für die neue, teilweise noch rohe und wilde Schönheit der Großstadt, der Industrie, der Maschinen. Nachdem er sein robustes Talent von verschiedenen Modehüllen und Schlacken befreit hatte, gab er zwei grundverschiedene Bücher heraus: )Satanova slava mezi nami« (»Satans Ruhm unter uns«, 1897) a »Sen 0 zastupu zoufajicich« (»Ein Traum von der verzweifelnden Schar«, 1903). Jenes ist ein Hohelied der Sinne und der Lust, ein freies und frohes Buch, wo viel gelästert und geflucht, aber auch viel gelacht und getanzt wird, frei nach Zarathustras Vorschrift. Dieses ist eine düstere, manchmal großartige Vision der sozialen Aufrüttelung und Erschütterung, unbarmherzig, grell, jedoch keineswegs pessimistisch, mit gelungenen Anklängen an Verhaeren und Whitman, tapfer erlebt und wuchtig besungen. Bei dem reifen Neumann bedeutet das Wort erlebt so viel als - 430 - erkämpft, denn für diesen schneidigen Polemiker gilt das tapfere Wort: vivere est militare. Der Streiter hat dennoch den Poeten keineswegs erdrückt; vielmehr sucht sich dieser neue Entwicklungsmöglichkeiten. In der modernen cechischen Lyrik, die, von Sova abgesehen, ein unmittelbares Verhältnis zur freien Natur verloren zu haben scheint, bildet ein Buch wie Neumanns letzte Sammlung />Hrst kvetu z ruznych saison" (»Eine Handvoll Blüten aus verschiedenen Jahrgängen«, 1907) eine wohltuende Ausnahme: hier lauscht ein freier Mensch dem Rauschen der Wälder, hier trinkt sein gieriger Mund den Tau aus den Blüten, hier singt sein junges Herz im Wechselgesange mit den Vögeln von der süßen Gewohnheit des Daseins und Wirkens. Die beiden befreundeten Lyriker Otokar Theer und Jan z W ojkowicz verbinden in ihren formvollendeten Gedichten eine ungemein feine Sensibilität mit einem nach Weltgeheimnissen lechzenden Intellekt. 0 t 0 kar T h e e r (geb. 1880) ist entschieden der kräftigere von beiden ; in seiner grausam wollüstigen Seele sehnt er sich nach kühnen Experimenten mit Ideen, Sensationen und raffinierten Erlebnissen und gelangt nach all diesen, manchmal recht schmerzvollen »Heerfahrten nach dem Ich~ (/> Vypravy k Ja«, 1900), deren Erlebnisse er mit südlich üppiger Farbenpracht und sehr origineller Verskunst beschrieben hat, endlich zu der düsteren, gespensterhaften Burg der ewigen Illusion. Nach zwölfjährigem Reifwerden gab er sein neues Buch heraus /> Uzkosti a nadeje~ (/>Ängste und Hoffnungen~, 1911). Aus dem wollüstigen Sensualisten ist er ein entschiedener Idealist, aus dem launenhaften und eigensinnigen Liebhaber ein tragischer Ethiker der Liebe, aus dem anempfindenden Naturschwärmer ein spekulativer Deuter der Elemente geworden. Er ist stets bestrebt, das U rwesen der Erscheinungen, das Grundgesetz der Weltgeschehnisse zu erfassen; dabei schafft er sich auch innere Ausdrucksform für seine Erlebnisse und drückt den freien Rhythmen seiner kunstvoll aufgebauten Gedichte den feurigen Stempel seiner Persönlichkeit auf. Sein Freund Jan z Wojkowicz (geb. 1880), ein knabenhafter, mimosenartiger und schmachtender Melancholiker, der besonders die reichen Halbtöne und die zarten Nuancen der Frühlingslandschaft und der Herbstnatur zu treffen weiß, hat sich, in den Spuren des ihm wahlverwandten Novalis wandelnd, eine ganz seltsame pantheistische Kosmologie, eine naive und - 431 - zugleich doktrinäre Metaphysik geschaffen, die besonders in seinen melodischen )Meditationen« (1905) an den Tag tritt. - Es hat eine geraume Zeit gebraucht, bevor sich auch die moderne cechische belletristische Prosa zu einer künstlerischen Höhe erhoben hat; ja in der stürmischen Periode der neuböhmischen Litteraturbewegung der neunziger Jahre trug es die Kritik schmerzlich, daß die von ihr beschützte und propagierte Gruppe der jungen Schriftsteller kein ebenbürtiges prosaisches Talent aufzuweisen hatte. Mit der teils ganz äußerlichen, teils psychologisch unbeholfenen realistischen Romantechnik, wie sie die von der russischen Litteratur beeinflußten Schriftsteller der achtziger Jahre ausgearbeitet haben, konnte sich die neue Generation nicht begnügen, und da sie auch an keine älteren einheimischen Vorbilder anknüpfen wollte, suchte sie abermals ihre Anregungen im Ausland. Der russische Gesellschaftsroman wirkte zwar noch immer tief und heilsam, aber bald wurde er durch den nachhaltigen Einfluß des französischen Realismus und Naturalismus verdrängt. Die kosmopolitische Schule der siebziger . und achtziger ] ahre hat es versäumt, die großen Romandichter der französischen Litteratur wie Balzac, Stendhal und Flaubert in das cechische Schrifttum einzuführen. Noch jetzt, dicht vor der ]ahrhundertwende erschien die grandiose Gesellschaftsmalerei eines Balzac, die kalt analytische Romanpsychologie eines Stendhal, die unpersönliche realistische Epik eines Flaubert, welche erst jetzt übersetzt wurden, als litterarische Neuheit. Dagegen verdrängte bei den kühnsten Neuerern der vorlaute Naturalismus der Zolaschen Schule mit all ihren psychologischen Unvollkommenheiten , stilistischen Geschmacklosigkeiten, plebejischen Manieren diese drei Klassiker des französischen Romans, für welche besonders der umsichtige Kritiker F. X. Salda systematisch geworben hatte. Zola selbst, der bei den patriotischen Litteraten der alten Schule in Böhmen verfehmt und verachtet war, hat in der neuen cechischen Prosa tiefe Spuren hinterlassen: es sind dies der Hang zur breiten, hymnusartigen Beschreibung, die ausführliche Milieuschilderung, das sensualistische Pathos in der Darstellung der seelischen Vorgänge. Die weit feineren naturalistischen Künstler traten dagegen in den Hintergrund; weder die nervösen Impressionisten Edmond und Jules de Gon- - 432 ~ourt noch der ironische Meister der kurzen Erzählung Maupassant haben Schüler in der neuböhmischen Litteratur gefunden, Dbgleich sie allerdings fleißig gelesen und übersetzt wurden. Zum französischen gesellt sich auch der skandinavische Einfluß, der nach Böhmen über Deutschland gekommen war; die nordische Prosa in Böhmen hatte übrigens mehr Glück als das nordische Theater mit Ibsen an der Spitze. Im Jahre 1890 wurde eine vorzügliche Sammlung »Vzdelavaci biblioteka« (»Bildungsbibliothek «) gegründet, die neben französischen und englischen philosophischen Werken auch moderne skandinavische Belletrie brachte; diese fand in dem rührigen Hugo Kosterka ihren fleißigen und liebevollen Vermittler. So lernten die cechischen Schriftsteller die scharfe Gesellschaftskritik eines Kielland , den naturphilosophischen Trotz eines Strindberg, den schonungslosen, beinahe brutalen Impressionismus eines Garborg, die dämonische Psychologie des großen Lyrikers Hamsun, den feinen, zaubervollen Intimismus ]akobsens kennen. Die nordischen, in Böhmen mit einer allgemeinen Begeisterung begrüßten Lehrmeister boten manches, was man bei den französischen Naturalisten schmerzlich vermißt hatte: komplizierte Psychologie, scharf angreifende gesellschaftliche Kritik, liebevolles, ja mystisches Versinken in das geheime Naturweben, intimen poetischen Stil. Besonders Jakobsens Einfluß hat trotz der äußerst mangelhaften Übersetzungen tiefe Spuren gegraben; man liebte es, in stimmungsvoller Kleinmalerei melancholische, krankhaft sensible Träumerseelen darzustellen, wie sie die schmerzhafte Tragik des Desillusionismus erleben. Als begeisterter Vorkämpfer des russischen Realismus und des französischen Naturalismus hat sich der temperamentvolle V i I e m M rs t ik (1863 -1912), der seinerzeit als ein enfant terrible der jungböhmischen Litteriltur galt, zuerst einen Ruf erworben; seinen bedenklichen Mangel an Geschmack und an selbständigen Gedanken hat man bei seinem ersten leidenschaftlichen Auftreten für den Naturalismus und den russischen Roman übersehen. Vilem Mrstik war ein entschiedenes Maleringenium ; sein vielleicht gelungenstes Werk bleiben die »Obrazky« (»Bildchen« 1894), farbensatte, stimmungsvolle Landschaftsporträts und Naturschilderungen aus Südmähren , die eben durch das Verzichten auf jede Handlung einheitlich und lebendig wirken. Auch in - 433 - seinen beiden großen Romanen, in welchen er sich als kundiger Psychologe der jugendtrunkenen, kraftüberströmenden Seele zeigt, bietet Mrstik auf dem oben erwähnten Gebiete sein Bestes. Immer bleibt er ein treuer Zolaschüler: in seinem duftigen »Maimärchen« (»Pohadka maje«, 1897), dem etwas faden Liebesidyll eines mährischen Studenten, besingt er in farbenreicher Prosa die blühenden, rauschenden mährischen Forste ähnlich wie sein Meister die üppige Gartennatur von Paradou in seinem »Abbe Mouret(. In dem schmerzvollen, beinahe tragischen Studentenroman »Santa Lucia« (1893), in welchem die Handlung ganz hinter der großstädtischen Milieuschilderung, hinter der hymnischen Beschreibung des altertümlichen Prag zurücktritt, nähert sich Mrstik den berühmten Zolaschen Pariser Stadtbildern. Es klingt geradezu paradox, wenn man diesen stürmischen Zolaschüler als einen patriarchalischen Idylliker bezeichnet, und doch trifft dieses Wort den Kern von Mrstiks Wesen. Aus dem kleinen Städtchen Ingrowitz an der böhmisch-mährischen Grenze gebürtig, in dem slowakischen Dorfe Divaky unweit von Auspitz lange als freier Schriftsteller und später als tätiger Immenwirt angesiedelt, verbrachte Vilem Mrstik den größeren Teil seine!> Lebens auf dem Lande, in der freien Natur unter Bauern und Schäfern. Er liebte das Landvolk, fühlte sich nur in Wäldern und Feldern heimisch, verstand die leisesten Regungen der Naturseele. Doch dies war bei ibm keineswegs nur instinktives Ahnen und Fühlen, sondern zu der tiefen, ursprünglichen Neigung des Landmannes gesellte sich bei Mrstik die feste Überzeugung des pantheistisch gestimmten Rousseauisten, daß das Wohl der Menschheit in dem engsten Zusammenhange mit dem heiligen Mutterboden bestehe, daß die menschliche Pflanze nur in der freien Luft unter dem klaren Himmel gedeihen. könne. So stellt ihm das im Freien lebende und arbeitende Landvolk die herrliche Einheit des Menschen und der Natur in der ursprünglichen Reinheit dar. Davon erzählen die meisten Arbeiten, die er mit seinem bereits erwähnten Bruder Alois geschrieben hat und die entweder' in der knappen novellistischen oder in der gesteigert dramatischen Form das slowakische Landleben schildern. Während er aber in seiner Jugendzeit mehr die erhabenen, großartigen oder leidenschaftlichen Seiten des Naturlebens hervorzuheben pflegte, neigte er später zu dem Lieblichen, Anheimelnden und jakubec-Novak, Cechische Litteratur. 2R 434 - Süßlichen, so daß sein Skizzenbuch :» Zlata nit ~ (> Der Goldfaden ~, 1907) eine lose Reihe von Eindrücken, Herzersergießungen und Betrachtungen des patriarchalen Idyllikers vorstellt. Doch die lyrische Stimmung, welche in seinen lose komponierten Büchern den Leser berückt, verdeckt allerlei psychologische Gebrechen. Vilem MrStik betrachtet das Seelenieeen allzu materialistisch und deutet es nur ganz oberflächlich an, indem er verschiedene, manchmal ganz gewaltsame Bilder aus dem physischen Leben häuft. Die feineren, wenig andauernden Regungen selbst der jugendlichen Seele, die Vilem Mrstik zu seiner Spezialität erwählt hat, übergeht er überall. Vielmehr gibt er nur ganz typische Umrisse, verallgemeinernde Merkmale, wenig individualisierte Berichte über die Seelenzustände seiner lebenstollen Helden und naiven HeIdinnen. Wie der Dichter selbst, sind alle seine Personen ausschließlich Sinnesmenschen, die sich am Leben berauschen, ohne dabei irgendwelche innere Entwicklung zu erleben. So wirken Mrstiks Romane aIs eine Reihe von prachtvollen, bald naturalistischen, bald idyllischen StimmungSbildern, welche keine strengere Handlung verbindet. Es scheint, als ob Vilem MrStik später eingesehen hätte, daß seinem Schaffen solche innere Einheit und künstlerische Notwendigkeit fehle. Das Bestreben war bei ihm unverkennbar, die epische und psychologische Handlung besser hervorzuarbeiten, das Zuständliche und Deskriptive dagegen stark zu unterdrücken. Seine beiden posthumen Werke, der unverdauliche und fragmentarische Studentenroman >Die Zumers« (1912) sowie sein uneinheitliches Künstlerdrama »Anezka~ (1912), an welchem seine Frau mitgearbeitet hat, verraten diese Tendenz, die Mrstik leider in keine eigentliche künstlerische Tat umzusetzen vermocht hat. Er starb am Wege. Durch Selbstzerstörung hat sein Leben geendet. Sein Lebensfluch war und blieb: er hielt nicht, was er versprochen. Die Synthese der breiten naturalistischen Beschreibungsmanier , welche ein endloses Verzeichnis aller Naturschönheiten einer bestimmten Gegend gibt, wie es Vilem MrStfk liebt, und der schwerfällig materialistischen psychologischen Analyse in der Art von M. A. Simacek bietet der mährische Journalist und Theaterkritiker J osef Merha u t (1863-1907) in seinen umfangreichen Romanen >Andelska sonata~ (»Die Engelsonate~, 1899) - 435 - und »Vranov~ (1906), welche alle Mängel der naturalistischen Romankunst und des bösen, phrasenhaften Journalstils aufweisen; viel besser und natürlicher sind Merhauts düstere, pessimistisch untermalte Bilder aus dem Brünner Großstadtleben , besonders diejenigen, die der Sammelband ~Cerna pole~ (»Schwarze Felder~, 1897) vereinigt. Ein äußerst origineller Naturalist ist der pessimistische Visionär J 0 s e f K. SIe j ha r (geb. 1864), der etwa Dostojevskij mit Huysmanns verbindet, allerdings ohne die geniale Psychologie des ersten und ohne die raffinierte Kultur des anderen. Endloses Mitleid ist bei diesem abstrusen Barbaren mit der tiefsten Verachtung gepaart. Mit mitleidiger Liebe umfaßt er alle leidenden Wesen, gequälte Tiere wie verhungernde Vagabunden, sterbende Pferde wie kranke Kinder, verzweifelte Fabrikarbeiter wie verblutende Wöchnerinnen. Doch derselbe Dichter schleudert der leidenschaftlich gehaßten Gesellschaft die wildesten Vorwürfe ins Gesicht, er verabscheut die reichen Fabrikanten, die vermögenden Bauern, die in ihrer bequemen Ordnung glücklichen Bürger, die liebesseligen Eheleute; die moderne kapitalistische Gesellschaft erscheint ihm als eine gräßliche alttestamentarische Vision von Laster, Elend, Abscheu und Niederträchtigkeit. Wo er kleine Naturskizzen oder kürzere Erzählungen bietet - die gelungensten sind in den Sammlungen ~Dojmy z pffrody a spolecnosti~ (»Eindrücke aus Natur und Gesellschaft~, 1894) und »Zatisf« (~Stilleben(, 1898) vereinigt, und in einer guten deutschen Auswahl ~Erzählungen und Skizzen~ (1907) von Zd. Hostinska zugänglich - erSchüttert er seine Leser durch stürmische Kraft. Dagegen wirken seine formlosen ermüdenden Romane, welche gewöhnlich eine ganz spärliche Alltagshandlung auf mehreren hundert Seiten unglaublich schleppend erzählen und sie mit nichtssagenden Episoden und überfüllten Milieuschilderungen unterbrechen, nur abschreckend und abstoßend; das gilt besonders von seiner ganz unverdaulichen ~Hölle« ()Peklo~, 1905), einem halb mystischen, halb naturalistischen Fabrikromane; bedeutend höher steht die schwungvolle, wenn auch ganz lose komponierte Erzählung »Lipa« (~Die Linde~, 1908), wo er ein begeistertes Hohelied des patriarchalen Landlebens , der Feldarbeit und der volkstümlichen Traditionen anstimmt. Nur in ihren künstlerischen Anfängen hing Frau Ru zen a 28* - 436 - Sv 0 b 0 d 0 v a (geb. 1868) mit dem Naturalismus zusammen. Mit ungemein scharfer, sich bis in das Mark der Dinge verbohrender Beobachtungskunst studierte sie die erbärmliche, nichtige Alltäglichkeit, welche sie dann oft in verzerrender Karikatur und satirischer Groteske wiederzugeben liebte. Mit einer der naturalistischen Schule eigenen Gründlichkeit, einer geradezu wissenschaftlichen Genauigkeit erwarb sie tiefe Kenntnis der verschiedenen Gesellschaftsmilieus und Lebenskreise , in denen sie ihre Erzählungen sich abspielen ließ. Es verrät den seltenen Mut der naturalistischen Sozialkritiker, daß sie sich mit den verschiedensten moralischen Gebrechen, mit angefaulten Institutionen, schlimmen Lebenslügen ihrer Umgebung bekannt gemacht hat. Doch mit dieser naturalistischen Methode gewann sie nur den Hintergrund für ihre ersten Bücher, von denen wenigstens ihr Erstlingswerk, der Roman »Ztroskotano~ (»Zerschellt«, 1896) und die feine psychologische Porträtstudie »Pfetizeny klas« (»Die überschwere Ähre~, 1896) Erwähnung verdienen. Das psychologische Hauptthema dieser nervösen, krankhaft empfindsamen Bücher bildet die fast typische Lebenstragik des neuen Weibes: ein feines, in den erlesensten Träumen und in der zartesten Sehnsucht lebendes Frauenwesen , das jedoch über seine eigentliche Schicksalsbestimmung , über seine Lebensaufgabe im unklaren bleibt, scheitert an der trostlosen Wirklichkeit, an den rohen Tatsachen, an der bindenden Macht der niedrigen Lebensverhältnisse. Etwas Lyrisches, ja man kann vielleicht sagen Autobiographisches ist diesen Büchern eigen; die Autorin identifiziert sich ganz entschieden mit den so unbarmherzig geknickten Frauenseelen, deren Leiden und Lieben, Sehnen und Fühlen sie in begeisterter, verschwenderischer Pracht der Sprache schildert, was. einen ganz eigentümlichen, manchmal befremdenden Gegensatz zu der ironisch persiflierenden 'Wiedergabe der Realität bildet. Aber schon in ihrem dritten Romane »Zamotana vlakna~ (» Verwirrte Fäden~, 1900) zeigt sich ein innerer Ausgleich, eine künstlerische Klärung. 'Vas bisher rein persönliches Erlebnis war, wird hier zum typischen Schicksale; das grausame Spiel des Zufalls wird nun zu einer gesetzmäßigen Notwendigkeit; die Dichterin zeigt zwar noch immer, wie das komplizierte innere Wesen des Weibes in der stillosen, alltäglichen Existenz zugrunde - 437 - geht, aber dieser Weg des Schmerzes ist nun zugleich ein Weg zur inneren Vervollkommnung, zum höheren Lebensstil. In die Romane und Erzählungen der Frau Svobodova, »Milenkyc ()Liebchen«, Roman, 1901), »Pesinkami srdce« (»Auf den Pfaden des Herzens«, Erzählungen, 1902), »Plameny a plamenky« ()Flammen und Flämmchen«, Erzählungen, 1905) treten von nun an neben die Liebe, die als ein veredelnder, verklärender Faktor geschildert wird, auch neue Lebensmächte : das erhabene Heldentum des Schönheitskultus , der kühne Heroismus der Persönlichkeit, das stolze Bewußtsein der Pflicht gegen die Menschheit. Nicht immer erklingen bei ihr diese siegreichen Töne; manchmal, so in ihren letzten Sammlungen von Erzählungen »Marne lasky« (»Vergebenes Lieben«, 1907) und »Posvatne jaro« (»Der heilige Frühling«, 1911) zeigt sie auch die Kehrseite der< modernen Liebe, ihren verbitterten Pessimismus, ihre verzweifelte Ironie, ihre tiefe Verachtung; ein wehmütiger Mystizismus der ewigen Vernichtung lagert wie eine düstere Wolke über diesen Arbeiten. Auch als Künstlerin hat sich Frau Svobodova von ihrer ersten Phase ungemein weit entfernt; diese Entfernung bedeutet zugleich ein allmähliches Reifen. In ihrer letzten Schaffensperiode stilisiert RöZena Svobodova, den großen Dichterinnen Ricarda Huch und Selma Lagerlöf nicht unähnlich, ihre Erzählungen gern als Märchen oder moderne Legenden; dabei wird sie von ihrer Neigung zur exotischen Eleganz, von ihrer ästhetischen Vorliebe für schöne und ausgesuchte Kunstgegenstände, von ihrem feingebildeten Verständnis für die bildende Kunst, welches durch Reisen und Studien in Italien vertieft wurde, unterstützt. Aber sie ist bei dieser kunstvollen Isolierung, bei diesem zeitbedingten Raffinement des gebildeten und verbildeten Kulturmenschen nicht stehen geblieben, vielmehr sucht sie in ihrer allerletzten Schaffensperiode das typische Schicksal, das innere Gesetz des Menschenlebens, das ewige Paradigma des Kampfes zwischen der Liebe und dem Tode; die Kunstlehre des mit ihr befreundeten Kritikers F. X. Salda hat ihr dabei den ·Weg gezeigt. Nirgends hat sie diese neue Stilmethode, welche in ihrer abkürzenden Zeichnungsart den rohen, tatsächlichen Naturalismus überwindet, besser verwendet als in der umfassenden Rahmenerzählung »Cerni myslivci« (»Schwarze lägen, 1908), wo die wundervolle ostmährische Wald- - 438 - natur leidenschaftliche Liebestragödien umgibt; im Hintergrunde dieser Wald- und Liebesromantik erhebt sich aber die das Ganze vereinigende Gestalt eines erhabenen Weisen im Priestergewande, welche die höchsten und teuersten Grundsätze der Ethik, wie sie im Herzen der Dichterin nach Erlösung schreien, verkörpert. Dieser lebensbejahende, erzieherische Zug ist manchen Arbeiten eigen, die Rüzena Svobodova in der letzten Zeit veröffentlicht hat: neben der zarten und unschuldigen Wald- und Kinderidylle ~Pokojny düm« (»Das stille Haus«, 1910) gehören besonders ihre feinen, manchmal tief symbolischen Erzählungen für die Jugend zu dieser idealistischen Gruppe; öfters verwertet sie in denselben ihre Erinnerungen aus der schönen, südmährischen Heimat, wo sie in der. Nähe von Znaim geboren wurde. In den späteren Werken der Frau RliZena Svobodova hat die moderne Erzählungskunst Böhmens ihren Gipfel erreicht. Wohl weisen einzelne Bücher, besonders diejenigen, wo sich die Schriftstellerin der breiten Form des Romans bedient, manche künstlerischen Schwächen auf: die Lust am Fabulieren und psychologischem Experimentieren überwiegt zu stark die Kraft der strammen und übersichtlichen Komposition; das allzu ängstliche Haften am Modell und die übertrieben ausführliche Milieuschilderung stören manchmal die Illusion; die männlichen Charaktere werden oft nur verschwommen und flüchtig gezeichnet. Aber ein großer, bewundernswerter Zug ist ihrem Lebenswerke eigen; ich meine die Folgerichtigkeit, die Gesetzmäßigkeit der Entwicklung, die das Ganze verbindet und die für die neuere cechische Prosa als vorbildlich angesehen werden darf. Eine ganze Schar von Schriftstellerinnen sammelt sich um diese Künstlerin, wie im cechischen Schrifttum die Frauen seit Bozena Nemcova und Karolina Svetla überhaupt eine wichtige Rolle spielen. Es sind starke Temperamente, vorzügliche Beobachterinnen, kluge und mutige Naturen unter diesen schriftstellernden Damen; aber jener Fülle der Entwicklung nach darf es keine von ihnen mit Rüzena Svobodova aufnehmen. Da ist die männliche Natur mit dem männlichen Decknamen J i r i Sumin (eigentlich Anna Vrbova, geb. 1864), eine streng sachliche und derb objektive Jüngerin der realistischen Schule; in ihren düsteren und oft peinlichen Bildern, wo große Leidenschaften und tragische Geschicke ganz fehlen, zeigt die aus - 439 - Mähren gebürtige Erzählerin eher einen scharfen psychologischen Spürsinn und eine ehrliche Begabung für Zustandmalerei als für künstlerischen Aufbau ihrer Werke, unter welchen der kräftige Roman des religiösen Wahnes )Spasall: ()Das Seelenheil Il: , 1908) am höchsten steht. Das ist die verwandlungsselige, epigonenhafte R ü zen a Je sen s k a (geb. 1863), eine ehemalige naive Liederdichterin aus der Heydukschen Schule, die in dem sinnigen ) Romane eines Kindes Il: (1906) und in dem romantischen ) Meeresnotturnoll: (1910) an die Liebesmystik von Rüzena Svobodova, in ihren letzten Arbeiten aber an die schwüle und manchmal abgeschmackte Psychologie eines Karäsek anknüpft. Da ist endlich die äußerst gewissenhafte und feine Deuterin der geknickten Frauenseelen und der stillen Tragik des Alltags Bozena Benesova (geb. 1876), deren Novellensammlung ) Nedoby ta vitezstvi Il: () Nicht errungene SiegeIl: , 1911) das beste Buch aus dem Gefolge der Rüzena Svobodova ist. - Tastend und prüfend suchen die jüngsten cechischen Prosaiker neue Pfade. Der eigentliche Roman tritt in den letzten Jahren zurück, die abgerundete Novelle in der streng klassischen Bedeutung kämpft mit der unmittelbaren, impressionischen Skizze ums Dasein; Gesellschaftskritik und ethische Tendenz, wie sie die vorangehende Generation bevorzugt hat, werden nun entschieden abgelehnt. Zwei entgegengesetzte Richtungen machen sich in der neuesten cechischen Erzählungskunst geltend. Die Vertreter der ersten, die mit dem Impressionismus in der Malerei zusammenfällt und die von den Russen und besonders von Hamsun beeinflußt wurde, bevorzugen das Individuelle, das Charakteristische; psychologische Aufrichtigkeit und unmittelbare Ursprünglichkeit wird angestrebt; die Stimmung wird stark betont, die novellistische Form aber vernachlässigt, ja absichtlich zerstört. Niemand ist für diese Gruppe mehr charakteristisch als der impetuose Fra i'i a Sr a m e k (geb. 1877), welcher als Psychologe bei Hamsun, als Maler der schiffbrüchigen Existenzen bei Maxim Gorkij in die Schule gegangen ist. Seine manchmal formlosen, aber stets unmittelbaren Erzählungen, z. B. »Flammen« (deutsch von Otto Pick, Leipzig 1913), die nach dem trefflichen Urteile H. Bahrs »in unheimliche Vereinigung von erregter Wildheit mit banger Wehmut getaucht sindll:, enthüllen mit mutiger Rück- - 440 - sichtslosigkeit die Geheimnisse der Sinne, des Blutes und der Nerven einer bald lebenstollen, bald lebensmüden Jugend. Ein achtungsloser und vorlauter Verkünder des Lebens und seiner latenten Kräfte ist der als Feuilletonist bedeutende, als Lyriker und Novellist seichte Karel Horky (geb. 1879). Seine Plaudereien, bereits in mehreren Bänden gesammelt, enthalten kleine Stimmungsbilder, anmutige oder grelle Ausschnitte des Alltags, rasch hingeworfene Skizzen verschiedener Stadt- und Landtypen , welchen immer spielende Freiheit eigen ist. Doch Horky, ein fortschrittlicher Journalist, begnügt sich nie mit der Rolle eines nur schildernden Impressionisten; sein brennendes soziales Gefühl, sein volkstümlicher Gerechtigkeitsphanatismus, seine unbestechliche Wahrheitsliebe fordern von ihm stets die Rolle eines anklagenden Richters und Reformers zu spielen: dabei vergißt er über der Wirkung oft die Mittel, er wird geschmacklos, grob, trivial. Zu der anderen Gruppe gehören die feinen Formtalente, die zielbewußten Wortkünstler, die den Wahlspruch der strengen Konzentration stark betonenden Erzähler. Zum Naturalismus, aber auch zum Impressionismus fühlen sie sich im entschiedensten Gegensatz; dafür halten sie an der älteren Tradition der Novelle fest; das Typische, Allgemeingültige tritt bei ihnen wieder in den Vordergrund. Wo sie größere Kunstwerke anstreben, scheitern sie gewöhnlich; in der knappen Form einer Liebesgeschichte oder einer Intrigennovelle liefern sie ihr Bestes; der Gefahr des novellistischen Kunstgewerbes entgehen sie allerdings selten. Als vermittelndes Zwischenglied zwischen dieser Gruppe und dem Geschlechte eines Vilem Mrstik, einer RiiZena Svobodova darf der elegante Stimmungskünstler und feine Stilist Kar eIS e z i m a (eigentlich Karel Kolaf, geb. 1876) bezeichnet werden, der sich in seinem aparten Romane »Passiflora« (1904) als kundiger Psychologe der labilen Frauenseele gezeigt hat. Ein erotischer Spezialist ist auch der Casanovaforscher Fra ntisek Khol (geb. 1879), ein anmutiger und frischer Erzähler, aber schon der Titel seines Hauptwerkes »Illusionisten« (1911) verrät, daß es sich bei diesem Liebhaber der geschlossenen Novellenform weniger um das Liebesglück als um die Liebeswehmut und Liebesenttäuschung handelt. Ganz anders faßt das ewige Liebesthema der sinnliche, ja wollüstige Erzähler Fra n t i s e k - 441 - Langer (geh. 1885) auf, welcher sich auch in der Lyrik und im Drama versucht hat. Das Weib, das seine satte, ja hymnische Prosa begeistert und kunstvoll besingt, ist ein üppiges, kostbares Kunstwerk, welches man begehren, genießen und dann wegwerfen kann: intellektuelle und sittliche Fähigkeiten des Weibes übersieht er absichtlich. In seiner Novellensammlung )Zlata Venu~e« (»Goldene Venusc 1911) überwuchert das beschreibende Element den psychologischen Kern, wobei öfters die idyllische Anlage des durchaus undramatischen Sensualisten zum Vorschein kommt. - Auch um die Hebung des Dramas hat sich die cechische Kritik in den neunziger Jahren ehrlich bemüht. Planmäßig wies sie auf Henrik Ibsen hin, welcher auch in Böhmen ursprünglich als tapferer Gesellschaftskritiker, dann als technischer Neuerer, endlich als tiefer Symboliker bewundert und gedeutet wurde. Noch andere germanische Dramatiker beschäftigten die cechische Kritik und das gebildete Publikum, während sich das Nationaltheater ihnen gegenüber spröde verhielt: von Hauptmann hätten die cechischen Dramatiker die verblüffende Fülle der Lebenswahrheit, von Hebbel den kräftigen ideologischen Aufbau lernen dürfen, und auch der in Prag ungemein beliebte Oscar Wilde wäre für sie ein guter Lehrmeister der dramatischen Stimmung gewesen. Ja, die Prager Theaterkunst hat gerade um die Jahrhundertswende ihren Gipfel erreicht. Das Nationaltheater besaß in dem gelehrigen, verwandlungsreichen und farbenfrohen Eklektiker Jaroslav Kvapil einen feinen Regisseur, welcher dem dekorativen Element der Bühne nichts schuldig blieb. Neben der bereits erwähnten zarten Darstellerin der Ibsenschen und Shakespeareschen Frauengestalten Hana Kvapilova, die eben in dieser Zeit ihre reiche Begabung vollständig entwickelte, konnte das böhmische Nationaltheater auch auf den kräftigen Schauspieler E d va r d V 0 j a n (geb. 1853) stolz sein, einen tiefen Deuter der männlichen, heroischen Kunst, stamme dieselbe von Shakespeare oder von den modernen Dramatikern. Als dritte gesellt sich zu diesen beiden Klassikern der ce chis ehen Bühnenkunst die reizende und spielerische Vertreterin der verführerischen Weiblichkeit, I z a G r e g r 0 v a (geb. 1879), die allerdings allzufrüh verstummt ist. Doch es mangelte immer an jungen Dramatikern, welche der Prager Nationalbühne Werke geliefert hätten, die der mo- - 442 - demen cechischen Lyrik und Prosa gleichwertig wären. Um so willkommener überraschte das glückliche Debut des jungen Jaroslav Hilbert (geb. 1870), welcher in seiner )Vina« (~Die Schuld« 1896, deutsch von R. Saudek, Leipzig 1904), durch seine frische Technik, seinen anmutigen Dialog, seine leichte Handlungsführung und besonders durch seine zarte Zeichnung der Frauengestalten die schönsten Hoffnungen erregte. Auch ihn schlug der düstere Geist der Schwere später in seine Fesseln; schon Hilberts beiden nächsten, von Ibsen beeinflußten Problemstücke, die religiöse Tragödie )Pest« ()Die Faust«, 1898), und das krampfhafte, verworrene Psychodrama ~Psanci« (»Die Parias«, 1900), haben die Glanzseiten seines Erstlingswerkes eingebüßt. Dann schafft Hilbert, welcher sich auch als männlicher, knapper Erzähler von herber Gr.öße erwiesen hat, ein großes ritterliches Schauspiel aus der Pfemyslidenzeit ~Zavis von Falkenstein« (1903), wo der durch Halek stümperhaft behandelte Stoff seine poetische Verklärung findet. In diesem kühnen Versuche um die Neubelebung des historischen Dramas bemüht sich Hilbert um großen monumentalen Stil, welcher zur dramatischen Synthese tendiert, alles Nebensächliche und Willkürliche zur Seite schiebt und gewaltige Persönlichkeiten aus tragischen Konflikten entstehen läßt. Hilbert ist nicht der einzige cechische Bühnendichter , welcher um diese neue Form des Dramas ringt. Der typische, mehrfach erwähnte Dekadent J i f i Kar ase k, früher ein peinlicher Zergliederer ganz undramatischer Seelenzustände, ist über das Märchendrama zur Tragödie des religiösen Übermenschentums )Apollonius von Tyana« (1905) und zum düster wollüstigen Renaissancedrama ~Cesare Borgiac (1908) gelangt. Ebenfalls findet man in den letzten Stücken, namentlich in dem tiefen »Tristan~ des Jaroslav Maria Mayer (geb. 1870), eines ehemaligen Ibsenisten und Dichters der modernen Frauenseele, bedeutende Ansätze zur heroischen Tragödie. Auch die beiden Schauspiele des männlichen und anspruchsvollen Ar nos t Dvofak (geb. 1880), der kraftstrotzende ~Knize« (~Der Fürste, 1908), aus Böhmens heldenhafter Vorzeit und der manchmal lyrische, öfters aber nur dekorative ~König Wenzel IV.« (1910) aus der Vorgeschichte des Hussitentums, versprechen ganz Großes auf dem Gebiete der symbolischen Deutung der tragischen Menschengeschicke. Weder Hilbert noch Dvofak, weder Mayer - 443 -- noch Karasek sind der Gefahr entgangen, welche das neubelebte große Drama mit mythischem oder geschichtlichem Inhalte mit sich bringt: der schematischen Behandlung der Charaktere, der lärmenden Theaterwirkung , der rauschenden und berauschenden Phrase. Einen ihrer Mitbewerber drohen diese Mängel geradezu zu erdrücken. Es ist der unsicher. fühlende und prüfende J i fi M a h e n (eigentlich Antonin Vancura, geb. 1882), welcher als schmerzlicher Lyriker in der Art V. Dyks und als novellistischer Impressionist mit Anklängen an Fr. Sramek begonnen, aber seinen ersten großen Erfolg mit dem bunten slowakischen Räuberdrama »Janosik (1911); erzielt hat. - Verhältnismäßig spät hat der Kampf der modernen cechischen Kritik und Poesie in der Slowakei Widerhall gefunden. Die letzten zwanzig Jahre des slowakischen Lebens bedeuten eine schwere geistige Ohnmacht. Das ganze nationale Leben des Volkes unterhalb des Tatragebirges leidet schrecklich unter den unglaublichen Verfolgungen der magyarischen Regierung, gegen die Björnson in seinem großartigen Gerechtigkeitsfanatismus so leidenschaftlich protestiert hatte. Dazu zeitigt gerade in der Gegenwart der slowakische Separatismus gar böse Früchte; während der erste Geschichtschreiber der slowakischen Litteratur, der Prager Professor Jaroslav Vlcek den ersten Anschluß an das cechische Gedankenleben nachdrücklich empfohlen hat, stellte der beste slowakische Sprachforscher Sam 0 C z a m bel (1856-1910) in seinen geistreichen Untersuchungen den Versuch an, den slowakischen Sprachstamm von den Cechen schlechtweg loszutrennen und in die unmittelbare Nähe der Südslawen zu rücken. Dagegen protestiert sehr eifrig die jüngere slowakische Intelligenz, in Prag unter Masaryks Einfluß gebildet, aber sie kann dabei ihre scheue Passivität, zu welcher sie die lebensfeindliche Lehre Tolstois führt, kaum überwinden. Nur wenige schöpferische Talente besitzen die Kraft, die fortschrittlichen Ideen ihrer cechischen Lehrer in Litteratur umzusetzen; gegenwärtig stehen die meisten auf dem Standpunkte der realistischen Kunst. Der vorzüglichste slowakische Erzähler, M art i n Kuku ein (eigentlich Martin Bendir , geb. 1860), sucht in seinen knappen, farbenreichen Novellen, denen sich ein großer Roman aus Kroatien »Dom v strani« (»Ein Haus am Abhange«, 1900) anreiht, die bunte Lebensfülle mit einer scharfen realistischen, - 444 - manchmal humoristischen Kleinkunst zu erfassen; und das gelingt diesem eigenartigen Generemaler vortrefflich. Von seinen jüngern ist der sozial begeisterte J 0 z e f G r ego r Ta j 0 v s k Y zu nennen, während unter den jungslowakischen Lyrikern, die einen Schritt über Hviezdoslav bedeuten, nur der tief melancholische I v a n Krasko (eig. jan Botto der jüngere), derjenige Künstler ist, welcher sich mit seinen cechischen Kollegen messen darf; es ist einfach großartig, wie sich diese äußerst sensitive und vereinsamte Seele, welche der Welt abhanden gekommen ist, in der Vereinigung mit Gott und in dem leidenschaftlichen Stammesbewußtsein endlich rettet und ihre Erlösung findet. Hier hat dieselbe Rassenmystik, der wir in Nerudas »Freitagsgesängen~ begegnet sind, ihr Wort gesprochen. * * * Die Kritiker, die Lyriker, die Prosaiker, welche hier zuletzt in rasch folgender Übersicht vorgeführt und gedeutet wurden, sind wohl nicht nur als repräsentative Vertreter der heutigen cechischen Litteratur, sondern auch als Sprecher der cechischen Wortkunst von morgen aufzufassen. In ihrem Lebenswerke, wenn auch dasselbe noch nicht abgeschlossen ist, leben die bedeutendsten Ideen wieder auf, die seit Neruda und Halek die moderne cechische Litteratur beherrschen, und so wird die neueste cechische Litteratur zu dem abgekürzten Ebenbilde des Geisteslebens der letzten fünfzig Jahre. Ein einsichtiger Kosmopolitismus, der mit dem westeuropäischen Schrifttum nie die Fühlung verliert, verbindet sich hier mit einem warmen, ja leidenschaftlichen Interesse für die nationale Eigenart; fremde Einflüsse berühren sich mit dem angstvollen Bestreben, das einheimische, ursprüngliche Gepräge zu wahren; Kritiker, Philosophen, Litteraten studieren die geschichtlichen Bedingungen des nationalen Lebens, um an der nationalen Zukunft desto zielbewußter und planmäßiger arbeiten zu können; alte, gute litterarische Tradition bildet stets den Gegenstand kritischer und wissenschaftlicher Untersuchung, ohne jedoch als entmutigende Last empfunden zu werden. In diesem höheren Sinne ist das moderne cechische Schrifttum, das noch immer unbeachtet vor dem Tore der ",r eltlitteratur steht, eine ausgeprägt nationale Litteratur. 445 - Von dem Augenblicke an, wo das litterarische Europa geneigt sein wird, sich auch für die zwischen dem Riesengebirge, dem Böhmerwalde und dem Tatragebirge entstandene Litteratur zu interessieren, wird es bald einsehen und anerkennen, daß die besten cechischen Dichter nur so weit kosmopolitisch sind, um auch im Auslande zug~nglich und verständlich zu sein, aber dabei insofern national, um den fremden Lesern auch etwas Eigenes, Selbständiges, Urwüchsiges bieten zu können. Namenregister. Adamek, B. 373. Addison 194. Adelung 134. Adler ~61. Aeneas Sylvius 54, 73, 79. Aischylos 243. Akron Albin 77. Alan 23. Albert 216, 263, 296, 297, 325, 3~8, 361. Albertus Bohemus 9. Albertus Magnus 29. Ales 337. Alexis, G. 305. Alsted 109, 113. Amerling 268 f. Andersen 330, 371. Andreae 110, 113. Andrejev 390. Andricki 339. Anonymus 23. Arbes 308 f. Ariosto 149, 358, 367. Aristophanes 161, 243. Arndt 178. Auerbach ~71, 305. Augier 314, 315. Augusta 84 f., 88. Augustin 29, 206. Aufednicek 389. Bacon von Verulam 114. Bahr 439. Bajza 152. Balbin 118f., 132, 139, 140, 14~. Balzac 306, 431. Bandtke 137. Banville 357, 364. Bartos 377 f., 404. Basedow 124. Baudelaire 351, 357, 369, 425. Baudnik 110. Bavorovsky YO. Bayle 113. Beckovsky 119 f. Belinskij 390, 402. Bendl, V. C. 320. Benedikti von Nudolery 93 f., 110. Benesova 439. Beranger 212, 283, 302. Bernard 29. Berni 149. Bernoläk 15tf., 188, 189, ~47, 248. Bezruc 426 f. Bidpaj 77. Bilejovsky 82. Bilek, J. 84. Bilek, Tomäs 334. Birch·Pfeiffer 227. Bittner 373. Bittnerova 373. Björnson 394, 406, 443. Blahoslav 85 H., 94, 109. Blumauer 149. Boccaccio 72. Bodinus 112. Bodmer 158. Bolzano 202, 214, 215, 230, 254, 265, 276. Bonaventura 8, 26, 29. Boner 23. Boos - Wald eck 363. Borecky 370. 371. Born, von 1~9, 132. Börne 293. Botto 251. 252. Bourget 396. Bozdikh 315 f., 317. Brat 400 f. Brandl334. Brant 77. Brauner 334. Brentano, Bettina 165, 267. Brentano, RIemens 3, 164, 165,234. Bret·Harte 285. Bfezan 96. Bfezina 414, 422 ff. Brolik 324. 447 - Büdinger 171. Budovec von Budov 98 f. Bürger 158, 161, 219. Bums 331, 348. Byron 160, 163, 182, 237, 239, 241, 242, 243, 249, 283, 285, 286, 299, 301, 307, 317, 321, 322, 326, 332, 358. Calderon 244, 358, 374. Camoens 358, 359. Campanella 114. Cannizaro 358. Carducci 358. Carlyle 406, 410. Casanova 440. Chalupka 251. Chateaubriand 158, 165, 169, 179. Chelcicky 59 H., 63, 64, 69, 70, 78, 203, 237, 404;. 423. Chmelensky 20'}. Chocholousek 231 f., 236, 320. Chretien de Troies 12. Christian 6. Chrysostomus 75. Claudel 425 .. Coleridge 348. Comenius siehe Komenskj. Comte 406. Coppee 369, 420. Comeille 374. Comova 106. Crebillon 360. Czajkowski 252, 253. Czambel 443. Capek 393. Cech, L. 405. Cech, Sv. 236, 288, 289, 299, 302, v 320, 321 H., 344, 345, 401. Cechov 390. Cejka 268, 269, 271, 303. Celakovskj 163, 175, 193, 202, 203 ff., 215, 216, 226, 228, 235, 237, 244, 245, 256 258 267, x 270, 276, 289, 331, 332, 348. 0ermäk 320. Cemj, Adolf siehe Rokyta. Cerny, Jan 70 H. Cervinka 420. Dacicky 93, 101. Dalimil 15 ff., 18, 23, 38),. 56, 75, 101, 139, 145, 202. 36,j. Dante 182, 358, 362. Darwin 347. Daudet 401. David der Barfüßler 29. Dehmel425. Dobner 6, 83. 127 f., 131, 132, 135. Dobroljubov 390. Dobrovsky 5, 6, 130 H., 141, 143, 147, 149, 151, 157, 159, 162, 163, 164,167,170,171,174, 180, 190, 194,195, 196,383. Dolezal 153. Dörf1286. Dostojevskij 390, 392,407,410, 417, 435. Drtina 408. Dubravius 39, 79. Dumas der Jüngere 315. Durdik, Al. 320. Durdik, Jos. 317, 346, 400, 407. Durdik, Pav. 390. Dury (Dureus) 115. Durych 132, 142, 180, 192. Dvoräk, Ant. 372. Dvoräk, Am. 442. Dvoräk, X. 370. Dyk 427 f., 443. Eberhard 173. Eberle 144. Ebert, K. E. 3, 195, 234. Ebner- Eschenbach, von 311. Eckhart 28. E~idy 406. Elchstädt 161. Eilhard von Oberge 34. Emerson 410. Emler 334. Erasmus von Rotterdam 73, 76, 90. Erben 216 H., 251, 267, 270, 276, 283, 285, 286, 289, 292, 320, 376. Ernst von Pardubice 25, 27. Euripides 374. Eusebius 95. Fejfalik 171. Fenelon 150. Fibich 347, 374. Fichte 183, 194. FiHpek 236. Flajshans 404. Flaubert 339, 396, 410, 431. Flavius 79. Florian, de 150. Fouque 165. Fragonard 360. Franz, Probst von Prag 18. Fredro 223. Freher 127. Freiligrath 212, 263,301,322,328. 448 - Fric 284, 314. Friedrich von Sunburg 12. Fries 179. Fu1da 134. Fux-Je1enskY 330, 416. Gabler 179. Garbor~ 432. Garschm 390. Gautier (Gualter) de Chätillon 14. Gautier, Theophile 357. Gebauer 172, 378, 400, 402, 403, 404, 405, 406. Geibel 369. GelIert 158. Gentz 165. George 424. Gerson 51. Gervinus, G. 243. Geßner 150, 211. Ginde1y 334. G1eim 149, 158. Goethe 126, 137, 138, 158, 163, 165, 167,179,184,186,195, i 196,203, 205,207,208,211, 213, 218, 219, 225, 301, 313, 314, 331, 349, 358, 362, 366, 367, 368, 401. Gogo1 256 320, 390. Goll 172, 345, 346, 387, 400, 404, 405. Goncourt 431. Goncarov 390. Gorkij 390, 439. Görres 187. Gottfried von Straßburg 12, 34. Gotthelf 271, 378. Gray 158. Gregorius 29. Gregorovius 334. Gregory 324. Gregr, Edvard und Julius 293. Gregrovä, Iza 441. Grillparzer 3, 225, 228, 234,291. Grimm 136, 137,216,243,403. Groth 249. Grotius 115. Grün 361, 363, 374. Günther 301. Gze187. Hagedorn 158. Hagemann 144. Häjek von Libocany 82f., 120, 127, 128, 145, 146, 164, 169, 174, 222, 229. Häjek Tadeas 80. Hajnis 236. Hä1ek 232, 283, 284 H., 289, 292, 293, 297, 298, 299, 302, 304, 307, 313, 314, 316, 317,321, 337, 342, 345, 361, 375, 390, 405, 442, 444. Hamerling 324, 326, 332, 358. Hamsun 432, 439. Hanka 8, 166 ff. , 170, 171,174, 193, 204, 211. Hanke 140. Hanus, J. Ig. 266, 270. Hanus, Jos. 405. Harant 97 f.. 99. Hartmann, Mor. 234, 263, 324. Hattala 400. Hätz1erin 72. Hauptmann 441. Havlasa 320. Havlicek 211, 229 Ä 237, 254 H., 267, 277, 282, 3.:51, 390, 428. Havlik 404. Hebbel 312, 441. Hebel, 1. J. 249. Hege1199, 213, 243, 246,265, 314, 342. Heine 243, 252, 256, 283, 285, 286, 288, 298, 330, 414, 41~ 416. Heinrich von Friberg 12, 34. Heinrich von Neuenstadt 23. Heller, Servo 345. Heimholtz 347. Hensler 144, 145. Herbart 317, 346, 400, 407, 408. Herben 379f., 416. Herder 2, 3, 126, 157, 158, 165, 166, 169,179, 180, 182, 183, 184, 190, 194, 199,203,204, 205, 210, 219, 243. Herites 388. Her1oßsohn 234. Herrmann 389 f. Herwegh 212, 263. Heyduk 298 H., 342, 439. Hieronymus vonPrag 46, 51,52, 55. Hilarius von Leitmeritz 65. Hilbert 442. Hladik 394 H., 398. Hlavac 353. Hlavacek 426. H1ävka 401. Hnevkovsky 149, 163. Hobbes 122. Höcker 338, 353. Hodejovsky 78 79. HoHmann, E. F. A. 314. HoHmann von Fallersleben 251. Hofmannsthai 425. 449 - Holbein 90. HolelIek 232, 320, 342, 383 f., 386. Hollar 118. Holly 152, 188 f., 245, 247, 342. Hölty 203. Holy, J. 428. Holzer, A. 296. Homer 150, 189. Horky 440. Horma'y_er 137, 170. Horn, Uffo 225, 234. Homek 17. Hostinskä 435. HostinskY 345, 346 f., 400. Houwald" Chr. 224. Hruby, J.ar. 390. Hruby, Rehof 76. Hruby, Zikm. 76 f. Hübnerovä 396. Huch 437. Hugo a St Victore 29. Hugo, V. ~83i 357,358,359,362, 364, 374, 4 8. Humboldt 195. Hume 124,405. Hurban, J. M. 248, 249, 254. Hurban Vajansky 342. Hus 401 44 ff., 53, 54, 57, 59, 62, 64, 7 , 78, 800t 90, 108,203,220, 237, 324, 42;:s. Huysmann 425, 435. HVlezdoslav 342 f., 444. Hynek von Pod~brady 72. Ibsen 373, 396, 432, 441, 442. Ickelsamer 87. Iffland 144, 227. Ihre 135. lllovy 262. Immermann 213, 358. J ablonsky 214 f. ]acobi 194. ]acobus de Voragine 13, 26. Jaffet 96. ]agic 5, 137, 172,404. lahn, L. 162, 178. ]akobsen 415, 419, 432. ]akubec 405. ]akubek von Mies 46, 52, 57, 58, 62,63,64. ] amot sieh Thomayer. ] an von Pfibram 57. J an von Rabstein 73. Jaroslav, Edelknappe 65. Jefabek 315, 316. ]akubec-Novak, Cechlsche Litteratur. ]esenskä 439. ]iräsek 324, 336ff., 341,344,383, 398. ]irellek, Hermenegild 171. Jirellek, ]osef 171, 333. ]ohann von Neumarkt 73. ]ohann von Vlaiiim 25. Johannes von Capua 77. ]ohannes von Paris 41. lost von Rosenberg 65 f. Jun~mann 151, 156 ff. , 162, 163, 172 ff.i 180, 181, 186,1. 190, 194, 195, 96.,197, 214, ~33. ]urenka 2'15. Kabatnik 70. Kadlinsky 118. Kaiz1400. Kalina 219. Kalinllak 252. Kalousek 334. Kalvin 62, 84. Kamadt 204 f., 209. Kaminsky 369. Kanne 187. Kant 126, 194. Kantor 86. Kapper 232, 239, 320. Karad~ill 166),. 191. Karamzin 16'1. Karäsek ze Lvovic 413, 425 f., 439, 442, 443. Kad IV. 23ff. Karpinski 148. Kassiodorus 95. Kellerl G. 263, 296. Khol440. Kielland 432. Kinsky 140. Kirejevskij 327. Klacel 212 f., 246, 266, 270. KläStersky 420. Klaudyan 80. Kleist, Ew. Chr. 159, 397. Klicpera 222 ff., 226, 228 f., 235. Klopstock 158, 163; 166. I Klostermann 380 f. Knia~nin 148. Kocin 95. Kolar, Fr. 313. Kolar, J. J. 313, 314 f. Kolcov 331. Koldin 83. Kolinsky 78 f. Kollär 161, 162, 163, 175, 177ff., 189, 190,202,203,210,213, 214, 228, 233, 245, 246, 247, 29 - 450 - 249, 252, 255, 257, 258, 265, 266, 267.), 281, 326, 327, 365. Komensky(comenius) 86, 90A l08ff., 118, 119, 123, 138, 19~, 202, 237, 268. KonM 77f. Konias 120 f. Konstanc 120. Konstantin (Cyrill) 3, 4, 5, 135, 188. Kopitar 4, 136, 137, 165, 166, 171. Köppen 137 ... Koranda der A. 59. Koranda der J. 65. Kosmäk 378. Kosmas 3, 7 ff., 18, 168. Kossuth 253. Kosterka 432. Kotzebue 144, 201, 223, 227. Koubek 257f., 267. Koutek 328. Krabice 25. Kral, Janko 251, 342. Kral, Jos. 162, 400. Kramerius 146 H., 150, 153, 157. Krasicki 148. Krasko 444. Krasnohorskä 232, 320, 331 f. Krasonicky 70. KrejU, Fr. 408. Krejci, F. V. 412. Kreutzer 187. Krofta 404. Krist'an von Prachatice 71. Kubäni 341. Kukul'.in 443. Kuthen 82, 83. Kvapil, Frant. 368. Kvapil, Jaroslav 370, 371 f., 441. K vapilovä 396, 441. Kvfcala 400. Kwaysser 216. Kyrmezer 92. Labiche 315. Lachmann 166, 243. Lafontaine 148. La~er1öf 437. Lalchter 393, 394. Lamanskjj 172. Langer, Fr. 44l. Langer, J. 211 f., 235, 258. Laukota 353. Lauterbeck 95. Leconte de Lisle 357, 358. Leger, K. 388. Leibniz 177. Lemaitre 359. Lenau 237, 242, 243, 246, 263, 28~~ 285, 288, 301, 324. Leo .A.. 367. Leopardi 358. Lepar, B. 338. Lermontov 241, 256, 320, 369. L~skov 390. Lessing 126, 128, 179, 210, 255, 256. Lier 395. Linda 170. Linde, S. B. 137, 176, 181. Lindner 408. Lingg 358. Lobkovic, Bohuslav 73 H., 215. Lobkovic, Jan 72. Lobkovic, Jan Popel 90. Lomnicky 92 f. Longfellow 348. Lope de Vega 361. Lorenz 316. Losert 50. Löwenklau 95. Luden 162, 179. Ludewig 127. Ludwig von Medlitz 12. Lukas 70 H., 84. Luther 45, 51,71, 80,81,84, 151, 178. Macchiavelli 76. Mächa 163, 2091 237 ff., 243.1. 246, 252,255, 256, 281 ..• 283,28/,321. MachäCek 224, 225 t. Mächal405. Machar 401, 402, 414ff., 422, 427, 428. Machaut, Guillaume 21. Macpherson 166, 167. Maeterlinck 423, 425. Mahen 443. Makusev 172. Malybrok-Stieler 352. Mandeville 37. Manes, J. 276, 283, 320, 376. Marek, Ant. 159, 173, 175, 181. Marek, J. J. 230 f., 235, 267. Mares 408. Marezoll 179. Marignola 24. Marini de Gratianopoli 65. Marsilio von Padua 41. Marten 413 f. Martial 210, 255. Martini 124. Martinius von Dra!ov 105 f., 115. Masaryk 172,379,400,402, 405ff., 408, 412, 414, 415, 416, 443. - 451 Matej von Janov 42ff., 46, 57, 61, 62, 237. Matejka, J. 386. Matthioli 80. Matthisson 203. Maupassant 432. Mayer 144. Mayer, Jar. M. 442. Mar.er, R. 300f., 316,317 .. 361. Mel1hac 315. Meißner, Alfr. 234, 266, 324, 325. Meißner, Aug. 124. Me1anchthon 113. Melantrich 94. Mencken 127. Mere~kovskij 390. Merhaut 434. Method 3, 4, 5, 188. Meunier 427. Meyer, K. F. 339, 358. Michael von Cesena 41. Michel An~elo 358, 367. Mickiewicz 183, 219, 243, 246, 247, 253, 319, 329, 332, 358. Miklosich 5, 403. Mikovec 51, 284,314. Mikuläs von Pilgram 59. MilHS 28, 29, 31, 32, 41, 42, 45. Milton 157. Mi!'inskj 71. Mokry 368. Mommsen 422. Montesquieu 124, 148. Mosen 246. Mosig von Aehrenfels 192. Mosna 396. Mozart 130. Mrstik, Al. 379, 380, 398, 433. Mrstik, ViI. 390, 398; 432 H., 440. Mülkr, Tos. 84. Müller, K. 239. Müllner, Ad. 224. Münster 79. Murko 177. Musäus 3. Musset 291, 357. N ebesky 243 f., 267, 268. Nejedly, Tan 150f., 154, 174, 210. Nejedly, Voj. 149 f. Nemcova 264,267 H., 282, 287, 302, 303, 375, 376, 438. Neplach 24, 25. Neruda 283, 288 H., 302, 303, 304, 307, 313, 315, 316, 321, 322, 328, 345, 348, 361, 375, 388, 389, 416, 444. Nestor 220. Neßler 395. Neumann 429 f. Niederle 377. Nietzsche 413. Notker (Balbulus) 10. Noväkovä. T. 383, 384 f. Novalis 224, 430. Novotny 404. Oblak 5. Occam 41. Ohnet 396. Oken 179. Ondrej von Dubä 39. Optät 87. Ossian 165, 166, 169, 179. Ott, E. 400. Palacky 161, 162 H" 167, 171, 181, 193, 194ff., 216, 225, 231, 233, 23-1-, 260, 261, 267, 318. 320, 324, 333, 334, 400, 401, 403. Palkovi~ 150, 153f., 157, 174, 181, 247. Paprocky 96. Pareus 115. Parini 358. Pastmek 404. Patera 137. Paul, Jean 293, 314. Pauliny, T6th 341. Pawikowski 296. Peka!' 6, 387. Pelzel 97, 128 f., 131, 132, 142 f., 150, 199. Pertz 137. Pe1lina von Cechorod 119. Peter d'Ailli 41, 51. Peter von Zittau 18. Petöfi 252, 283, 302. Petrarca 73, 76, 163, 179, 180, 182, 210. Petrus Lombardus 48. Petrusevi~ 172. Pez, Hieron. 127. Pfleger Moravsky 307 f;1. 309, 313, 314, 315, 316, 375, .:580. Philomates 87. Picek 209. Pick 439. Pippich 398. Pisa!', Bartos 81. Pisecky 76. Pisemskij 390. Plachy 108. Platen 242, 246. Platon 194. 29* 452 - Plautus 243. Pleier 34. Podlipskä 303, 311 f., 356. Poe 358, 364. Poelitz 173. Pohl, W. 120, 133. Pokomj 342. Poläk 159 f., 163, 203. Polo, Marko 37. Pope 158. Potocki 190. Prasek 334. Pravda 271, 287, 383. Prefät 79. Preissovä 379, 398. Presl 173. Presem 209. Prochäzka, Am. 413. Prochäzka, F. F. 128, 132, 142. Prochäzka, F. S. 331, 332. Prokop der Große 58. Przybyszewski 425. Pseudokallisthenes 36. Puchmajer 148f., 150, 158, 159, 175,237. Pulkava 24, 25. Puskin (Puschkin) 241, 247, 249. 256, 307, 320, 321, 322, 332, 369. Quido de Columna 36. Quis 331. Raimund 227. Rais 381 ff. Rakowiecki 190. Rambausek 239. Randa 400. Rank 381. Ranke 333, 346. Rai'ikß.v (Ranconis) 25, 28, 31. Ratke (Ratichius) 113. Raupach 227. Reinmar von Zweter 12. Renan 407. Reuter 249. Rezek 387, 400. Rhesa 205. Richard a St. Victore 29. Rieger, B. 400, 401. Rieger, Fr. 293,318,320,334,400. Riegger, Paul Jos. 124. Riehl, W. H. 338. Rodovskf 91. Roh 86. Rokycana 62 ff., 65, 69, 104. Rokyta 353 f. Rosenplut 86. Rousseau 126J. 135, 138,179,180, 182, 322, 3.j0, 433. Rubes 235f., 267. Rückert 300. Rudolf von Ems 36. Rulik 140. Rumjancev 137. Ruskin 410. Rvai!ovskj 90. Rzewuski 253. Sabina 242, 243, 246, 284, 309. Sainte Beuve 359. Saltykov.~i!edrin 390. Sand, George 271, 291, 303, 305. Sandei 83. Sardou 315, 374. Saudek, E. 417, 424. Saudek, R. 393 442. Schauer 406, 408f., 414. Schefer 214. Schikaneder 144, 145. Schiller 158, 159, 161, 165, 179, 194, 201, 202, 225, 314, 321, 325) 343, 358. Schlat 419. Schlegel, Dorothea 165, 267. Schlegel, Karoline 267. Schlegel, W. und Fr. 165, 243. Schlözer 135, 137, 190. Schröder 144. Schulz 311. Scott, W. 205,228,231,302,338. Scribe 314, 315, 374. SedlMek 334, 335. Seibt 124. Seidel 97. Seifert, Jakub 372. Seydler 400. Sezima 440. Shakespeare 165, 244, 268, 285, 313, 314, 315, 343, 348, 441. Shelley 358. Sienkiewicz 340. SigeMr 12, 14. Sixt von Ottersdorf 82. Skäla 1 06f. , 108. Sklenät'ovä-Malä 314. Slädek 320, 327, 328, 332, 345, 347,348f. Slädkovil! 249 f. 341, 342. Sladkovsky 293, 318, 320. Slavata 107 f. Slowacki 319. Smetana, Aug. 265 f. Smetana i Bedt'. 283, 293, 347, 372,4 2. Smetänka 404. 453 - Smil Haska 37ff., 77, 79. Smital 273, 295. Sonnenfels 124. Sova 386, 419 H., 430. Spee, Fried. 118. Spencer 408. Spera 353. Spielhagen 308. Stanislav von Znaim 50. Stasek 309 ff., 380, 381, 383. Stefanie jun, 144. Steinhövel 77. Steinthai 403. Stendhal 431. Sternberg, Franz und Kaspar 136, 195. Steyer (Styr) 120. Stifter 275, 381. Sträneckä 379. Stränsky 106. Strindber~ 351, 413, 432. Stroupelmcky 397. Studni~ka 400. Stuna 145, 146. Sully, Prudhomme 357. Sumin 438f. Surowiecki 190. Susil 215, 376, 377. Sv~tla 283, 291, 303ff., 310, 311, 375, 383, 384, 385, 405, 438. Svoboda, F. X. 386.J 390 f., 392, 398. Svoboda, V. A. 111. Svobodovä 436 ff., 439, 440. van Swieten 124. Szymanowski 148. Safai'fk 160 H., 167, 170, 171, 179, 181, 184, 189 ff., 197, 198, 202, 245, 261, 377, 383, 403. Salda 401, 409 ff., 413, 431, 437. Sasek 65. Sedivj 145, 146. Sembera 172. SimMek 391 H., 393, 394, 395, 398, 434. SiSkov 137. Skroup 235. 81ejhar 435. Smilovsky 312 f. Sole 300, 301 f., 320, 328. Srämek 439, 443. Stech 388, 398. St~pan von Päle~ 50. St~panek 221 f. Stftny 29 H., 38, 41, 59, 220. Stolba 398. Stule 215. Stur 246 H., 249, 253, 254, 267. Sturm 89. Subert 372. Tablic 153, 181. Täborsky, Fr. 369. Täborsky, Jan 71, 86. Taine 410. Tajovsky 444. Tanhuser 12. Tasso 358, 359. Tassoni 149. Tauler 28. Terentius 243. Tesäk 92. Tetzel, G. 65. Thäm, K. H. 140. Thäm, V. 144 f., 148, 222, 226. Theer 4~9, 430. Theokritos 188. Thomayer 347 f. Thomson 160. Thoreau 347. Tlu~hof 389. Tolstoj 62, 339, 370,390,406,443. Tomäsek 235. Tomek 333 f., 338, 340, 346, 387, 400,403. Törring 144. Tova~ovskj 65 ff., 75. Towianski 327. Tfanovsky 87. Tfebfzsky 324, 335, 383. Turgeniew 285, 320, 342, 390, 391. Turinsky 224 f., 267. Tycho de Brahe 80. Tyl226H.,229f., 235, 256,267,383. Tyrs 346, 347. Uhland 234. tHehla 408. Ulrich von Eschenbach 12, 14. Ulrich von dem Türlin 12. Ungar 131, 132. Uprka 380. Vacano 392. Vacek-Kamenicky 209. Vasari 418. Vasek 172. Vavtinec von Btezovä 37 57,58. Veleslavin 94ff., 147, 150, i54, 157. Verdaguer 358. Vergil 189. Verhaeren 366, .t.25, 429. Verlaine 351, 357, 369, 370,425. Vigny 357. - 454 - Vikovä-Kunlhickä 393f.}.. 394, 415. Vi1em von Pernstein 7~. Vinanckj 189, 215. Vincentius 8, 10. Vives 113. Vleek, Jar. 405, 443. Vleek, V. 310 f., 314. Vocel 232 ff.. 324. Vodäk 412. Vodnanskj von Uraeov 99. Vodnik 137. ,! . V ohryzek 263. Voigt 131, 132. Vojan 441. Voltaire 124, 126, 149, 156, 158, 256, 418. Vorlienj 79. Vostokov 137. Vratis1av von Mitrovice 96 L, 142. Vrchlickj 288, 289, 302, 322, • 324, 331, 345, 348", 349, 354 H., 369, 370, 371, 37~, 373 L, 401, 417, 418. Vsehrd (Viktorin Kornei) 74 fL 202. Wachter 135. Wagner, R. 347, 372. Waldau 239. Waldhauser 27 H., 41, 45. Weidmann 144, 145, 222. vVeinber,ger 321. Wenzel H., Minnesänger 12. Wenzig 32, 39, 184. Werner 224. Wernher 12. We:yrauther 316. Whltman 358, 366, 425. 427, 429. Wiclif 41, 42, 43 H., 45, 46, 47, 50, 57, 60, 61, 62. Wieland 124, 158, 179, 360. Wilde 414, 425, 441. Winter 340 f. W ojkowicz 429 430 L Wolfram von Eschenbach 12. Wukadinovie 339. Wyssenhere 33. Zahradnik 265. Zäkrejs 316 f. Zämrskj 91. Zävis 35. Zäzvorka 86. Zeyer 324, 345, 349, 350 H., 364, 368, 372, 373, 414. Zibrt 376. Ziegler, F. V. 144. Zikmund von Puchov 79 H. Zima 145, 146. Zola 431, 433. Zubatj 404. Zerotin, K. 99ff., 101, 109. Zidek 65. Zi~ka 52 f., 104, 333.